Motiviert durch den langen Kanten
am Rennsteig 2008 und zahlreiche Berichte im Internet, beschloss ich,
selbst eine so lange Strecke anzugehen. Ursprünglich sollte die Premiere
in Biel stattfinden, hatte ich doch so viel Positives von diesem Lauf
gehört. Darüber hinaus stellte die Durchführung als Nachtlauf eine
besondere Herausforderung dar. Als ich kurz vor Jahreswechsel auf die
zum ersten Mal stattfindenden Ulmer Laufnacht stieß, stand mein
Entschluss fest: Ich werde meinen ersten 100er laufen.
Eine frühe Anmeldung sollte mich
anspornen, das Training dafür konsequent zu verfolgen und der
diesjährige Rennsteig, bei dem ich mich im Vergleich zum Vorjahr um
knapp 1 ½ Stunden auf eine für mich klasse Zeit von 6:58 Stunden
verbessern konnte, stärkte mich mental.
Nun war es
soweit. In Begleitung meiner Freundin Yvonne reisten wir bereits am
Donnerstag nach Ulm an und nutzten die Gelegenheit, hier unsere Freunde
Dagmar und Thomas zu besuchen. Je näher der Lauf rückte, desto größer
wurde meine Nervosität – ich träumte sogar mehrmals von dem Lauf und
malte mir aus, wie es wird, eine ganze Nacht durchzulaufen. Fragen wie
„bin ich wirklich fit genug, dies zu bewältigen“ gingen mir durch den
Kopf – so war ich froh, mich am Freitag bei einem ausgiebigen Bummel
durch die schöne Stadt Ulm, ablenken zu können.
Der Start rückte
unaufhaltsam näher. Gestärkt durch leckere Pasta fuhren wir gemeinsam
mit unseren Freunden nach Blaustein, wo die erste Ulmer Laufnacht
gestartet werden sollte. Etliche Läufer hielten sich in der Lixturnhalle
auf, in der die Organisation des Rennens untergebracht war. Es gab die
Möglichkeit, sich in einem bereitgestellten Matratzenlagern auszuruhen,
sich ein letztes Mal mit Spätzle zu stärken und sich bei einem
ausgiebigen Briefing die letzten Infos über die Strecke zu holen. So ein
Briefing kann hilfreich sein und einem letzte Fragen beantworten – was
ich jedoch zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen wollte war, dass neben
der horizontalen Distanz auch noch 900 Höhenmeter hinter sich gebracht
werden mussten, wobei sich der Großteil erst auf dem Streckenabschnitt
nach KM 60 befinden sollte. Da habe ich wohl das Höhenprofil auf der
Homepage des Veranstalters nicht richtig interpretiert! Insgesamt war
alles gut organisiert, die Helfer waren freundlich und die Stimmung
unter den Teilnehmern voller Vorspannung. Der Start sollte um 23.00Uhr
am benachbarten Leichtathletikplatz stattfinden, wo sich kurz vorher die
Läuferschar einfand. Die Möglichkeit, sich von einem Radfahrer begleiten
zu lassen, nutzten einige. Um möglichen Staus zu Beginn des Laufes
vorzubeugen, sollten diese jedoch erst am ersten Verpflegungspunkt bei
KM 10 zu den jeweiligen Läufern stoßen. Ein besonderes Ereignis war das
Vorglühen von vier Heißluftballons, die in der Mitte das Platzes standen
und für eine schöne Atmosphäre sorgten.
Pünktlich um
23.00Uhr war es soweit. Mit einem großartigen Feuerwerk wurden 350
Läufer – unter ihnen auch viele Staffelläufer – in die lange und kalte
Nacht geschickt. Da der Wetterbericht keinen Regen prognostizierte,
beschloss ich mit kurzer Hose, kurzem Trikot und Ärmlingen zu laufen.
Mit Ausnahme von wenigen Abschnitten, die durch Senken oder nahe am
Wasser entlang führten, war die Nacht mild und meine Kleidungswahl die
richtige. Bis zum ersten Verpflegungspunkt bei KM 10, den wir nach einer
langen, sanften Steigung erreichten, waren viele Läufer beieinander und
ich hoffte, jemanden zu finden, mit dem ich zumindest zu Beginn
gemeinsam durch die Nacht laufen könnte. Doch schnell stellte sich
heraus, das es eine einsame Nacht werden sollte.
