Team Bittel
 

Bericht vom Palermo Halbmarathon am 17. Oktober 2004  

Autor:  RainerLingemann   E-Mail: rainer.lingemann@t-online.de
Letzte Änderung: 17.10.2004 14:57:39

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin ...

Johann Wolfgang von Goethe
- genauer nach Sizilien, sollte meine diesjährige Laufreise zum Palermo-Halbmarathon führen. Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass diese Veranstaltung in die Herbstferien fiel und dass neben meiner Ehefrau und sportlichen Betreuerin Regina auch unser Sohn Florian ins Land der blühenden Zitronen reisen konnte. So richtig geblüht haben sie allerdings nicht mehr, aber die Bäume sahen auch mit den gelben Früchten recht reizvoll aus.
Gebucht hatte ich zum dritten Mal beim Laufreise-Veranstalter Bernhard Kreienbaum aus Münster. Bernhard betreut seine Reisegruppe mit Witz und Ideen vor Ort selber und startete auch auf der Halbmarathonstrecke (1:35:14, Altersklasse M60).

Leonardo Sorbello ist der Cheforganisator dieser Veranstaltung. Seine äußere Erscheinung erinnert eher an einen Theaterdirektor und von Haus aus ist er Professor der Physik. Durch sein Organisationstalent und seine Beziehungen hatte er für die Kreienbaum-Sportgruppe erreicht, dass die Polizei von Palermo einen Bus samt Karabiniere als Fahrer für die kostenlosen Transfers Flughafen und Start zur Verfügung gestellt hat.
Die Startgebühren betrugen 13,-Euro und 18,- Euro für Halbmarathon, bzw. Marathon. Für diese sensationell niedrigen Startgelder wurde vom Professore ein gut organisierter Lauf von Antico stabilimento balneare in Mondello bis nach Palermo und zurück organisiert. An der Strecke standen zwischen den Getränkestationen Doppelposten von Rotkreuzhelfern. In Palermo versuchte ein Großaufgebot von Karabinieri aller Dienstgrade die Laufstrecke von temperamentvollen Süditalienern auf zwei bis vier Rädern freizuhalten, was auch fast überall gelang. Für das Startgeld gab es noch eine Medaille, ein T-Shirt und einen Leihchip.

Am Renntag hieß es dann um 5.45 Uhr aufzustehen. Eine dreiviertel Stunde später hatte das Restaurant geöffnet. Mit kompletter Laufkleidung und meiner Startnummer am Bauch eilte ich zum Büfett um mir genügend Kalorien für die kommenden Anstrengungen zusammenzustellen. Meine Familie hielt sich auch gut an den Zeitplan und so erreichten wir den zweiten Polizeibus vom Hotel Citta del Mare zum Startplatz nach Mondello. Florian hatte sich vor Ort entschieden, am Fun-Run über fünf Kilometer teilzunehmen und seine Spannung stieg nun, genau wie bei mir, langsam an.

Die Startzeit rückte langsam näher und gut hydriert begab ich mich in den abgesperrten Bereich. Supermarathon-, Marathon- und Halbmarathonläufer hatten alle die gleiche Startzeit 9.00 Uhr. Schon bald war ich von vielen Läufern umringt und die Suche nach der optimalen Position erübrigte sich, da sich das Startfeld rasch verdichtet hatte. Durchsagen waren in dem Getümmel nicht mehr zu verstehen (es wurde fast nur italienisch gesprochen). Die Uhr zeigte den nahenden Start an und pünktlich erfolgte der Startschuss.

Zuerst musste ein Hügel zwischen dem Startort Mondello und Palermo überwunden werden. Das waren eigentlich nur schlappe 80 Meter Höhendifferenz, aber die Steigung zog sich endlos durch den Parco della Favorita. Als gefühlte Höhendifferenz hätte ich da eher 300 Meter angegeben, was sicher auch auf die 26 °C (im Schatten!) bei wolkenlosem Himmel am ganzen Renntag zurückzuführen war. Irgendwann ging es dann jedoch auch wieder bergab und der Stadtrand von Palermo war erreicht. In der nun abwechslungsreicheren Strecke ging es vorbei an der Altstadt (sehr schön und verkommen) durch Palermo mit seinen Denkmälern, Palazzi, Kirchen bis zum Teatro Massimo. Auf der Freitreppe des Theaters spielten uniformierte Musiker, um die Läuferschar mit Pauken und Trompeten in Stimmung zu bringen.
Das war auch ziemlich nötig, denn obwohl an der Strecke der 700.000-Einwohner-Stadt Zuschauer standen, gab es weder Applaus noch irgendwelche Reaktionen. Das italienische Temperament hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Doch plötzlich hörte ich aus einer Nebenstraße lautes Hupen und begeisterte Emotionen. Das klang ja gerade so, als wenn italienische Autosportbegeisterte mal wieder total aus dem Häuschen geraten waren. Die Schritte federten nun leichter, aber als die Nebenstraße erreicht war, stutzte ich erst einmal. Ausgestiegene Fahrer diskutierten wild gestikulierend mit den Ordnungshütern. Die Ordnungshüter argumentierten ruhig mit der Hand an der Pistolentasche zurück. Palermos Autofahrer waren einfach nur darüber sauer, dass da Menschen auf ihren Straßen rumliefen. In gleicher Stimmung versuchten an einigen weiteren Straßen Autofahrer beharrlich ihre Batterien leerzuhupen.

