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24-Stundenlauf von Wörschach - Ein mutgefasstes Ziel Autor: GottfriedOel
E-Mail: Gottfried.Oel@medbo.de |
Welche Gedanken begleiten einen durch die lange Nacht? Wie erlebst du die Einsamkeit? Und wie ist das Ende? - Mein erster 24-Stunden-Lauf. |
Mein 24-Stundenlauf in Wörschach am 19./20. Juli 2002 Regensburg Marathon Mai 2002: also nach Wörschach, Kärnten. Endlich ein mutgefaßtes Ziel. Die 24-Stunden erstmals also. Nach den Marathons von Hamburg und Regensburg, 7 Wochen nach Biel: nun als Wörschach im Ennstal. Wörschach, Samstag 19. Juli 2002/14:00 Uhr. Start. So nah am Start vergeht die Angst und die erregte Ungewissheit vor dem, was jetzt beginnt, ist mit einen Mal ganz aus der wachen Wahrnehmung verschwunden. Die gute Gleichmut vermählt sich jetzt fast feierlich mit der verführerischen Bereitschaft, den nächsten Tag, die nächste Nacht, den nächsten Tag zu erleben, zu erspüren, zu erlaufen. Jetzt erst werde ich, erstarkt im Gefühl des Eigenseins. Wir lächeln uns an und spüren die Befreiung von der Anspannung, die sich die letzten Stunden eher noch gesteigert hat. Heiß ist es, ein Sommertag, zum Jubeln und von hunderten Zuschauern angeklatscht setzt sich der nervöse Läuferpulk in Gang. Neben 156 Einzelläufer, die alle Privilegien und die Achtung aller a priori genießen, sind noch 200 Teams (mit bis zu 24 Wechselläufern) an den Start gegangen. Die drücken aufs Tempo, rempeln, stoßen auf den ersten Runden der 2,4 km langen Strecke. Über die Hauptstraße von Wörschach mit greller Straßenfest-Atmosphäre zieht sich der Weg in die Au, einem Wiesengrund mit nur vereinzelten idyllischen Bauernhäuschen. Leiser ist es hier, auch weniger Zuschauer. Dann durchqueren die Läufer über hunderte von Metern das Camp der Teams, mit Blick auf die Burgruine und darüber das steil ansteigende Gebirge. Zur rechten und linken Seite große Zelte, in denen die Läufer sich versorgen und sich Runde für Runde abwechseln. Hunderte von Menschen feiern ein phantastisches Volksfest. Im Zentrum des Interesses stehen die Läufer, die entlang der ganzen Strecke freudig begrüßt und enthusiastisch angefeuert werden. Dazwischen vorwärtstreibende Rockmusik, afrikanische Trommler, steirische Blasmusikgruppen, lokale Lifebands (wahrscheinlich der erste Auftritt oder so), Boxkämpfe im Großzelt, das über die Strecke gespannt ist, Heißluftballons, die nie in die Luft kommen. Wirklich: wo bleibt die erwartete Monotonie? Wo das Leiden an der Strecke, wo die gefürchtete Einsamkeit, wo die Selbstzweifel, die auch den letzten Tropfen Mut, der einem bis zuletzt geblieben ist, fort wischen? Ein Läufer neben mir. Wir reden miteinander. Von Runde zu Runde vielleicht ein paar Sätze. Dann wie aus der Stille einer Andacht, die nächste Frage, die nächste Antwort, die Geschichte einer persönlichen Entwicklung, die Geschichte von einem, der sich im katharsischen Prozeß des Laufens neu wiederfand. Die Geschichte von Minotaurus - ein 4-Jahres-Projekt der läuferischen Erkundung Griechenlands. Der so Verschwiegene neben mir ist ein Läufer der Extreme: 1.800 km in 21 Tagen, rund um Kreta. Nächstes Jahr 3 Wochen durch den Peloponnes und in 2 Jahren (2004) zur Olympiade dann ein Lauf mit einer kleinen Gruppe von Wien nach Athen. "Wir sind zu schnell". Ich achte nicht auf die wiederholte Warnung. "Bei der Hitze geht das nicht und bei der Dauer des Laufes". Runde um Runde in der steigenden Nachmittagsglut bis endlich die Schatten länger werden. Jetzt in jeder Runde trinken, 2 Becher mindestens, dann wieder hinaus in die stechende Sonne. Auf der Strecke gibt es 2 Duschen, an die Straße gestellt. Glück - ja, dieser Augenblick der Erfrischung ist wie eine Wiedergeburt und voller Dankbarkeit an das Leben. Nur das ganz Elementare bleibt übrig und genügt zum Rand des Glücks. Manchmal ist es ganz einfach. Auch wenn die Socken nass werden, die Folgen sind egal. Erst einmal mit der Sonne fertig werden. Bis an den Rand der Nacht kommen, nur das ist jetzt wichtig! 