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Letzte Änderung: 07.07.2009

Start in eine lange Nacht (Oliver links in rot)

1. Ulmer Laufnacht 100km
12.+13.06.2009




 


 

 (Bericht+Fotos: Oliver Schuberth)

 

 

In einer Nacht 100 Kilometer in Ulm und um Ulm herum

 

Es gibt viele Möglichkeiten, sich eine Nacht um die Ohren zu schlagen. Eine besondere besteht darin, sich laufend eine unbekannte Gegend zu erschließen.
Als ich vor 2 ½ Jahren mit dem Marathonlaufen begann, bemerkte ich schnell, dass bei der klassischen Distanz noch nicht Schluss sein muss, sondern es zahlreiche Möglichkeiten gibt, seine eigenen Grenzen auszuloten. Damals hielt ich es für kaum möglich, selbst einmal eine Distanz jenseits der 42,195KM zu laufen, geschweige denn einen 100er.

Motiviert durch den langen Kanten am Rennsteig 2008 und zahlreiche Berichte im Internet, beschloss ich, selbst eine so lange Strecke anzugehen. Ursprünglich sollte die Premiere in Biel stattfinden, hatte ich doch so viel Positives von diesem Lauf gehört. Darüber hinaus stellte die Durchführung als Nachtlauf eine besondere Herausforderung dar. Als ich kurz vor Jahreswechsel auf die zum ersten Mal stattfindenden Ulmer Laufnacht stieß, stand mein Entschluss fest: Ich werde meinen ersten 100er laufen.

Eine frühe Anmeldung sollte mich anspornen, das Training dafür konsequent zu verfolgen und der diesjährige Rennsteig, bei dem ich mich im Vergleich zum Vorjahr um knapp 1 ½ Stunden auf eine für mich klasse Zeit von 6:58 Stunden verbessern konnte, stärkte mich mental.

Nun war es soweit. In Begleitung meiner Freundin Yvonne reisten wir bereits am Donnerstag nach Ulm an und nutzten die Gelegenheit, hier unsere Freunde Dagmar und Thomas zu besuchen. Je näher der Lauf rückte, desto größer wurde meine Nervosität – ich träumte sogar mehrmals von dem Lauf und malte mir aus, wie es wird, eine ganze Nacht durchzulaufen. Fragen wie „bin ich wirklich fit genug, dies zu bewältigen“ gingen mir durch den Kopf – so war ich froh, mich am Freitag bei einem ausgiebigen Bummel durch die schöne Stadt Ulm, ablenken zu können.

Der Start rückte unaufhaltsam näher. Gestärkt  durch leckere Pasta fuhren wir gemeinsam mit unseren Freunden nach Blaustein, wo die erste Ulmer Laufnacht gestartet werden sollte. Etliche Läufer hielten sich in der Lixturnhalle auf, in der die Organisation des Rennens untergebracht war. Es gab die Möglichkeit, sich in einem bereitgestellten Matratzenlagern auszuruhen, sich ein letztes Mal mit Spätzle zu stärken und sich bei einem ausgiebigen Briefing die letzten Infos über die Strecke zu holen. So ein Briefing kann hilfreich sein und einem letzte Fragen beantworten – was ich jedoch zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen wollte war, dass neben der horizontalen Distanz auch noch 900 Höhenmeter hinter sich gebracht werden mussten, wobei sich der Großteil erst auf dem Streckenabschnitt nach KM 60 befinden sollte. Da habe ich wohl das Höhenprofil auf der Homepage des Veranstalters nicht richtig interpretiert! Insgesamt war alles gut organisiert, die Helfer waren freundlich und die Stimmung unter den Teilnehmern voller Vorspannung. Der Start sollte um 23.00Uhr am benachbarten Leichtathletikplatz stattfinden, wo sich kurz vorher die Läuferschar einfand. Die Möglichkeit, sich von einem Radfahrer begleiten zu lassen, nutzten einige. Um möglichen Staus zu Beginn des Laufes vorzubeugen, sollten diese jedoch erst am ersten Verpflegungspunkt bei KM 10 zu den jeweiligen Läufern stoßen. Ein besonderes Ereignis war das Vorglühen von vier Heißluftballons, die in der Mitte das Platzes standen und für eine schöne Atmosphäre sorgten.

