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Letzte Änderung: 16.08.2014

Uli Etzrodts Scheck zu Beginn...

1. Berliner Vollmond-Marathon

09.08.2014



 

 (Bericht+Bilder: Heiko Rammenstein)


...und Nachtfutter im Ziel


Der Mond über Berlin

Unsere Hauptstadt ist reich an sportlichen Aktivitäten, und auch der Laufkalender steckt voller Veranstaltungen und Überraschungen. Der Berlin-Marathon, der alljährlich Ende September stattfindet und als Deutschlands größtes Laufevent mehrere Zehntausend Teilnehmer in seinen Bann zieht, ist jedem ein Begriff, der sich für den Marathonsport begeistert. Mein Hobby wollte ich mit dem Urlaub verbinden und suchte mir daher einen Lauf in der 2. Augustwoche heraus. Dass ein kleiner Trägerverein ausgerechnet in dieser Zeit, den 1. Berliner Vollmond-Marathon ausschrieb, kam mir gerade Recht.


Mit dem großen Berlin-Marathon hat dieses Ereignis sehr wenig gemeinsam. Die Maximalgrenze von 200 Teilnehmern hält es im familiären Rahmen. Die Strecke ist etwas 43km, der Kurs führt durch den Nordwesten. Alles findet nicht in Berlins Mitte statt und legt nicht die halbe Innenstadt lahm. Klar hingewiesen wird, dass bei den wenigen Straßenquerungen der Autoverkehr Vorrang hat, und die Fußgängerampeln nur bei Grün zu passieren sind. Zudem ist es keine kommerzielle Veranstaltung, sondern ein Unterstützungslauf für die Kindertrauergruppe des Johannes-Hospizes in Berlin-Spandau. Das Mitführen von Stirnlampen ist vorgeschrieben, da die Dunkelheit hereinbricht ("Vollmond-Marathon"). Wie wertvoll doch dieses Utensil sein wird!

Die Tage vorher verbrachte ich in der odermärkischen Kreisstadt Seelow . In den Fokus der Weltöffentlichkeit geriet diese unweit der polnischen Grenze gelegene Stadt vor 69 Jahren, als vom 16.-19.04.1945 die Schlacht um die Seelower Höhen tobte. Nach einem Morgenlauf besuchte ich die Gräberfelder und das Ehrenmal mit Museum. Der Boden ist noch immer munitionsbelastet. Wäre mir das vorher bewusst gewesen, hätte ich, als ich die Gegend läuferisch erkundete, die breiten Wege besser nicht verlassen und die schmalen Pfade kreuz und quer durch Wald und Flur vermieden.

Am Freitag, dem Vortag des Marathonlaufs, verlagern wir unseren Aufenthaltsort in den gut 70 km entfernten Ostberliner Stadtteil Hohenschönhausen. Samstag zeigt sich das Wetter nach hochsommerlichen Temperaturen gemäßigter: Sonnig, leicht bewölkt und 25°C. Mein Ziel ist das Sport Centrum Siemensstadt im Westberliner Bezirk Spandau (U-Bahnhof Rohrdamm). Plötzlich wandelt sich das Wetter gehörig, heftiger Regen begleitet von starkem Wind. Trotzdem laufe ich zum Waldstadion, wo der Niederschlag nachlässt.

Im Foyer der Sportanlage werden wir Läufer herzlich willkommen geheißen von Betreuern und Kindern der Hospiztrauergruppe mit Halb- und Vollwaisen. Wir ziehen uns in den Katakomben um und schon lugt die wärmende Sonne durch die Wolken. Die Hoffnung steigt, dass im Verlauf des Abends die Bewölkung verschwindet, um freie Sicht auf den zu Vollmond zuzulassen.

Frank-Ulrich Etzrodt, von Freunden liebevoll "Etze" genannt, ist begeisterter Ultraläufer und Initiator des 1. Berliner Vollmond-Marathons. Er begrüßt uns als Sprecher im Stadion und eine Blaskapelle sorgt für heitere Stimmung. Etwas getrübt wird diese durch die im Minutentakt über uns hinwegdonnernden Flugzeuge: Der Flughafen Tegel nur 2km entfernt. Der bekannteste der 130 Starter, unter denen ich nicht der einzige Berlin-Urlauber bin, ist der Gewinner des 1. Berlin-Marathons 1974, Günter Hallas. Damals bewegte sich die Zahl der Teilnehmern mit 300 im äußerst bescheidenen Rahmen, und die Strecke verlief durch den Grunewald. Begrüßt wird die Frau mit den weltweit meisten Marathons, Sigrid Eichner (1.833ter heute) und überraschend der Landrat des Landkreises Oberhavel, Karl-Heinz Schröter. Der Kurs führt von km 21 bis km 30 durch sein Revier Berlin-Reinickendorf nach Brandenburg. Einen symbolischen Riesenscheck über € 1.000 Spenden- und Startgelder überreicht Etze einem der Kinder der Trauergruppe, das sich mit seiner Betreuerin sehr darüber freut.

