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Letzte Änderung: 23.06.2011


Akropolis vor dem Start (um 07:00 h)

Spartathlon 245km

am 29.+30.09.2006










(Bericht + Fotos: Olaf Schmalfuss)


Medaille  (310 g)
 
 
Eindrücke von einem langen Ultralauf
... wenn nur ein Drittel der Starter ankommt
 

Ist es normal,
- im Zeitalter hoher technischer Entwicklung in allen Lebensbereichen,
- moderner Kommunikation per Telefon oder Internet
- in einer Zeit, geprägt durch hohe Mobilität
- verbunden mit dem Komfort perfekter Automobile und bequemer Flugzeuge,
ist es da normal, den Lauf eines griechischen Botenläufers in Form eines extrem harten Ultralaufes nachzuvollziehen?

Vor langer Zeit, vor ca. 2.500 Jahren, wurde Pheidippides von Athen nach Sparta geschickt, um militärische Hilfe im Krieg gegen die Perser zu bitten. Sehr schön beschrieben sind die historischen Zusammenhänge hier mit allen aus heutiger Sicht kuriosen Gegebenheiten. Die Spartaner z.B. durften nur bei Vollmond laufen, Pheidippides musste den Zeitverzug melden (also auch wieder zurücklaufen), und dergleichen. Von Zweifeln über die Geschichte geplagt (?) versuchte 1982 John Foden mit 4 weiteren Geschichtszweiflern, die Strecke des Pheidippides von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang am nächsten Tag zu bewältigen und schaffte es. Der Spartathlon, einer der härtesten Ultraläufe der Welt, war geboren.

Seit 1983 wird dieser Lauf organisiert (245,3 km) und jeweils am letzten Freitag im September um 7:00 h ist Start vor der Akropolis in Athen. Die Statue des Leonidas in Sparta muss spätestens am darauf folgenden Tag um 19:00 h berührt werden. Sehr knapp bemessen sind die Cut-Off-Zeiten auf den ersten 120 km. Große Hitze stellt eine Herausforderung an die Athleten.

Ich kenne den Lauf vom letzten Jahr, ich hatte zwei Stunden vor Zielschluss den (Schmal-)Fuß des Leonidas berührt.


Ein Sieger nach 245km zu Fuße des Leonidas
Es ist einer der wenigen Ultraläufe, bei dem am Start nicht sicher ist, ob man ankommt.

Selbst erfahrene Läufer haben hier schon oft aufgeben müssen, nach einem Sturz, nach Problemen mit dem Magen oder dem Laufapparat.

Mit Sicherheit steigt auch die eine oder andere mentale Memme vorzeitig in den Bus, der Zombies ähnelnde Wesen nach Sparta bringt.

Wer hier aufgibt hat keine gesunde Ausstrahlung mehr.

Dieses Jahr werden etwas mehr als ein Drittel (97) der Läufer das Ziel erreichen...
 

Und nun bin ich wieder zurück, im Hotel in einem kleinen Zweibettzimmer in dem vier erwachsene Männer untergebracht sind. „Mit drei Laufkumpels am Zimmer ist besser als mit einer Frau“ so scherzen wir. Der Schlafraum hat stolze 10 m2. Aber was will man bei einem Preis von 250 € für eine Woche „all inklusive“ noch mehr erwarten, inkl. einem 250 km Lauf mit 75 Verpflegungsstellen, einer Busfahrt von Sparta nach Athen, Museumsbesuchen, Essen mit dem Bürgermeister, sowie einer Abschlussfeier in Sparta und einer Siegerehrung in Athen, die es mit diesem Aufwand kaum woanders zu finden gibt?

Wir stehen vor der Akropolis, die Läufer warten bis zum Start. Es ist eine ganz besondere Atmosphäre hier, noch dunkel, es verspricht ein heißer Tag zu werden. Fotos werden gemacht, Galgenhumor weicht dem Ernst der Lage. Endlich geht es los. Mitten durch Athen, die Polizei hält einfach den Verkehr an. Es muss endlose Staus geben, wenn am Freitag um 07:00 Uhr Hauptverkehrskreuzungen für eine Stunde gesperrt werden. Es zieht sich etwas, aber schon sind wir auf der Autobahn.

Kein Schreibfehler:

es geht wirklich ein gutes Stück
auf der Autobahn entlang.

Ein schöner Abschnitt folgt den von Industrie, stinkender Raffinerie und von Autoabgasen geprägten ersten 25 km. Ich habe die „kühle“ Morgenstimmung genutzt, um Kilometer gut zu machen und passiere km 40 nach 3:36 h.


               Küstenstrasse
Auf der Küstenstraße läuft es sich eigentlich sehr schön, aber die Hitze Südeuropas setzt mir Mitteleuropäer doch gehörig zu.