Nach dem ersten Verpflegungspunkt, an dem wir Läufer begeistert
empfangen wurden, zog sich das Feld auseinander und die Läufer liefen
wie an einer Schnur aufgereiht mit rot blinkenden Lichtern hinter
einander her. Da ich noch immer einen vollen Magen hatte, griff ich hier
lediglich zu einer Tüte Studentenfutter, die ich langsam und genüsslich
aufaß – leider stellte sich schnell heraus, dass mir der hohe Fettanteil
der Nüsse nicht bekömmlich war, weshalb ich beinahe bis in die
Morgenstunden mit einer latenten Übelkeit zu kämpfen hatte.
Die Strecke war
weiterhin abwechslungsreich. Es ging in sanften Wellen berauf und
bergab, mal über Asphalt, mal über Schotter und durch Wald dem nächsten
VP entgegen. Hier bei KM 20 war auch der erste Wechsel der Staffeln. Ein
wenig beneidete ich die Läufer, die ihre Aufgabe bereits hier erledigt
hatten. Doch noch fühlte ich mich gut und gestärkt mit Kuchen, Riegeln
und reichlich Flüssigkeit ging es weiter.
So alleine durch
die Nacht zu laufen ist eine besondere Erfahrung. Die äußeren Reize sind
auf ein Minimum reduziert und ich konzentrierte mich ganz auf das Laufen
und die mich begleitenden Gedanken. Die Befürchtung, es könne langweilig
werden oder die Müdigkeit könnte mich übermannen, wurde nicht bestätigt.
Vielmehr war ich überrascht, wie schnell die Abschnitte zwischen den VP
verflogen. Vor dem Lauf hatte ich mir vorgenommen, möglichst nicht an
das Ziel zu denken, sondern die Strecke in kurze Zwischenziele zu
unterteilen. Dies gelang mir gut - ich bin mir sicher, dass mich die
Strecke sonst zermürbt hätte. Kurz vor KM 30 lief ein Staffelläufer auf
mich auf. Für ihn war es das erste Mal, 30KM zu laufen. Ein Drittel
seiner Strecke hatte er bereits geschafft und noch fühlte er sich
frisch. Durch die Unterhaltung mit ihm verging die Zeit noch schneller.
Leider konnten wir nicht bis zum VP bei KM 50 zusammenbleiben, da er
nach etwa einer Stunde gemeinsamen Laufens mit Blasen an den Füßen zu
kämpfen hatte und einen Gang zurückschalten musste.
So musste ich
mich wieder alleine durchschlagen. Inzwischen waren auch, mit Ausnahme
von Jugendlichen, die sich auf andere Weise die Nacht zum Tag machten
und uns Läufer mit großem Hallo anfeuerten, kaum Menschen abseits der VP
an der Strecke. Gerade jetzt, wo die Nacht am kältesten und der folgende
Streckenabschnitt recht eintönig an der Iller entlang ging. Mittlerweile
hatte sich mein rechtes Bein gemeldet – eigentlich viel zu früh für die
noch nicht sehr schwierige Strecke. Der Oberschenkel sendete permanente
Schmerzreize, die auch nicht durch kurzes Dehnen nachließen. Sollten das
die ersten Anzeichen dafür sein, dass ich den Lauf nicht beende? Aber
erst mal weiter – wenn´s gar nicht mehr geht, kann ich bei KM 50
aussteigen, dacht ich mir.
Ich drosselte das
Tempo ein wenig. Zwar hatte ich im Vorfeld den Wunsch, unter 10 Stunden
zu bleiben und noch war ich im Zeitplan. Aber was hatte ich davon
irgendwo auf der Strecke im Zeitplan aussteigen zu müssen? Das Ziel in
Blaustein, (fast) egal in welcher Zeit, war mir jetzt viel wichtiger.
Weiter ging es durch die kühle Nacht entlang der Iller, zunächst am
linken dann am rechten Ufer bis wir auf die Donau stießen. In der
Donaubastion Roxy in Ulm sollte die erste Hälfte geschafft sein. Zwar
zogen sich die Kilometer endlos lange hin, aber das viel früher als
gedacht einsetzende Morgengrauen und das lauter werdende Gezwitscher der
Vögel lenkten mich von lähmenden Gedanken ab.