Pünktlich um 23.00Uhr war es soweit. Mit einem großartigen Feuerwerk wurden 350 Läufer – unter ihnen auch viele Staffelläufer – in die lange und kalte Nacht geschickt. Da der Wetterbericht keinen Regen prognostizierte, beschloss ich mit kurzer Hose, kurzem Trikot und Ärmlingen zu laufen. Mit Ausnahme von wenigen Abschnitten, die durch Senken oder nahe am Wasser entlang führten, war die Nacht mild und meine Kleidungswahl die richtige. Bis zum ersten Verpflegungspunkt bei KM 10, den wir nach einer langen, sanften Steigung erreichten, waren viele Läufer beieinander und ich hoffte, jemanden zu finden, mit dem ich zumindest zu Beginn gemeinsam durch die Nacht laufen könnte. Doch schnell stellte sich heraus, das es eine einsame Nacht werden sollte.

Nach dem ersten Verpflegungspunkt, an dem wir Läufer begeistert empfangen wurden, zog sich das Feld auseinander und die Läufer liefen wie an einer Schnur aufgereiht mit rot blinkenden Lichtern hinter einander her. Da ich noch immer einen vollen Magen hatte, griff ich hier lediglich zu einer Tüte Studentenfutter, die ich langsam und genüsslich aufaß – leider stellte sich schnell heraus, dass mir der hohe Fettanteil der Nüsse nicht bekömmlich war, weshalb ich beinahe bis in die Morgenstunden mit einer latenten Übelkeit zu kämpfen hatte.

Die Strecke war weiterhin abwechslungsreich. Es ging in sanften Wellen berauf und bergab, mal über Asphalt, mal über Schotter und durch Wald dem nächsten VP entgegen. Hier bei KM 20 war auch der erste Wechsel der Staffeln. Ein wenig beneidete ich die Läufer, die ihre Aufgabe bereits hier erledigt hatten. Doch noch fühlte ich mich gut und gestärkt mit Kuchen, Riegeln und reichlich Flüssigkeit ging es weiter.

So alleine durch die Nacht zu laufen ist eine besondere Erfahrung. Die äußeren Reize sind auf ein Minimum reduziert und ich konzentrierte mich ganz auf das Laufen und die mich begleitenden Gedanken. Die Befürchtung, es könne langweilig werden oder die Müdigkeit könnte mich übermannen, wurde nicht bestätigt. Vielmehr war ich überrascht, wie schnell die Abschnitte zwischen den VP verflogen. Vor dem Lauf hatte ich mir vorgenommen, möglichst nicht an das Ziel zu denken, sondern die Strecke in kurze Zwischenziele zu unterteilen. Dies gelang mir gut - ich bin mir sicher, dass mich die Strecke sonst zermürbt hätte. Kurz vor KM 30 lief ein Staffelläufer auf mich auf. Für ihn war es das erste Mal, 30KM zu laufen. Ein Drittel seiner Strecke hatte er bereits geschafft und noch fühlte er sich frisch. Durch die Unterhaltung mit ihm verging die Zeit noch schneller. Leider konnten wir nicht bis zum VP bei KM 50 zusammenbleiben, da er nach etwa einer Stunde gemeinsamen Laufens mit Blasen an den Füßen zu kämpfen hatte und einen Gang zurückschalten musste.

So musste ich mich wieder alleine durchschlagen. Inzwischen waren auch, mit Ausnahme von Jugendlichen, die sich auf andere Weise die Nacht zum Tag machten und uns Läufer mit großem Hallo anfeuerten, kaum Menschen abseits der VP an der Strecke. Gerade jetzt, wo die Nacht am kältesten und der folgende Streckenabschnitt recht eintönig an der Iller entlang ging. Mittlerweile hatte sich mein rechtes Bein gemeldet – eigentlich viel zu früh für die noch nicht sehr schwierige Strecke. Der Oberschenkel sendete permanente Schmerzreize, die auch nicht durch kurzes Dehnen nachließen. Sollten das die ersten Anzeichen dafür sein, dass ich den Lauf nicht beende? Aber erst mal weiter – wenn´s gar nicht mehr geht, kann ich bei KM 50 aussteigen, dacht ich mir.

Ich drosselte das Tempo ein wenig. Zwar hatte ich im Vorfeld den Wunsch, unter 10 Stunden zu bleiben und noch war ich im Zeitplan. Aber was hatte ich davon irgendwo auf der Strecke im Zeitplan aussteigen zu müssen? Das Ziel in Blaustein, (fast) egal in welcher Zeit, war mir jetzt viel wichtiger. Weiter ging es durch die kühle Nacht entlang der Iller, zunächst am linken dann am rechten Ufer bis wir auf die Donau stießen. In der Donaubastion Roxy in Ulm sollte die erste Hälfte geschafft sein. Zwar zogen sich die Kilometer endlos lange hin, aber das viel früher als gedacht einsetzende Morgengrauen und das lauter werdende Gezwitscher der Vögel lenkten mich von lähmenden Gedanken ab.