Der schöne Küstenstreifen ist schnell vorbei.

Wer das erste mal an diesem Lauf teilnimmt wird spätestens hier merken, dass der sportliche Ehrgeiz, diese Distanz zu überwinden, wohl die einzige treibende Kraft für diesen Wahnsinn ist.

Schon geht es eine breite Straße den Berg hinauf, zum Isthmus von Korinth. Km 81, erster großer Checkpoint, hier dürfen Betreuer ihren Sportlern helfen, z.B. Schuhe wechseln, fürs Blasen Aufstechen saubere Nadeln reichen, oder eben einfach mit motivierenden Worten die Stimmung anheizen.


In der Hitze Griechenlands - flirrender Asphalt kilometerweit

Pause in der Mittagssonne - es geht mir sehr gut nach 81km

Dieses Jahr fühle ich mich sehr gut, habe in der Hitze das ganze Tempo herausgenommen und freue mich, dass das erste Drittel, sozusagen die ersten 2 von insgesamt 6 Marathons, extrem gut gelaufen sind. Ich esse Nudeln, trinke ein Bier und breche um 16:00 h wieder auf. Cut-Off wäre hier um 16:30 h, also 9:30 h für die ersten 81 km.
Die Luft steht auf dem Peloponnes. Ein Gefühl, wie vor einem aufgeheizten Backofen, wenn die Klappe geöffnet wird. An den alle 3 bis 4 km eingerichteten Verpflegungspunkten kühle ich meinen Kopf mit Wasser, trinke und freue mich über das bereits Geschaffte. Und auf die Kühle der Nacht. Ich treffe meinen Freund Marcel. Er sieht nicht sehrt glücklich aus, möchte in wenigen Wochen einen zehnfachen Triathlon absolvieren und hier nicht zuviel Federn lassen. Nein, wer hier nicht alles geben kann, der hat keine Chance. Nach einigen gemeinsamen Kilometern ziehe ich davon.
Ich werde noch ein gutes Stück mit Matze laufen, aber auch er wird ein kleines, für ihn heute unlösbares Problem bekommen. http://de.wikipedia.org/wiki/Nemea_%28Heiligtum%29

Um 22:00 Uhr erreiche ich Nemea, km 124. Ich habe jetzt eine Stunde gut. In meiner Rechnung: Marathon Nummer 3. Oder man kann sich auch vorstellen, man rennt den 72km-Rennsteig und die Verpflegungspunkte sind die km. Auf dem Marktplatz in Nemea, vor der schmucken Dorfkirche ist viel Stimmung am Checkpoint 35. Mit Klaus laufe ich weiter durch die Nacht. Wir kommen ganz gut voran und können unseren „Vorsprung“ halten. Die steilen Straßenabschnitte bis zum Fuß des Sangas Passes marschieren wir im Eilschritt. Ein Cola, ein Wasser, auch mal ein Bier oder eine Brühe – was der Körper bereitwillig aufnimmt wird hineingeschüttet, verzehrt. Wer die Zunge zur Seite legen und Getränke ohne Schlucken in den Magen Laufen lassen kann hat bei Extremsportveranstaltung, bei denen ein großes Problem die ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit ist, einen kleinen strategischen Vorteil.


Checkpoint 48 am Sangas Pass
Ryan, Klaus und ich starten nun auf den Sangas. Schotter, Geröll, der einem Klettersteig ähnliche Pfad ist vorbildlich markiert.

Am Kontrollpunkt in 1.100 m Höhe (km 161, geschätzter Stress: vier Marathons) können wir für kurze Zeit die tolle Stimmung der Nacht genießen. Na ja, was halt noch „genießen“ geht.

Pfeift hier meist ein kalter Wind, ist es heute für kurze Hose und kurzes Laufshirt nicht zu kalt.

Der Anblick des klaren Sternenhimmels bereitet uns schon seit einiger Zeit ein wenig von der dringend notwendigen Freude am Laufen in dieser schönen Nacht.

Der Abstieg in die Ortschaft Sangas ist beschwerlich steil. Man muss aufpassen nicht zu stürzen. Es ist eine zusätzliche Belastung für geschundene Muskulatur und Füße sowie die arg strapazierte Psyche. Ich bin etwas schneller und laufe trotz Kaffeepause an der nächsten Kontrollstelle alleine weiter. Die Strecke führt auf einer kleinen Straße unterhalb der Autobahn, die Beleuchtung einer Raststätte sorgt für eine seltsame Stimmung hier „unten“. Der Morgen kündigt sich ganz langsam an. Der Unrat an den Straßenseiten ist im Vergleich zum letzten Jahr spürbar weniger geworden. Vor allem die zwei dahinverwesenden Kadaver zweier Schafe können heute Nacht nicht mehr die Umkehr der peristaltischen Wellen herbeiführen. Die Tiere scheinen übers Jahr komplett verwest zu sein und neue Schafe wurden hier nicht abgelegt.

