Die Anfahrt nach Luzern
        Über Bregenz 
        das Rheintal herunterkommend, am fjordgestreckten Waalensee entlang, mit 
        dem spontan drängenden Bedürfnis dort von der Straße zum See hin 
        abzufahren, um mich in das blendende Flutlicht der Sonne zu strecken. Wahrscheinlich wäre ich nur im so stark von der Seeoberfläche 
        reflektierten Sonnenlicht erblindet. So fahren wir die Bergwelt verlassend 
        weiter auf Landwegen an die Spitzausläufer des Zürichsees, um dann auf 
        einmal, zu diesem Zeitpunkt unerwartet in den Stadtverkehr von Luzern 
        eingesaugt zu werden. Ein bisschen hat es mich schon innwendig geärgert, also dieser „human defect“,  diese meist schon charakteristische Vergesslichkeit von 
        mir. Habe ich doch sowohl die Örtlichkeit unseres vorgebuchten Hotels 
        nicht parat als auch die Anmeldung zum Marathon selber vergessen. Und 
        ich 
        weiß  beim besten verflixten Willen nicht, wo die Startnummernausgabe 
        ist.  
        
          
            
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        Birgit, 
        mein ehelicher Rettungsengel, zeigte mal wieder die Geduld, die ich so 
        an ihr liebe, weil sie auch diese Situationen mit einen ungemeinen 
        Vertrauen auf das „Irgendwie-wird-das-schon-noch-mit-ihm“ meistert. Sie 
        hält allweil souverän unaufgeregt zu mir und rangiert unseren 
        verbeulten weinroten Mercedes E 190 couragiert durch den unduldsamen 
        Geschäftsverkehr der Luzerner Innenstadt. Die Geschäfte werden heute 
        bereits um 
        16:00 Uhr schließen. Dann geschieht mir doch die Gnade des 
        Zufalls vor meiner persönlichkeitseigenen Vergesslichkeit: Da ist die Tourist-Info rechterhand vorbeigeflitzt. Nervös geworden und riskant 
        rote Ampeln negierend, entkomme ich dem innerstädtischen Verkehrsfluss 
        Schweizer Einkaufsflüchtlinge und finde dort freundlichsten Rat und 
        jegliche Info, die ich brauche, um mich in Luzern nun zurechtzufinden.
         
         
        Amor 
        urbis Lucernae I 
        Diese 
        Stadt musste einen Marathon anlocken. Schräg und scharf geschnitten 
        scheint eine nachmittägliche Herbstsonne durch die Straßen, schneidet 
        Schattenlinien über die mondänen Stadthäuser und Empirehotels am See. 
        Ein erster Eindruck weitet meine Empfindung. Das ist wichtig sage ich 
        mir, wenn ich eine fremde Stadt im ersten impressionistischen Eindruck 
        in mich aufnehmen will. Schön bist du Luzern, und so wohl gelegen, 
        gesättigt mit den Bergen reihum und dem See auf dem dein Spiegelbild 
        tänzelt. Ein südliches Versprechen bist du, denke ich, obwohl du auf der 
        Nordseite vor der Alpenhauptkette gelegen bist. Zum ersten Mal über die 
        Stadtbrücke zum Schweizerhof, wo wir die Startnummern abholen wollen.
         
        
          
            
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        Historisch ist der Schweizerhof bekannt geworden, weil dort die 
        Geheimtreffen des Generals Wolff mit den Alliierten im Frühjahr 1945 
        stattgefunden haben. Dadurch hat die gesamte Heeresgruppe der deutschen 
        Wehrmacht in Oberitalien noch im April 1945 ohne „Endkampf“ in den Alpen 
        kapituliert können. 
        