40km nach 4 Stunden. Zu schnell! Dies ist kein Marathon, kein 100 km Lauf! Hier herrschen andere Gesetze. Doch das ist mir nicht klar, nicht wichtig auch. Jetzt reizt ein Lebensgefühl zur Verschwendung! Erstes Stretching, erste kurze Pause. Das schweißverklebte Vereins-Shirt, meine heimatliche Visitenkarte, muß ich bedauerlicherweise wechseln. Dann inspiziere ich meinen privaten Versorgungsstand, den ich an den Straßenrand gebaut habe: ein Sonnenschirm (umsonst - ich sitze nur nachts darunter), ein Campingstuhl, ein kleines Tischchen, Wasser, Nährbier, Cola, drei Dosen Red Bull, Bananen, Power Bar Gels und meine Geheimwaffe: einige Tüten Flips. Dann Wechselwäsche, eine kleine Apotheke und dahinter, vielleicht 10 m entfernt unter einem Apfelbäumchen mein Zelt, in dem ich auch schon die letzte Nacht verbracht habe (der Bauer gegenüber wird mir dafür 35 Euro abkassieren). Die Nacht kommt jetzt langsam, ganz langsam. Und sie vergeht langsam, ganz langsam. Der pelzige Mantel der Nacht drückt auf die Schultern. Meine Waden klagen, mein Körper bittet um Stärkung und irgendwo gäbe es doch etwas, das mir ins Herz zur Tröstung ginge. Noch reicht das Reservoir an Mut und Geschehenlassen, Zuschauen, Erfahren, Schauen was am Ende bleibt. Neugierde mischt sich ins verlegene Gefühl. Weiter. Unterbrechungen, die aufschiebenden Charakter haben. Also im Gehen Essen und Trinken, ausgiebig. Und: lerne Gelassenheit! Vergiss die Dauer der Zeit! Sei jetzt! Nimm es an und sei einfachhin! Nach dieser ersten Versuchung kommt der Zustand einer gnädigen Routine und bestimmt die Aufmerksamkeit der Gefühle und macht sie gefügiger. Stärker als erwartet dieser Einbruch. Jetzt schon, früher Abend, Nacht. Eine Massage hilft wieder, unterbricht aber den Seelenfrieden der Rundenmonotonie. Die letzten Biertische an der Hauptstraße leeren sich, die Besucher kehren nach Hause zurück, vereinzelt noch schenken Zuschauer den Läufern ein aufmunterndes Winken. Dann gehören uns die Stunden der Nacht. Drüben am Talrand bellt noch ein später Hund. Und unter den hohen Sternen steht die Zeit. Das Gebirge schläft. Die subjektive Wahrnehmung distanziert sich von Ort und Zeit. Mit welchem Bewusstsein die Stunden der Nacht sich füllen? So vieles Erlebte bleibt auf immer vergessen. Obwohl es war. Eines aber blieb. Runde für Runde beim scharfen Einbiegen ins Dorf. Da beim Hinunterlaufen auf der langen geraden Dorfstraße, über der Kirchturmspitze rückt dieser vertraute volle Mond jeweils um ein kleines Stückchen weiter. Nur immer um einen kleinen Ruck, aber merkbar. So eine Tröstung, so ein Mond! Und dann dieses wirkliche Erschrecken, auf einmal. Über den Dächern, vor mir, die ganze Breite des Tales am Himmel, Dunkelheit. Ach, hinter die hochgetürmten Berge! Es gibt ihn ja noch. Der Weg, die Koordinaten der Schöpfung - noch da! |