Halbzeit. Im Roxy beschloss ich, eine längere Pause zu machen. Ich versorgte mich mit warmen Tee, Brühe und Bananen, dehnte meine müden Beine um nach 10 Minuten erholter weiter zu laufen. In den letzten Tagen hatte ich mir immer wieder vorgestellt, wie es sein wird, in den Sonnenaufgang zu laufen. Viele Läufer hatten dies in ihren Berichten als ein besonderes Erlebnis beschrieben. Doch noch war es nicht soweit. Es war kurz nach vier Uhr und die Sonne sollte in etwa einer Stunde aufgehen. Die Strecke führte flach entlang der Donau, was zwar eintönig war, aber einen konstanten Laufrhythmus ermöglichte. Die Vögel wurden lauter, die Stirnlampe konnte ausgeschaltet werden. An der folgenden Verpflegungsstation lief ich auf einen Läufer auf. Die Möglichkeit, mal wieder ein paar Worte zu wechseln tat gut, deren Inhalt weniger. Ich war bereits ganz schön geschafft und als er mir erzählte, dass uns in wenigen Kilometern einige giftige Steigungen erwarteten, wurde meine Motivation nicht gesteigert. Wieder kamen mir Gedanken in den Kopf, den Lauf vorzeitig zu beenden. Wem wollte ich hiermit etwas beweisen? Niemandem außer mir! Und genau das machte ein vorzeitiges Beenden unmöglich...

Und dann ging die Sonne auf. Ein leuchtend roter Ball, der einen neuen, herrlichen Tag ankündigte. Genau rechtzeitig, um neue Energie in mir zu wecken, bevor die gemeinen Steigungen begannen. In einem Wohngebiet zog sich eine Rampe mit 20%iger Steigung nach oben, gefolgt von Serpentinen um einen Spielplatz herum. Hier war Laufen nicht mehr drin und ich legte die nächsten Meter im Gehen zurück, bevor der Weg über eine unebene Wiese und über einen Friedhof zur Klosterkirche verlief und ich zum VP KM 65 kam. Hier hieß es wieder etwas zu sich nehmen, was der Körper aufnehmen kann – viel ging nicht. Die Müsliriegel stellten keinen kulinarischen Höhepunkt mehr dar und das Rosinenbrot, das ich sehr gerne esse, ging nicht so richtig runter. Noch 35 Kilometer – nicht mehr als ein langer Trainingslauf, aber auch nicht weniger! Und laut Höhenmesser waren die darüber hinaus noch mit 600 Hm gewürzt.

Kurz nach dem VP lief ich auf Anton Lautner auf. Den kannte ich von seinen zahlreichen Berichten. Auch über diesen Lauf hat er einen kurzweiligen und informativen Bericht bei marathon4you.de geschrieben. Schnell kamen wir ins Gespräch, was zu diesem Zeitpunkt richtig gut tat. Der Anton hat schon sehr viele Marathons hinter sich gebracht, doch hier und heute lief auch er seinen ersten 100er. Die zahlreichen Anekdoten ließen die nächsten Kilometer wie im Fluge vergehen und so erreichten wir bei KM 75 die nächste Verpflegungsstelle. Der Appetit war größer und es gab warme Kartoffeln, die mit Salz ein wahrer Genuss waren. Noch einen Kaffee und Kuchen hinterher und weiter ging es gemeinsam dem Ziel entgegen.

Der folgende Streckenabschnitt war landschaftlich herrlich und gemeinsam ließ er sich noch besser genießen. Lediglich die Bergabpassagen wurden mir zur Qual. Beide Oberschenkel taten inzwischen richtig weh und so blickte ich unwohl auf die restlichen Kilometer. Schließlich musste ich ja irgendwie wieder runter nach Blaustein kommen...