        Startnummernausgabe im Schweizer 
        Hof und die Nacht von Luzern 
        
        Die Starnummernausgabe fand im Schweizer Hof statt, und das ist ja 
        nicht irgendein Hotel. Dieser entsprechend kultivierte Rahmen eines 
        Nobelhotels formte auch meine Manieren entsprechend zu mehr höflicher 
        Gestik und Geduld. Eine ansonsten aufgeregte Messeatmosphäre wie auf 
        anderen Marathonläufen konnte ich hier nicht bemerken. Die 
        Organisation war ein Schweizer Meisterwerk: Präzise im Ablauf und 
        charmant durch die lächelnd geschenkten Aufmerksamkeiten an den 
        Ausgabestellen. Das kann nur ein Schweizer Marathon bieten: Eine 
        zunächst triviale Sportveranstaltung mit einem fast 
        bürgerlich-aristokratischen Ambiente zu verbinden, in der kurzbehoste 
        und vor Startaufregung hopsige Läufer sich  so deplaziert 
        fühlen müssten wie ein Känguru im Kühlschrank. 
        
          
            
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        Vor dem 
        Hotel stehen Palmen Parade. Wenige Läufer, die nicht in Eile sind, 
        genießen zu dieser Zeit die letzten spektakulären Sonnenstrahlen an der 
        Uferpromenade. Um 16 Uhr schließt das Hotel die hohen Türen zu den 
        Repräsentationsräumen, pünktlich wie in der Ausschreibung angekündigt. 
        Viele Spätankommer, vor allem aus dem bayerischen 
         Ausland, wie Jürgen Schröpf vom LLC Marathon Regensburg, müssen sich die 
        Nummern am anderen Tag recht kompliziert vor dem Lauf abholen oder sich 
        die Starunterlagen telefonisch an der Hotelrezeption zurücklegen lassen. 
         
        Auch dies geschieht mit großzügiger Selbstverständlichkeit. Birgit und 
        ich holen unser Auto aus der Tiefgarage des Migros und finden auch an 
        den von uns abverlangten Parkkosten diesmal nichts Kritikwürdiges. 
        
          
            
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        Dank 
        des in der Tourist-Info erhaltenen Stadtplanes finden wir unser Hotel 
        einfach. Die Straßenstruktur Luzerns ist durchschaubar. 
        Birgit hat 
        um die Familienkasse noch mehr zu schonen einfach darauf bestanden das 
        billigste Hotel zu nehmen (ohne Dusche und Toilette am Zimmer). „Stell 
        Dich nicht so an, Du bist schließlich Marathonläufer und nicht als 
        Tourist nach Luzern gekommen“. Das Tourist-Hotel kann ich Euch wirklich 
        empfehlen, gleich an der aus dem 
        Vierwaldstättersee abfließenden Reuß gelegen, der es gerade so 
        wildwasserwild an dieser Stelle pressiert dem See zu entkommen. Ich würde dort wieder parkieren, trotz der 
        schlaflosen Nacht, die ich vor dem Marathon verbracht habe. Unser 
        Fenster ging zur Reuß hinaus und das rauschende Fließgeräusch ist für 
        mich bei 
        offenen Fenster einfach um den Schlaf bringend, ähnlich wie wenn man 
        neben einer deutschen Autobahn ohne Lärmschutzwall auf einer Wiese 
        schlafen müsste. 
        
          
            
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        Dabei ist die Heizung, die angestellt ist, nicht flexibel von Hand zu 
        regulieren. Sollte es also einfach an den geschlossenen Fenstern dieser 
        Nacht gelegen haben, dass meine O2 Sättigung für eine Zeit unter 4 
        Stunden, die ich auf jeden Fall laufen wollte, nicht gereicht hat? Aber 
        es ist so, dass viele Kritik die man sonst wohl unzufrieden äußern 
        würde, nur deswegen unterbleibt, weil das „Menschliche“ stimmt. Und das 
        war auch so! Durch besonderen Charme und eine immer passende freundliche 
        Fürsorge hat der aus Schottland stammende Portier, Jim McKellar, im 
        wunderbaren englisch-schweizerischen Idiom dafür gesorgt, dass Birgit 
        und ich uns wohl fühlten und wir die selbst gewählten Umstände 
        so gar nicht auf die wertende Goldwaage zu legen brauchten. 
         