Nach und nach bedrückt nun wieder diese Müdigkeit, bleiern. Die Gespräche verstummen, man trennt sich aus dem Erlebten der Anderen, die Kontakte werden ausgewählter, die Läufer erleben nun ihre eigene Geschichte, die Farben ihrer eigenen Einsamkeit, die enden wird, das wissen sie. Das weite Alleinsein beginnt. Aber es geschieht ohne Angst. Bevor es mich überwältigt, zeigt mir mein Rundenzähler spektakulär eine rote 100. Also 100 km geschafft. Staunen und Stolz, vermehrt aber dankbare Erleichterung. Es ist erst kurz nach 3 Uhr früh. Kaum die Hälfte der Zeit. Alles an mir, jede Zelle bettelt um eine Pause, eine kurze Rast. In den letzten Stunden ist die Übermüdung überwältigend geworden. Weiterlaufen? Das Risiko ist zu groß, aber so bewusst fällt die Entscheidung nicht. Ich gebe einfach nach. Kein Kampf mehr, kein autogener Anlasser. Der Mut fehlt und der Willen, der nun stark nach Tröstung verlangt. Neben meiner Verpflegungsstelle sitzt eine freundliche, in braune Decken dick eingelullte Dame, wach und ihren weißergrauten 70jährigen Ehemann unerlässlich anfeuernd (so eine Frau!), Runde auf Runde. Ich bitte sie mich in einer Stunde zu wecken. Wie schwer wiegt Schweiß von 100 km? Mit Anstrengung nur bücke ich mich durch den Zelteingang, brauche lange, um mir das nass-schwere Shirt, die Schuhe, die Socken, die Hose auszuziehen. Alle Handlungen sind umständlich auszuführen, nur noch aufs nächstliegende, auf den wirklich nächsten Schritt reicht der Radius der verbliebenen Konzentration. Gott sei Dank, meine Gartenliege leistet mir jetzt im Zelt gute Dienste. Eine Konzession ans Alter, an die Strapaze (das darf sein!). Der Schlaf ist traumlos, von bewußtloser Aufmerksamkeit. Ein energisches Rütteln weckt mich: "Es ist vier Uhr!" - "Ach, bitte noch eine halbe Stunde!" (kläglich) - Meine Bewacherin entfernt sich nach langem Zögern. Eine Minute später stehe ich neben ihr auf der Straße. Nein, ich hätte mich geschämt. Diesmal. Noch ist alles Abenteuer. Schon steigt aus den Wiesen durchsichtiger Nebelschleier und im Osten schon an der hohen steinern vielfach gefalteten Stirn des Grimming (2.700 m) liegt vage erstes Morgenlicht. Noch dauert es bis die Sonne wieder über dem weiten Tal aufgeht. Im Camp herrscht Stille. Nur noch die jeweils eingeteilten Läufer sind wach. Alle anderen liegen zu Hunderten mit Decken auf ihren Liegen und schlafen friedlich. Ach, jetzt sie beneiden? - Ja/Nein? - Noch ist alles Erleben, noch alles ein Abenteuer. Die ganz frühen Morgenrunden sind schwer. Es ist kalt geworden. Dann kommt es doch überraschend. Dieser Streik der Muskeln und dieses Frösteln, das sich schnell so ausbreitet, dass ich am ganzen Körper dieses Zittern nicht mehr kontrollieren kann. Die Massagestation in der Dorfschule, die rund um die Uhr besetzt ist, bleibt jetzt mein Rettungsziel. Ja, das ist Labsal nach der Anstrengung. Ein Energie- und Mineraldrink, eine Heizdecke, eine Liege und guter Zuspruch. Nach dem Reglement wird jedem Einzelläufer eine Pause von 4 Stunden zugesprochen. Eine einzige kleine winzige Stunde ist doch von meinem Kontingent erst abgestrichen. Besänftige Dich! Helden sterben früh! Es geht um Erfahrung, nicht um Erfolg. Also bleib liegen, erhol dich! So eingestimmt und ohne die Zügel meiner Aufmerksamkeit bin ich noch einmal eingeschlafen mit dieser wohlen Wärme an meinem Körper. Irgendetwas aus dem Unterbewusstsein weckt mich. Die Uhr! Waren es 10 Minuten, eine halbe Stunde, länger? - Nach einer erneuten Massage, die ein aufreizend lethargischer, zum Dienst verpflichteter junger Mann an mir verübt, melde ich meine Rückkehr ins Rennen beim zuständigen Rundenzähler an. Die Muskulatur weigert sich zunehmend und an der rechten Ferse nimmt der Schmerz an Heftigkeit zu. Also doch. Schweiß und Wasser haben dort an der festesten Hautstelle nun also zu einer großflächigen Blase geführt. Die nächste Runde noch in den jetzt anbrechenden Tag hinein wird abgehumpelt. Pause. Medizinische Versorgung. Pause. Trinken. Essen. 