Halbzeit. Im Roxy
beschloss ich, eine längere Pause zu machen. Ich versorgte mich mit
warmen Tee, Brühe und Bananen, dehnte meine müden Beine um nach 10
Minuten erholter weiter zu laufen. In den letzten Tagen hatte ich mir
immer wieder vorgestellt, wie es sein wird, in den Sonnenaufgang zu
laufen. Viele Läufer hatten dies in ihren Berichten als ein besonderes
Erlebnis beschrieben. Doch noch war es nicht soweit. Es war kurz nach
vier Uhr und die Sonne sollte in etwa einer Stunde aufgehen. Die Strecke
führte flach entlang der Donau, was zwar eintönig war, aber einen
konstanten Laufrhythmus ermöglichte. Die Vögel wurden lauter, die
Stirnlampe konnte ausgeschaltet werden. An der folgenden
Verpflegungsstation lief ich auf einen Läufer auf. Die Möglichkeit, mal
wieder ein paar Worte zu wechseln tat gut, deren Inhalt weniger. Ich war
bereits ganz schön geschafft und als er mir erzählte, dass uns in
wenigen Kilometern einige giftige Steigungen erwarteten, wurde meine
Motivation nicht gesteigert. Wieder kamen mir Gedanken in den Kopf, den
Lauf vorzeitig zu beenden. Wem wollte ich hiermit etwas beweisen?
Niemandem außer mir! Und genau das machte ein vorzeitiges Beenden
unmöglich...
Und dann ging die
Sonne auf. Ein leuchtend roter Ball, der einen neuen, herrlichen Tag
ankündigte. Genau rechtzeitig, um neue Energie in mir zu wecken, bevor
die gemeinen Steigungen begannen. In einem Wohngebiet zog sich eine
Rampe mit 20%iger Steigung nach oben, gefolgt von Serpentinen um einen
Spielplatz herum. Hier war Laufen nicht mehr drin und ich legte die
nächsten Meter im Gehen zurück, bevor der Weg über eine unebene Wiese
und über einen Friedhof zur Klosterkirche verlief und ich zum VP KM 65
kam. Hier hieß es wieder etwas zu sich nehmen, was der Körper aufnehmen
kann – viel ging nicht. Die Müsliriegel stellten keinen kulinarischen
Höhepunkt mehr dar und das Rosinenbrot, das ich sehr gerne esse, ging
nicht so richtig runter. Noch 35 Kilometer – nicht mehr als ein langer
Trainingslauf, aber auch nicht weniger! Und laut Höhenmesser waren die
darüber hinaus noch mit 600 Hm gewürzt.
Kurz nach dem VP
lief ich auf Anton Lautner auf. Den kannte ich von seinen zahlreichen
Berichten. Auch über diesen Lauf hat er einen kurzweiligen und
informativen Bericht bei marathon4you.de geschrieben. Schnell kamen wir
ins Gespräch, was zu diesem Zeitpunkt richtig gut tat. Der Anton hat
schon sehr viele Marathons hinter sich gebracht, doch hier und heute
lief auch er seinen ersten 100er. Die zahlreichen Anekdoten ließen die
nächsten Kilometer wie im Fluge vergehen und so erreichten wir bei KM 75
die nächste Verpflegungsstelle. Der Appetit war größer und es gab warme
Kartoffeln, die mit Salz ein wahrer Genuss waren. Noch einen Kaffee und
Kuchen hinterher und weiter ging es gemeinsam dem Ziel entgegen.
Der folgende
Streckenabschnitt war landschaftlich herrlich und gemeinsam ließ er sich
noch besser genießen. Lediglich die Bergabpassagen wurden mir zur Qual.
Beide Oberschenkel taten inzwischen richtig weh und so blickte ich
unwohl auf die restlichen Kilometer. Schließlich musste ich ja irgendwie
wieder runter nach Blaustein kommen...
In der
beeindruckenden Zitadelle Wilhelmsburg bei KM 80 war der nächste VP
untergebracht. Klasse, wie es die Organisatoren geschafft haben, die
kulturellen Höhepunkte dieser Strecke in Szene zu setzen. Anton griff
hier zum kühlen Radler, wobei ich mich mit alkfreiem Weizen begnügte –
schließlich warteten noch ein knapper Halbmarathon auf uns! Die folgende
Strecke bergab war Gift für meine Beine. Ich eierte mehr schlecht als
recht hinunter. Anton war zwar auch nicht mehr frisch, doch brachte er
diese Abschnitte weit besser hinter sich. Ohne dass wir es abgesprochen
hätten war klar, dass wir die restliche Strecke gemeinsam zurücklegen
wollten. Zu zweit läuft es sich viel besser, v.a. wenn man bereits eine
Nacht durchlaufen hat. Immer wieder wechselten sich nun Steigungen und
Gefälle ab. Die schöne Landschaft ließ nicht mehr alle Qualen vergessen.