        
          
            
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        Das Frühstück mit anderen Marathonis zusammen war ausgezeichnet, 
        reichhaltig und gut sortiert. Das nächste Mal in Luzern würde ich, um 
        noch ungelebte Erfahrung nachzuholen, im ehemaligen Kantonsgefängnis in 
        der Löwengasse nächtigen: Die Zellen sind noch original und nur 
        bescheiden auf Hotelstandart gebracht. (www.jailhotel.ch) 
        
        Amor urbis Lucernae II  
        
        Wir treten auf den Balkon über der Reuß 
        hinaus. Zuerst schaue ich ein fremdes Zimmer betretend immer nach 
        draußen als reflexive innere Handlung, wohl dem Bedürfnis nach 
        Orientierung und Selbstortung folgend, Ferne und örtlich Unbekanntes, 
        das mich umgibt im raschen Überblicken zu bestaunen. Das Rauschen des 
        Flusses dominiert alle anderen Geräusche, die aus dem nahen Stadtzentrum 
        heran dringen könnten. „Groß und mächtig, schicksalsträchtig“ macht sich 
        der Pilatus und nimmt das Gesichtsfeld nach Südosten ganz auf sich 
        beziehend ein, schneegekrönt im Gipfelbereich mit kalten Winden ganz 
        bestimmt da oben. Der berühmte Turm im verbreiterten Abflussbett der Reuß, irgendwie hat man ein asymmetrisches Gefühl für seinen Standort, 
        weil er die alte holzüberdachte Stadtbrücke aus dem 14. Jahrhundert 
        nicht in der Mitte schütz, hält oder verteidigt.  
        
          
            
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        Jetzt Anfang Oktober wird es früh dunkel. Birgit und ich gehen noch zur 
        alten Stadtmauer hinauf, die über einen Bergrücken gebaut es der Stadt 
        erlaubte, sich jederzeit gegen die habsburgischen Landvögte im Luzerner 
        Hinterland zu verteidigen. Von der Seeseite drohte keine invasorische 
        Unterdrückungsgefahr, denn die früheren Österreicher waren und sind es bis 
        heute: Unkundig im Schiffsbau. 
        
          
            
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        Eine fast 
        überirdische Feierlichkeit lag in dieser kühlen Herbstluft über der 
        Stadt. Das Atmen war ein Geschenk und das leichte, immer wieder 
        innehaltende Gehen auf der Stadtmauer mit Blick auf die erhellte Stadt 
        und den dunklen See weckte lyrische Erinnerungen. Die in Schwyz, Uri und 
        Unterwalden drüben angehenden Lichter der Dörfer und die Berghotels, die 
        auf den Höhen isoliert wie tiefliegende Sterne strahlende Lichtpunkte zu 
        uns herunterschickten. Der Halbmond im lila verwebten Nachthimmel 
        bildet eine ganz besondere Atmosphäre und hat uns auf jeden Fall 
        für diese Stadt empfindsam eingenommen. Hier könnte ich bleiben und 
        genießen, müsste ich nicht morgen schon auf die Marathonstrecke.
         
         
        Die Suche nach bayerischen Restaurantpreisen 
        
        Sicher gut 
        und gerne zwei dutzend Speisekarten in der Innenstadt studierend, um 
        bayrisch-konforme Preise für ein Nachtessen zu entdecken, bummeln Birgit 
        und ich anfänglich verärgert durch die Luzerner Innenstadt, nicht im 
        mindesten gewogen auch unter Berücksichtigung frei kalkulierter 
        Kursumrechnung sich diesen schweizerischen Preisdiktat zu unterwerfen. 
        Mit Zunahme von Müdigkeit jedoch, aus einem unklaren Gemisch von 
        Empörung, Erklärungsversuchen und Hunger, schwindet unser Widerstand 
        dahin und wir finden eine etwas abgelegene Kneipe, eher für arme 
        Studenten aus dem Oberland geöffnet, in der wir für ein 
        „Kinderschnitzel“ (gemäß der nach oben offenen oberpfälzischen Skala für
          Portionierungen im Gastgewerbe) und ein paar Bratkartoffelchen jeweils 
        28 Franken zahlen. 
        
          
            
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        Da musste 
        ich doch noch drei Bier an diesen Abend trinken. Die Restaurants sind 
        mit geselligen Runden kommunikativer Menschen randvoll überfüllt und die 
        vielen jungen Leute, die in zufälligen oder verabredeten Clans für das 
        bevorstehende nächtliche Vergnügungsleben auf den Plätzen zusammenstehen 
        oder sich in dafür tradierten Gassenwinkeln treffen und lachen, locken 
        uns heute nicht sonderlich zum Verweilen. Ich bin ja zum Marathon nach 
        Luzern gekommen.  
        