Es wird hell. Bei km 186 habe ich Schuhe deponiert. Da sich zwei große Blasen ankündigen, wechsle ich die Socken, laufe aber mit denselben Schuhen weiter. Ich mache Tempo, überhole viele Läufer und merke, dass mir das nicht bekommt. Seit ca. 30 km habe ich ein kleines Problem mit meinem Magen und nun muss ich meinen „Vorsprung“ wieder hergeben. Ich zwinge ein Bier in mich hinein und es tut gut. Mein Tiefpunkt, aus Enttäuschung, dass ich meine hohe Geschwindigkeit nicht halten kann, verflüchtigt sich so schnell, wie er gekommen ist.


         Klaus und Olaf
Klaus hat mich wieder eingeholt, wir laufen wieder zusammen. Es wird heiß. Die Strahlung der Sonne wird nicht als angenehm empfunden, wenn man einen schier unendlichen langen Berg auf einer sich hinziehenden, kurvenreichen Straße hinaufmarschiert. Immer wieder schütten wir uns Wasser über den Kopf. Bergab laufen wir. In der Ebene laufen wir auch oft, um nicht zuviel Zeit zu verlieren. Nein, Zeit wollen wir nicht mehr gut machen. Wir wollen finishen, mehr nicht. Ab 14:00 h ziehen vereinzelte Wolken auf, die Minutenweise Schatten spenden. Welche Wohltat! Unsere Geduld wird sich bald auszahlen.

Eskortiert von einem Polizeiauto mit Blaulicht, von jungen Burschen auf dem Fahrrad, laufen wir durch die Straßen von Sparta. Auf den Balkonen stehen Menschen und applaudieren. Die mit Fahnen geschmückten Straßen runden den stimmungsvollen Einlauf ab. Und jetzt das i-Tüpfelchen, die ungewollte Perfektion unseres Zeitmanagements: in dem Moment, in dem wir an einer Kirche vorbeilaufen, fangen auch noch die Glocken an zu läuten. Es ist 18:00 h.

Glücklich, zufrieden und mit ein klein wenig Stolz auf uns beenden wir den Lauf unter dem Beifall vieler Zuschauer, Spartaner, Läufer, Finisher und Betreuer. Es gibt einen Olivenkranz, eine Schale mit Wasser zum trinken, eine Medaille und ein unbeschreibliches Gefühl, etwas Großes geschafft zu haben.
Sehr bestimmt werden wir zum Sanitätszelt geführt. Dort werden die Schuhe ausgezogen, Füße gewaschen, Blasen mit Spritzen ausgesaugt. Dann geht’s ins Hotel. Duschen, Essen und auf zur Siegerfeier am Marktplatz. Eine große Tribüne ist aufgebaut, es werden kurze Reden auf Griechisch und Englisch gehalten, die Sieger werden geehrt, die Namen aller Finisher verlesen (habe ich dieses Jahr nicht verschlafen!) und ein kleines Feuerwerk auf dem überfüllten Platz erleuchtet die Nacht.


      Scott Jurek, der Sieger (in 22 Stunden)

          Marcel + Michael (schnellster Deutscher)
                  beim Strategiegespräch

Das Zappeion (Ort der Siegerehrung) von außen...

 ... und innen.

Die deutsche Gruppe
Am nächsten Tag besuchen wir noch 2 Museen, essen mit dem Bürgermeister (ich habe ihn nicht gesehen) und fahren mit dem Bus nach Athen zurück.

„Mensch, das bist du alles gelaufen!“ -

Es ist ein tolles Gefühl.
 

Am Montag Abend ist Siegerehrung in Athen. In einem tollen Rahmen, unter freiem Himmel umgeben von einer Säulenhalle. Jeder Athlet kommt auf die Bühne, es wird gratuliert, gibt eine Urkunde und eine weitere Medaille. Viele Athleten haben sich richtig in Schale geschmissen. Danach in einem großen Nebenraum ein Büffet. Der Catering Service ist auch dieses Jahr wieder überfordert. Da kommt eine Meute Hungriger, die vor kurzem nach Angaben mancher Laufuhren ca. 19.000 kcal verbrannt haben. Die Portionen die hier vertilgt werden, sind halt etwas viel größer als normal. Die Dekoration wird freiwillig zum Verzehr aufbereitet.

Nach der letzten Nacht mit Laufkumpels geht’s dann wieder heim und jeder nimmt sich vor: „Noch mal? Auf keinen Fall wieder…..“


Eindrücke von Eurem

Olaf Schmalfuß
 

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