Bevor wir ins Rennen geschickt werden, bekommen wir noch einige Hinweise: Jeder Kilometer ist gut markiert, und es gibt viele Kreidepfeile und rot-weiße Flatterbänder. Die DLRG Berlin und Hennigsdorf übernehmen die Streckenbetreuung und alle 5 km die Versorgungsstellen.

Pünktlich 18 Uhr fällt der Startschuss mit viel Applaus. Auf der Tartanbahn verlassen wir das Stadion zu einem Kleingartengelände bis km1. Das vordere Drittel mit mir überqueren die von der Polizei geregelte Kreuzung. Nach 150m ertönt es von hinten: “Halt! Zurück!” Die ganze voreilige Meute hat den entscheidenden Pfeil verpasst. Das fängt ja prächtig an! Die Gartenfelder und die Tegeler Brücke überspannen die beiden Arme des Spandauer Schifffahrtskanals. Allmählich kämpfen wir uns wieder von hinten durch die Reihen der aufmerksamen Mehrheit, die keinen Umweg nahm. Am Ufer des Kanals am Rande einer Gartenkolonie ist die alte Reihenfolge wieder halbwegs hergestellt. Kurz nach km3 erreichen wir den Tegeler See, mit herrlichem Blick darauf in der abendlichen Sonne und sich tummelnden Motor- und Segelbooten. Kanuten, Ruderer und Angler üben ihren Sport aus und Badegäste schwimmen. 10km lang umrunden wir den Seen nun in Ufernähe, bis zum Havelbecken. Wir teilen uns mit Radfahrern und Spaziergängern die schmalen Wege, meist aus weichem Waldboden. Nach VP1 müssen wir bei km 6 eine Treppe hoch auf eine Brücke, die einen Zufluss des Sees überspannt. Es sollte im weiteren Verlauf nicht das einzige derartige Hindernis bleiben.

Eine von mehreren schräg versetzten Barrieren, die das Durchfahren von Fahrzeugen verhindern, wird vom Läufer neben mir übersehen. Geräuschvoll stößt er gegen diese metallene Barrikade. Zum Glück bleibt er verletzungsfrei und kann weiterlaufen.

Bei der Orientierung gilt: Immer der Nase nach! Wir vertrauen darauf, dass die Marschroute an Abzweigen, wo keine Pfeile zu entdecken sind, einfach geradeaus weiterführt. Unzählige Wege und kleine Pfade rechts und links lassen uns wegen fehlender Markierungen oftmals zweifeln. Bis irgendwann das nächste Kilometerschild auftaucht, welches uns die Gewissheit verschafft: Wir haben uns nicht verlaufen.

Die faszinierende Gewässerlandschaft findet im Anschluss an den Tegeler See ihre Fortsetzung bei der Umrundung der Havel, die uns in den äußersten Nordwesten führt. Bei der Halbmarathonmarke verlassen wir Berlin und laufen durch die brandenburgische Kleinstadt Hennigsdorf. Hier treffen wir auf den Berliner Mauerweg, der auf 160 km den Verlauf der DDR-Grenzanlagen kennzeichnet. Am 16./17.08. finden als Erinnerung an die Teilung Berlins und das Leid der Opfer die 3. “100 Meilen Berlin” statt, auch bekannt als “Mauerweglauf”. Wir folgen 9km diesem Weg westlich der Havel, bis wir bei km 30 wieder Spandau erreichen und damit Berlin.

Inzwischen ist es dämmerig geworden. Wir kommen in den Genuss eines traumhaften Sonnenuntergangs. Bei km 31 auf einem Rad- und Fußweg sehe ich linker Hand die Havel, rechter Hand die Kleingartenanlage des Ortsteils Hakenfelde im Spandauer Forst. Plötzlich rufen mir Spaziergänger zu: “Achtung! Vorsicht!” In breitester Mundart berlinerte ein Einheimischer: “Jleich werdeta awer loofen, wa?” Kurze Zeit später verstehe warum. Eine Wildschweinrotte mit 6 Tieren wühlt 40 m neben mir im Gras. Sie fühlen sich durch uns Läufer und die Spaziergänger nicht gestört und bleiben friedlich, unbeirrt ihre Nahrungssuche fortsetzend. Dass Wildtiere die Randbereiche der Hauptstadt erobert haben, ist mir bekannt. Nun werde ich selbst Augenzeuge, glücklicherweise folgenlos. Viele Läufer haben die Schwarzkittel im Dunklen nicht einmal bemerkt.

Bei km32 am Johannes-Hospiz Spandau ist die Kindertrauergruppe ansässig, der der Erlös des Vollmond-Marathons zugute kommt. Ratlos stehe ich an einer doppelarmigen Wegkreuzung: Wohin? Trotz der zuvor eingeschalteten Stirnlampe habe ich wohl den entscheidenden Pfeil übersehen. So warte ich auf die nächsten Läufer und habe Glück: Einer kennt sich hier aus. Meine Frische der ersten Streckenhälfte ist längst verloren und ich will nur noch ankommen.