Vorbei an Schafherden und einem Militärgelände verlief die Strecke nun
auf breiten, asphaltierten Wegen. Obwohl es noch sehr früh war, brannte
die Sonne schon ordentlich vom Himmel und wir waren im weiteren Verlauf
froh über jeden schattigen Abschnitt. Die Verpflegungspunkte waren nun
für die Aufnahme von genügend Flüssigkeit unverzichtbar, feste Nahrung
ging aber bei mir nicht mehr rein! Im Gegensatz zur Nacht waren etwas
mehr Menschen an der Strecke und die Anfeuerungen der etwas
unverständlich dreinschauenden Leute waren Balsam auf unsere
Läuferseelen. An Aufgeben hatte ich schon lange nicht mehr gedacht und
als wir das KM 90 Schild passierten war uns klar, dass wir ins Ziel
kommen werden. Wir setzten uns sogar noch mal ein Zeitziel: unter elf
Stunden sollte möglich sein – und wenn nicht, ist´s auch egal!
Ab hier war jeder
Kilometer ausgeschildert. Die Strecke ging eben auf der Anhöhe entlang,
bevor sie nach der letzen Verpflegungsstelle, die wir nur zur schnellen
Flüssigkeitsaufnahme nutzten, in das schöne Kiesental hinunter führte.
Noch 6 Kilometer. Doch die ziehen sich. Immer wieder geht es bergauf und
bergab. „Bis zum Schluss soll hier unsere Motivation getestet werden“,
meinte der Anton und ich gab ihm Recht. Die letzten 10 Kilometer hatten
wir im 6-Minuten-Tempo hinter uns gebracht und als wir am Schild KM 99
vorbeiliefen war es Gewissheit – gleich sollten wir gemeinsam unseren
ersten 100er in unter elf Stunden beenden.
Zum Spaß fragte
ich Anton, ob wir im Station sprinten sollen – natürlich Quatsch! Wir
wollten den schönsten Kilometer des gesamten Laufes richtig auskosten.
Ein wahnsinniges Gefühl überkam mich - einfach schwer in Worte zu
fassen. Lange hatte ich auf diesen Lauf trainiert, dabei sicher nicht
alles richtig gemacht. In den letzten Stunden war ich durch viele Tiefen
gegangen, hatte mich aber immer wieder zum Weiterlaufen motivieren
können. Und nun trennten mich nur noch läppische 300Meter vom Ziel. Das
kleine Station war nur spärlich mit Zuschauern gefüllt, aber die
feuerten uns dafür umso begeisterter an. Yvonne, Dagmar und Thomas waren
auch bereits hier, um mich zu empfangen – darauf hatte ich mich in den
letzten knapp 11 Stunden besonders gefreut! Anton und ich fassten uns an
den Händen und streckten unsere Arme in die Luft. Der wohl etwas
überforderte Stadionsprecher verwechselte bei unserer Ankündigung noch
die Startnummer – aber das war nebensächlich. Nur noch wenige Schritte,
dann war es geschafft – stolz überquerten wir die Ziellinie und der
erste 100KM Lauf war geschafft! Wir bekamen unsere Medaille umgehängt
und ein Finisher-T-Shirt in die Hand gedrückt. Nachdem mich Yvonne
herzlich in die Arme geschlossen hatte, musste ich mich setzten. Mir war
schwindelig geworden. Anton meinte noch, ich sollte lieber einen Stuhl
nehmen, nicht, dass ich nicht mehr auf die Beine komme – er sollte Recht
behalten.
Auch wenn ich in
den folgenden Tagen sehr schwere Beine hatte, blicke ich doch sehr
positiv auf dieses besondere Lauferlebnis zurück. Ob ich mal wieder
einen 100er laufe? Klar! Das Gefühl, wenn man über die Ziellinie läuft,
ist jede Anstrengung wert!
Euer Oliver
Infos: www.ulmer-100km.de
Oli und Anton: Letzte Verpflegung vor dem Ziel |
Noch 1km |
Geschafft! |
Überglücklich im Ziel mit Anton. |
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