        
        Endlich: Der Luzerne Marathon 
        Birgit 
        und ich machen uns nach der Verabschiedung von Jim McKellar zu Fuß durch 
        die schon sonnenangewärmte Innenstadt zum Startplatz auf den Weg. An der 
        Uferpromenade nach Süden über den See hin zaubert die Sonne glitzernde 
        Lichtreflexe, noch einmal vorbei am Schweizer Hof. In die grünen 
        Seehügel, sanft und behutsam steigen sie vom See aus aufwärts, sind 
        viele weitere Hotels gestaffelt gebaut. Manchmal sieht man ein 
        manieriertes Wirrwarr an Gebäudekomplexen, jegliche Ästhetik negierend, 
        weil radikal neben respektable Noblesse aus dem Biedermeier auf 
        unerträgliche Weise modernistische Architektur geklotzt wurde. 
         
        
          
            
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        An der 
        Seepromenade ist schon viel los. Wie immer sind die Läufer mit Ritualen 
        beschäftigt. Jeder Läufer hat seinen individuellen Modus gefunden, wie 
        er sich die letzten 20 oder 30 Minuten vor dem Start verhalten will und 
        ist hierbei manchmal so aufgeregt, dass ein häufigeres 
        Miktionsbedürfnis, vor allen bei Männern, auftritt. Trotz ausreichenden 
        Toilettenhäuschen im Startbereich erleichtern sich die Buben in den See. 
        Es dürfte aber als ausgeschlossen gelten, dass sich die 
        Trinkwasserqualität heute signifikant verschlechtert. Wir genießen diese 
        vibrierende Anspannung kurz vor dem Start. Dieses erregende Startgefühl 
        mit einer ungeheueren Bewusstseinsdichte, wird sich erst wieder im 
        Laufen und durch das Laufen lösen lassen.  
        
          
            
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        Es wird in 
        Luzern gestaffelt gestartet. Alle paar Minuten verzögert, rückt ein 
        Startfeld der Startlinie immer näher und wird dann mit einer fast 
        unglaublichen Emphase von den Zuschauern auf den Weg geschickt. Das wird 
        sich den ganzen Lauf über beschreiben lassen: Diese Aufmerksamkeit der 
        Zuschauer, das ist das Größte für Läufer, die Anfeuerung mit deinem 
        persönlichen Vornahmen, Fremde werden simultan damit zu Freunden. 
        Exstatische Anfeuerungsrufe verführen Läufer zu spontanem Tempowechsel. 
        Die Caritas Luzern kann sich auch  beim 4. veranstalteten 
        Marathon wieder über die großzügige Kleiderspende der Läufer freuen. 
         
        
        Alle Kleidung, die sich für den Lauf nun 
        als zu warm und zu sperrig erweist, wird kurz vor 
        dem 
        Startschuss ausgezogen und mit einen Akt, der sowohl Freude über die 
        leichte Entsorgung als auch Spenderstolz bedeutet, schwungvoll und 
        entschieden über die Absperrgitter geworfen. Der Tag verspricht Licht, 
        wenn auch keine Erwärmung, die es mir aber erlaubt in kurzen Hosen zu 
        starten. Ich bin reichlich empfindlich. Ein letzter blinzelnder Blick 
        mit tiefen Durchatmen in die lichtumfangenen gelbbunten Baumblätter, 
        dann werden 
        wir endlich auf den Weg geschickt. 
        
          
            
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        Es geht 
        wieder hinunter über die breite Seebrücke, vor lauter Zuschauermassen 
        ist die Sicht auf die schöne Stadt blockiert. Ein schmaler Streifen See 
        leuchtet fast weiß durch die Menschenwand. Am Bahnhof vorbei, ein 
        einziger kollektiver Jubelschrei, ein langer grellblauer Teppich am 
        Art-Museum muss überlaufen werden, eine originale Dudelsacktruppe 
        mit grünen 
        Röckchen ist soldatisch brav aufmarschiert. Ich lasse mich 
        vorwärts treiben, überhole keine Vorderläufer, passe sorgfältig auf 
        niemanden anzurempeln. Ich genieße einfach nur die Wiederentdeckung  innerer 
        Ruhe nach der Startaufregung und fühle, wie mich die gleichgeformte 
        Bewegung in einen kurzen rhythmischen Taumel versinken lässt. 
        