Weiter ging es auf den breiten und noch ebenen Straßen durch verschiedene Stadtteile. Am Parco della Favorita war der Rundkurs beendet, auf gleicher Strecke ging es zurück Richtung Seebad Mondello. Das bedeutete dann auch wieder lange Geraden mit viel Grün bergauf und die Kilometerschilder schienen endlos weit auseinander zu stehen. Rechts von mir passierte ich nun den Monte Pellegrino. Dort oben befindet sich in 429 Metern Höhe das Satuario di Santa Rosalita. Dort sollte besagte Heilige 1625 in einer 25 Meter tiefen Grotte gebetet haben. Und von der Decke tropft nun Wasser, das als wundertätig gilt. Wundertätiges Wasser - ein schöner Gedanke für einen ermatteten Läufer. Das Ganze auch noch in einer kühlen Grotte! Mit diesen angenehmen Gedanken an die Heilige und die Grotte kam ich gut übern Berg. Bergab wollte ich nun meinen trainierten (und eine Woche vorher beim Harzgebirgslauf erfolgreich getesteten) Bergabtempolauf machen. Das war aber molto imposibile und so ging es mit normalem Lauftempo Richtung Ziel.

Bei den letzten Kilometern sind für mich zunehmende Geräusche aus dem Zielbereich eine schönere Vorfreude als die Kilometrierungsschilder am Straßenrand. Bald schon höre ich den Sprecher und die Musik am Ziel, sehe das Mittelmeer zur Rechten und biege auf die Uferpromenade mit den Palmen auf beiden Seiten ein. Das Ziel kommt näher und näher, der Endorphinspiegel auf der nach oben offenen Skala steigt und steigt. Ich sehe Regina winken - fünf Meter weiter jubelt Florian - die ersten Zuschauer nach 21 Kilometern klatschen - und ich bin felicissimo im Ziel.

In der Gasse hinter dem Ziel wurde erst einmal mit verschiedenen Getränken und Apfelsinenteilen der Flüssigkeitshaushalt nachgebessert. Den nur in Italien gebräuchlichen Chip schnürte ich mir vom Schuh (keine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettozeit) und im Ausgleich dafür gab es die Medaille. Schon leicht erholt machte ich mich auf den Weg zu meiner Familie an der Ziellinie. Groß war meine Überraschung, als ich von Regina und Florian einen von der Familie gestifteten Pokal erhielt.

Florian war schon relaxt und erfrischt von einem Bad im Mittelmeer und noch voller Freude von seinem gelungenen Fun-Run. Mit Gelati und zwei Espressi (Attenzione, mehr als zwei sizilianische Espressi sind auch für die stärksten Naturen nicht zu empfehlen!) genossen wir dann noch eine Zeit lang die Rennatmosphäre auf der Uferpromenade. Danach gingen wir zu dem bereits wartenden Bus der Karabinieri, der uns nach Terrasini in das Citta del Mare zurückbrachte.

Am Abend machte Bernhard noch eine Nachbesprechung vom Laufgeschehen, beglückwünschte zwei Geburtstagskinder, verteilte noch Auszeichnungen an einige Athleten, ehrte den ältesten Läufer der Gruppe und übergab eine Kappe an Florian als den jüngsten Teilnehmer.

Bei unseren Ausflügen hat uns die Fahrt nach Agrigento am besten gefallen. Die Siedlung an der Südküste Siziliens wurde 582 v. Chr. von den Griechen gegründet. Das Foto zeigt den Hera-Tempel der umfangreichen antiken Stadt, beziehungsweise das, was Römer, Karthager, Wandalen und Sarazenen davon übriggelassen haben.
Dieser Aktivurlaub hat uns wieder so gut gefallen, dass ich den Laufurlaub für 2005 schon gebucht habe. Somit haben wir genug Zeit, uns an langen, dunklen Herbst- und Wintertagen auf ein neues Land einzustimmen.
 
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