In der beeindruckenden Zitadelle Wilhelmsburg bei KM 80 war der nächste VP untergebracht. Klasse, wie es die Organisatoren geschafft haben, die kulturellen Höhepunkte dieser Strecke in Szene zu setzen. Anton griff hier zum kühlen Radler, wobei ich mich mit alkfreiem Weizen begnügte – schließlich warteten noch ein knapper Halbmarathon auf uns! Die folgende Strecke bergab war Gift für meine Beine. Ich eierte mehr schlecht als recht hinunter. Anton war zwar auch nicht mehr frisch, doch brachte er diese Abschnitte weit besser hinter sich. Ohne dass wir es abgesprochen hätten war klar, dass wir die restliche Strecke gemeinsam zurücklegen wollten. Zu zweit läuft es sich viel besser, v.a. wenn man bereits eine Nacht durchlaufen hat. Immer wieder wechselten sich nun Steigungen und Gefälle ab. Die schöne Landschaft ließ nicht mehr alle Qualen vergessen. Vorbei an Schafherden und einem Militärgelände verlief die Strecke nun auf breiten, asphaltierten Wegen. Obwohl es noch sehr früh war, brannte die Sonne schon ordentlich vom Himmel und wir waren im weiteren Verlauf froh über jeden schattigen Abschnitt. Die Verpflegungspunkte waren nun für die Aufnahme von genügend Flüssigkeit unverzichtbar, feste Nahrung ging aber bei mir nicht mehr rein! Im Gegensatz zur Nacht waren etwas mehr Menschen an der Strecke und die Anfeuerungen der etwas unverständlich dreinschauenden Leute waren Balsam auf unsere Läuferseelen. An Aufgeben hatte ich schon lange nicht mehr gedacht und als wir das KM 90 Schild passierten war uns klar, dass wir ins Ziel kommen werden. Wir setzten uns sogar noch mal ein Zeitziel: unter elf Stunden sollte möglich sein – und wenn nicht, ist´s auch egal! 

Ab hier war jeder Kilometer ausgeschildert. Die Strecke ging eben auf der Anhöhe entlang, bevor sie nach der letzen Verpflegungsstelle, die wir nur zur schnellen Flüssigkeitsaufnahme nutzten, in das schöne Kiesental hinunter führte. Noch 6 Kilometer. Doch die ziehen sich. Immer wieder geht es bergauf und bergab. „Bis zum Schluss soll hier unsere Motivation getestet werden“, meinte der Anton und ich gab ihm Recht. Die letzten 10 Kilometer hatten wir im 6-Minuten-Tempo hinter uns gebracht und als wir am Schild KM 99 vorbeiliefen war es Gewissheit – gleich sollten wir gemeinsam unseren ersten 100er in unter elf Stunden beenden.

Zum Spaß fragte ich Anton, ob wir im Station sprinten sollen – natürlich Quatsch! Wir wollten den schönsten Kilometer des gesamten Laufes richtig auskosten. Ein wahnsinniges Gefühl überkam mich - einfach schwer in Worte zu fassen. Lange hatte ich auf diesen Lauf trainiert, dabei sicher nicht alles richtig gemacht. In den letzten Stunden war ich durch viele Tiefen gegangen, hatte mich aber immer wieder zum Weiterlaufen motivieren können. Und nun trennten mich nur noch läppische 300Meter vom Ziel. Das kleine Station war nur spärlich mit Zuschauern gefüllt, aber die feuerten uns dafür umso begeisterter an. Yvonne, Dagmar und Thomas waren auch bereits hier, um mich zu empfangen – darauf hatte ich mich in den letzten knapp 11 Stunden besonders gefreut! Anton und ich fassten uns an den Händen und streckten unsere Arme in die Luft. Der wohl etwas überforderte Stadionsprecher verwechselte bei unserer Ankündigung noch die Startnummer – aber das war nebensächlich. Nur noch wenige Schritte, dann war es geschafft – stolz überquerten wir die Ziellinie und der erste 100KM Lauf war geschafft! Wir bekamen unsere Medaille umgehängt und ein Finisher-T-Shirt in die Hand gedrückt. Nachdem mich Yvonne herzlich in die Arme geschlossen hatte, musste ich mich setzten. Mir war schwindelig geworden. Anton meinte noch, ich sollte lieber einen Stuhl nehmen, nicht, dass ich nicht mehr auf die Beine komme – er sollte Recht behalten.

Auch wenn ich in den folgenden Tagen sehr schwere Beine hatte, blicke ich doch sehr positiv auf dieses besondere Lauferlebnis zurück. Ob ich mal wieder einen 100er laufe? Klar! Das Gefühl, wenn man über die Ziellinie läuft, ist jede Anstrengung wert!

Euer Oliver


Infos:
www.ulmer-100km.de


Oli und Anton: Letzte Verpflegung vor dem Ziel

Noch 1km

Geschafft!

Überglücklich im Ziel mit Anton.

 
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