          
            
              
            Blinder Läufer mit Begleiter, gut markiert von hinten zu erkennen | 
            
              
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        Schon lange laufe ich Marathonstrecken ohne auf die Uhr zu schauen. Ich 
        gebe meinem Körper die Fähigkeit zurück, über sich selbst zu wachen. Er 
        soll entscheiden, wie schnell mich meine Füße heute vorwärts tragen 
        wollen. Nur manchmal gebe ich dem Esel Körper diktatorische Befehle. Vor 
        allem auf der zweiten Runde wird das notwendig. Nach 3 km etwa 
        sind wir aus dem mondänen Seegürtel der Stadt in einen Vorort gelaufen, 
        der allerdings nicht, wie in vielen anderen Städten aus gesichtslosen 
        Fabrikhallen und industriellen Produktionsbetrieben besteht. 
        Siedlungsneubauten sieht man im Gegensatz zum Regensburger Umland in der 
        Schweiz relativ selten. Jedoch hier im nahen Stadtbereich entsteht neuer 
        Wohnraum in viergeschossiger Hochbauweise.  
        
        
        Es 
        stehen immer noch viele anfeuernde Zuschauer am breiten Straßenrand – 
        halten die so lange aus bis wir auf der zweiten Runde hier vorbeilaufen? 
        
          
            
              
            Sein offener Geist (und Schuh) charakterisieren... | 
            
              
            ...den Laufphilosoph Gottfried | 
           
         
        Langsam 
        bröseln die Gebäude ins nicht mehr gänzlich umbaute Umland hinaus, 
        dörflich wird es. Wiesen streuen sich zwischen die Häuser, eine mit 
        alpenländischer Souveränität dastehende Gruppe mit Alphörnern bläst uns 
        röhrend fast um. Und dann überrascht es mich schon, dass da plötzlich 
        eine Steigung beginnt, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe. 
        Lächelnd mit reduziertem Tempo die Schrittlänge verkürzend ist der Lauf 
        über den Hügel kein Problem.   
        
          
            
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        Es müssen aber noch 
        2 weitere Anstiege 
        überlaufen werden, die isoliert betrachtet für einen Läufer keine 
        ernsthafte Herausforderung darstellen. Jedoch führt das in Summe 
        dann beim zweiten Durchlaufen der Strecke doch zu erheblichen 
        Ermüdungserscheinungen und zu einem drastischen Anstieg der Herzfrequenz. Mensch, aber das ist doch das Salz in der Suppe des Läufers! 
        Es 
        gibt nichts Langweiligeres als die Ebene und die Gerade. Als Läufer 
        liebt man Wege, die ins noch nicht gelaufene Terrain abzirkeln, die auf 
        eine Höhe zuführen und uns mit einer neuen Aussicht auf einen neuen 
        Horizont beglücken.  
        
          
            
              
            „Wir wollen sein  ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns 
            trennen und Gefahr.  
            Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der 
            Knechtschaft leben.“  
  (Schiller) | 
           
         
        
        Der Luzern 
        Marathon hat sich in seiner 4. Auflage nun diskussionslos 
        etabliert. 1.500 klassische Marathon-Läufer im Ziel sind eine beachtliche 
        Anzahl. Mit den 4.500 Läufern über die Halbdistanz ist die Kapazität 
        lange noch nicht erschöpft. Ist der Marathonboom der 80er und 90er Jahre 
        mit unaufhörlichem Wachstum an Veranstaltungen und Teilnehmern andererorten schon mit rückläufiger Tendenzen beschrieben worden, so 
        dürfte für den Luzern Marathon, hier in der Mittelschweiz eher das 
        Gegenteil zu prognostizieren sein. Und das bei der Nähe zu den europaweit 
        bekannten Läufen in Biel, Lichtenstein, Lausanne, Davos, Jungfrau und 
        Zermatt. 
        