Wenig später bewege ich mich über eine Freifläche auf die Havel zu, die der Kurs zwischenzeitlich verlassen hatte. Von dort aus ist der Vollmond in seiner ganzen Leuchtkraft zu bewundern. Der Namensgeber der Veranstaltung hat somit seine Schuldigkeit getan und mir eine stille Freude bereitet.

Besonders schön anzusehen und außerordentlich pittoresk sind auch die beleuchteten Spandauer Inselchen, Buchten und Wasserstraßen der Havel. Selbst zu fortgeschrittener Stunde jubeln uns Kinder und Erwachsene zu am Verpflegungspunkt bei km 35. Überhaupt begleitet uns diese Begeisterungsfähigkeit auf dem gesamten Weg.

Zwei Brücken bringen uns auf die Insel Eiswerder und über die Havel, an deren Ufer wir 2km laufen. Der schmale Trampelpfad mit beiderseits hoch gewachsenem Gras, Brennnesseln und Buschwerk liegt in völliger Dunkelheit. Ohne Stirnlampen wäre ich rettungslos verloren, könnte die Richtungspfeile nicht entdecken und auch nicht diese verschlungenen Wege. Trotzdem will ich mich nach dem überwundenen Dickicht bei einigen jungen Leuten vergewissern, ob sie andere Läufer auf der Spandauer Havelpromenade gesehen haben. Deren halbherziges Ja verunsichert mich ziemlich. Umso erleichterter bin ich, als ich die nächste Versorgungsstelle erreiche, die letzte heute, 4km vor dem Ziel, unterhalb der Wasserstadtbrücke, die die Havel überspannt. Nicht lange danach erreiche ich den Spandauer Schifffahrtskanal.

Den finsteren Uferweg, nur beleuchtet durch meine Stirnlampe überspannt eine Brücke. Aber ich folge der zuvor eingeschlagenen Richtung, da ich keine anderweitige Markierung erspähe. Auf das km41 hoffend, bleibe ich auf diesem Kurs, bis der Zweifel Überhand gewinnt und ich nach 500m umkehre. Schon von Weitem sehe ich 2 Läufer mit Stirnlampen über die Brücke laufen. Und wirklich, bei genauer Betrachtung entdecke ich den Pfeil, der mich nun auf die Brücke schickt. 1 km verschenkt! Auf der anderen Seite taucht dann das ersehnte Kilometerschild 41 auf.

Die letzten 2 km verlaufen wie die ersten, nur andersherum. Bei der Marathonmarke kommt festliche Stimmung auf, denn lauter kleine Lampions säumen den Weg. Gartenfreunde der Kolonie am Hohenzollernkanal, wie der Spandauer Schifffahrtskanal früher hieß, erfreuen uns mit dieser Illumination. Nun ist es nicht mehr weit. Es folgen Tegeler Brücke, Gartenfelder Straße und -Brücke. An der Kreuzung zum Saatwinkler Damm ist jemand extra dazu beordert, die Fußgängerampel für uns Läufer auf Grün zu drücken. So kann ich ohne Wartezeit passieren. Die Kleingartenanlage beim Stadion ist in nächtliche Dunkelheit gehüllt, die mein Lämpchen nur schwach erhellt. Nichtsdestotrotz sind die weißen Kreidepfeile gut auszumachen. Wenig später erreiche ich die vom grellen Flutlicht erleuchtete Tartanbahn des Stadions im Sport Centrum Siemensstadt, den Ausgangspunkt meiner vierstündigen Tour. Nach den allerletzten 200 Metern durchlaufe ich das Ziel und werde wie alle anderen namentlich vom Sprecher beglückwünscht.

Für meine durch Irrwege verlängerte Strecke (44,6 km), die offiziell nur 43,1 km mißt, habe ich 4:02 h gebraucht und bin damit als 4. der M45 im Ziel. Jetzt erwarten mich Medaille, Zielverpflegung und eine gelöste Stimmung.

Fazit: Trotz kleiner Mehrwege und Streckenunsicherheiten habe ich eine spannende und abenteuerliche Laufveranstaltung erlebt, in wunderschöner Seen- und Waldlandschaft, bei bestem Wetter, mit lauter freundlichen Organisatoren und netten Teilnehmern. Und mit dem Erlös wird zudem ein guter Zweck unterstützt. Die Kinder und Betreuer des Spandauer Trauerhospizes danken es uns.

 

Wegen der Nähe zur Erde erscheint der Vollmond nur alle 13 Mondphasen so groß, dass man ihn als “Vollmond des Jahres” bezeichnen kann. Für den 29.08.2015 ist der 2. Berliner Vollmond-Marathon geplant, wieder in meinen Sommerferien. Ich komme wieder nach Spandau, um meinen Start bei diesem kleinen aber feinen Event zu wiederholen.


Euer Heiko


 


Bilder
 


Blaskapelle

Spendenübergabe

Start im Stadion

Tegeler See

Vollmond am Tegeler See

Der schöne klare volle Mond

Zielverpflegung

Im Ziel
 

 

Infos: www.vollmond-marathon.etzrodt.in  (max. 200 Teilnehmer)

 

 

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