16 Stunden seit dem Start sind vergangen. Mit dem lichtwerdenden Tag wiegt sich auch mein Gefühl in hellere Erwartung. Ich atme reines Morgenlicht, nehme es schon von den erröteten Bergspitzen. Die umgebenden Dinge erhalten im Licht wieder Gestalt und vertrautere Formen zurück, die unbefahrene Straße, die winkende Birke an der Abbiegung zur Au. Weiße Nebelfäden weben schwerelose Tücher vereinzelt über die Wiesen. Die Läufer kennen sich wieder. Wieder das grüßende Lächeln vom Anfang. Die späte Nacht entlässt ihre Geheimnisse endgültig zurück ins Licht. Ich bin voller Staunen, Rührung. Weinen oder beten sollte man jetzt können. Bald füllen sich die Plätze hinter den Absperrungen mit Massen von Zuschauern. Aus zehn, zwölf Lautsprechern tönt störend Rockmusik. Nein, ein Lauf der leisen Töne ist Wörschach nicht. Und es wird ein heißer Sonntag. Schon um 10:00 Uhr vormittags blockiert die wattige Hitze den Weg. Dagegen anzurennen ist sinnlos geworden. Noch vier Stunden und jetzt sehne ich das Ende herbei wie nie zuvor. Die Gehpausen werden länger und länger. Und die Strecke, die ich im Schritttempo zurücklegen muß, nimmt bereits mehr als die Hälfte des Rundkurses ein. Letzte Energien? Gibt es nicht mehr. Trotz dieser Anstrengungen sinkt die Stundenkilometerleistung und frustriert noch einmal gründlichst. Ein letztes Mal ein Versuch gegen diese vollkommene Schwächung anzulaufen. Nein. Die Muskulatur bleibt blockiert, der Puls steigt bei kaum gesteigertem Tempo. Aus. Leer. Vorbei. So körperlich ausgepumpt protestiert auch die Psyche nicht mehr gegen die Niederlage, sondern lässt sie einfach geschehen, dankt dem Esel Körper freundlich schon für die Plackerei. Aber: Gehen? Gehen kann ich noch und das betreibe ich bis zur endgültig letzten Schlussrunde. Es ist erstaunlich, das lässt sich machen, trotz der Muskelschmerzen, der wehen Ferse. Der Schlussschuss! Keine Euphorie, keine Erschütterung der Empfindungen, nicht einmal ein besonderes Erlösungsgefühl oder einfache gnadenhafte Dankbarkeit vor dem Durchgestandenen. Glück über den Sieg der Strecke? Nicht einmal! Ist Ankommen nicht auch eine Enttäuschung? Nach einer Stunde Auf einmal bin ich der friedvollste Mensch der Welt. Jetzt kann ich für immer hier im Gras liegen bleiben, verletzlich und ohne Scham. Von allen tragischen Bedürfnissen des Lebens geheilt, kann ich den ganzen Lebensrest friedvoll untätig unter diesen Apfelbäumchen verbringen. Nach einer weiteren halben Stunde lässt dieser euphorisierte Zustand ganz plötzlich nach. Der Himmel hat sich innerhalb der letzten zwei Stunden mit Gewitterwolken schwarz behängt. Der Donner kommt näher, Blitze zucken und die nächsten 13 Stunden wird es wolkenbruchartig regnen. Das Zelt werfe ich ins Auto, alle anderen Utensilien hinterher. Innerhalb von fünf Minuten ist der Platz geräumt. Alleine aber kann ich nicht mehr nach Hause fahren. Im Dorf gegenüber finde ich eine Pension für 18 Euro mit Frühstück. Was haben noch einmal die 2,25 qm Wiese gekostet? Die Treppen sind kein wirkliches Hinderniss. Nach den Nachrichten um 20:00 Uhr schlafe ich sofort ein. Es ist kein bewusstloser Schlaf. Zu oft wache ich auf. Das Umlagern stört, tut weh in den gewohnt lässigen Bewegungen. Wie viele Kilometer waren es denn jetzt? 156 km! Nicht die anvisierten und erhofften 170 km. Ok, das nächste Mal! Dank an unseren Trainer Hucky Hoffmann für den raffinierten 100 km Trainingsplan, der die wirkliche Grundlage für die 24-Stunden war. Dank an meinen Freund Michael Jung für die treue Begleitung auf den Trainingsläufen und das souveräne Coaching in Biel. Dank an Richard Hack und Max Brandl für die sympathische Begleitung bei den Landschaftsläufen nach Straubing, Amberg und Landshut. Ohne diese Unterstützung wären die langen Trainingseinheiten nicht zu schaffen gewesen. Gottfried Oel |