        Wir 
        durchlaufen unablässig in verdichteten Läuferpulks die Straße oberhalb 
        der buchtenreichen Uferlinie. Gegenüber grüßen uns unerreichbar nahe 
        Berge. Diese Gegend ist das Bethlehem der Schweiz, der imaginär-reale 
        Geburtsort freier, selbstbewusster Bauerngemeinschaften, die bereit 
        waren militärisch und mit einer weltgeschichtlich fast einsamen 
        Totalität gegen die historische Norm der Unterdrückung das Risiko der 
        Freiheit zu wagen.  
        
          
            
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        Nach 
        der Ortschaft Kastanienbaum kommen wir endlich direkt in Kontakt mit dem 
        See. 
        Oberhalb waren die Zugänge zum Wasser und von Luzern her in einer 
        ununterbrochenen Umzäunung versperrt. Wir konnten im manchmal atemlosen 
        Vorbeieilen einen Sekundenblick auf die Villengebäude hinunterwerfen, 
        die unbewohnt schienen. Zumindest empfing uns hier kein Beifall. Die 
        Spitze der Halbinsel wird besetzt von einer Frühstücksversammlung nobler 
        Applaudeure, die jedes Beifallsintermezzo zu einem weiteren Schluck aus 
        dem stets gefüllten Sektglas nützen. Langsam nähern wir uns der 
        Ortschaft Horw. Zum Luzerner Stadtberg, dem Pilatus. Mit der steilsten 
        Zahnradbahn der Schweiz ist er besiegbar. Wir müssen  den Kopf schon 
        weit in den Nacken legen, um ihn noch in seiner ganzen Höhe bestaunen zu 
        können. Immer wieder wird an allen Ecken und Abzweigungen musikalische 
        Unterhaltung geboten, dabei den Rhythmus der Läufer so interpretierend, 
        dass diese beim Passieren von einer vermeintlich ungewöhnlichen Kraft 
        vorwärts getragen werden. Wir nähern uns Luzern auf schon vertrauten 
        Wegen. Die uns bereits entgegenlaufenden Athleten an der Spitze des 
        langgezogenen Lauffeldes können uns keine Aufmerksamkeit 
        entgegenbringen. Wir jedoch gratulieren, nicht immer im lauten Zuruf, so 
        doch auf jeden Fall jeder mit stummer Bewunderung. Über den Inseliquai 
        durch das tosende Spalier enthemmt wirkender Zuschauer laufen wir zum 
        Europaplatz, überlaufen farblich irritiert den blendendblau ausgerollten 
        Teppich, kommen auf die Stadtbrücke und biegen auf die fast 2km lange Haldenstraße ein. 
        Sie bringt uns zur Marathonwende einige 
        Hundert Meter vor dem Ziel beim Verkehrshaus. Jeder Läufer wird 
        mit Namen einzeln vorgestellt. So höre ich auch merkwürdig fremd und wie 
        von ganz weit entfernt, meinen Namen über Lautsprecher ausgerufen. Die 
        Besucher an der Strecke können auf einmalige Weise voll in das 
        Laufgeschehen integriert werden, weil in Abständen mehrere Lautsprecher 
        die Nachrichten simultan die Straße aufwärts ausrufen. Das hat zur Folge, 
        und auf dem zweiten Rückweg werden es die Marathonläufer wirklich von 
        ganzen Herzen zu würdigen wissen, dass man namentlich mit guten Worten 
        von fremden Menschen motiviert wird. 
        
          
            
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        Die 
        2. Runde variiert nur geringfügig zur ersten. Wir 
        Marathonläufer passen nun überschaubar auf die Straßen und empfinden 
        unsere Strapazen solidarisch miteinander. Die Sonne des Vormittages ist 
        wie ausgeschaltet oder eher um einige Helligkeitsstufen niedriger 
        eingestellt. Wind kommt entgegen meteorologischer Prognosen nicht auf. 
        Ich kann laufen, unbekümmert laufen, wenn ich nicht frieren muss. Um das 
        zu verhüten, trage ich auch oft schon mal eine Stofflage zuviel mit mir 
        herum. Jeder der jetzt gehen muss, sollte die gute 
        Hoffnung 
        haben das Ziel zu erreichen, wenn nicht im selbst abgeforderten 
        Laufmodus, dann durch selbstverständlich erlaubte intermittierende 
        Gehpausen. 
        
          
            
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        Ich selbst fühle 
         
        eine Schwäche in mir, die auch durch ein etwas längeres Verweilen 
        am Verpflegungsstand kurz vor der Inselspitze nicht wieder zu vertreiben 
        ist. Die körperliche Befindlichkeit der Schwäche wird von 
        Marathonläufern oft viel beängstigender empfunden, als dies bei Läufern 
        vorkommt, die gewohnt sind weit über die Marathondistanzen 
        hinauszulaufen. Marathonläufer sind oft Zeitkontrolleure, die Schwäche 
        an sich nicht leicht akzeptieren mögen. Wenn der Weg noch so lang ist (das 30km-Schild habe ich gerade passiert) kann es vorkommen, dass auf 
        das Ankommen im Ziel so drängend fokussiert wird, dass die noch 
        zurückzulegende Distanz unüberwindbar scheint. 
         
        
          
            
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        Als ich gerade dabei bin mir eine innere 
        Zuflucht des passiven Zuwartens einzurichten und mein Lauftempo schon 
        reduziert habe, laufen mit blauen Ballons sofort zu erkennen, die beiden 
        Zugläufer für ein 4 Stunden Limit an mir vorbei. Mit willentlicher 
        Umschaltung auf mehr motorische Disziplin gebe ich den Befehl an meine 
        Beine im Pulk der Zugläufer für den Rest der Strecke zu verbleiben. Über 
        viele Kilometer gelingt mir das überraschenderweise, ich 
        wache wieder auf, partizipiere wieder am Laufgeschehen, mache auch 
        wieder Fotos, kann wieder selbstvergessend Kontakt mit Mitläufern 
        aufnehmen.  
        
          
            
              
            Die blaue Matte zur Halbdistanz 21km | 
           
         
        
        Laufen 
        bedeutet Abwarten können. Die Stadt kommt näher, wirklich näher. Zurück 
        zu den Alphornbläsern, noch einmal den Läuferlohn der applaudierenden 
        Zuschauer empfangen, die lange, lange Straße entlang mit der Sicherheit 
        eines definitiven Ankommens.   
        
          
            
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        Wieder die Lautsprecherdurchsagen mit 
        meinen Namen;. Ich höre noch ablenkungsbereit auf die Durchsagen und kann 
        ein sensibles Gefühl der Verabschiedung wahrnehmen, vom Marathon, von 
        dieser wunderbaren Stadt. In 1 Stunde schon werde ich mit Birgit auf 
        dem Weg in die Stadt Bern sein. Die Präsentation des Zieleinlaufs am 
        Verkehrshaus, dem Museum mit den meisten Besuchern in der Schweiz ist 
        schon ein besonderer Höhepunk. Ein Verkehrsflugzeug ist auf dem Platz 
        geparkt. Der Zielkanal ist mit einem roten Teppichläufer ausgelegt und 
        jetzt kommt man den begeisterten Zuschauern wirklich ganz nahe. Das hat 
        schon was und man ist verleitet viel langsamer zu laufen als man noch 
        kann, um hier diese Stimmung voll auskosten zu können. Im Ziel wird man 
        von Hans-Rudi Schorno, dem verantwortlichen Macher und Gestalter dieses 
        Marathons mit Handschlag und aufmunternden Glückwünschen begrüßt. Wären 
        jetzt auch noch die Duschen und Umkleideräume angrenzend und nicht in 
        einer Entfernung von 800 m auf einem Schulhof untergebracht, dann 
        wäre dies  ein ganz besonderes Positivum.  
        
          
            
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        So aber 
        könnte, vollverschwitzt wie wir sind, bei höheren Temperaturen und 
        grantigen Herbstwinden, dass Gehen zur Dusche recht unangenehme 
        Erkrankungsfolgen haben. Ein alle Läufer fassendes mobiles Duschzelt mit 
        herrlich heißem Wasser, besänftigt alle Fragen nach dem Wenn und Aber 
        einer Situation, die nicht existent ist. Heute nicht. Luzern, mein 
        Marathon, komme ich wieder?  
        
        Euer 
        
        Gottfried 
        Oel
         
         
  
        Infos 
        unter
        
        www.lucernemarathon.ch.  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
		  
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