Ist es normal,
- im Zeitalter hoher technischer Entwicklung in allen Lebensbereichen,
- moderner Kommunikation per Telefon oder Internet
- in einer Zeit, geprägt durch hohe Mobilität
- verbunden mit dem Komfort perfekter Automobile und bequemer Flugzeuge,
ist es da normal, den Lauf eines griechischen Botenläufers in Form eines
extrem harten Ultralaufes nachzuvollziehen?
Vor langer Zeit, vor ca. 2.500 Jahren, wurde Pheidippides von Athen nach
Sparta geschickt, um militärische Hilfe im Krieg gegen die Perser zu
bitten. Sehr schön beschrieben sind die historischen Zusammenhänge
hier
mit allen aus heutiger Sicht kuriosen Gegebenheiten. Die Spartaner z.B.
durften nur bei Vollmond laufen, Pheidippides musste den Zeitverzug
melden (also auch wieder zurücklaufen), und dergleichen. Von Zweifeln
über die Geschichte geplagt (?) versuchte 1982 John Foden mit 4 weiteren
Geschichtszweiflern, die Strecke des Pheidippides von Sonnenaufgang bis
zum Sonnenuntergang am nächsten Tag zu bewältigen und schaffte es. Der
Spartathlon, einer der härtesten Ultraläufe der Welt, war geboren.
Seit 1983 wird dieser Lauf organisiert (245,3 km) und jeweils am letzten
Freitag im September um 7:00 h ist Start vor der Akropolis in Athen. Die
Statue des Leonidas in Sparta muss spätestens am darauf folgenden Tag um
19:00 h berührt werden. Sehr knapp bemessen sind die Cut-Off-Zeiten auf
den ersten 120 km. Große Hitze stellt eine Herausforderung an die
Athleten.
Ich kenne den Lauf vom letzten Jahr, ich hatte zwei Stunden vor
Zielschluss den (Schmal-)Fuß des Leonidas berührt.
Ein Sieger nach 245km zu Fuße des
Leonidas |
Es ist einer der wenigen
Ultraläufe, bei dem am Start nicht sicher ist, ob man ankommt.
Selbst erfahrene Läufer haben hier schon oft aufgeben müssen, nach
einem Sturz, nach Problemen mit dem Magen oder dem Laufapparat.
Mit Sicherheit steigt auch die eine oder andere mentale Memme
vorzeitig in den Bus, der Zombies ähnelnde Wesen nach Sparta bringt.
Wer hier aufgibt hat keine gesunde Ausstrahlung mehr.
Dieses Jahr werden etwas mehr als ein Drittel (97) der Läufer das
Ziel erreichen...
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Und nun bin ich wieder zurück, im Hotel in einem
kleinen Zweibettzimmer in dem vier erwachsene Männer untergebracht sind.
„Mit drei Laufkumpels am Zimmer ist besser als mit einer Frau“ so
scherzen wir. Der Schlafraum hat stolze 10 m2. Aber was will man bei
einem Preis von 250 € für eine Woche „all inklusive“ noch mehr erwarten,
inkl. einem 250 km Lauf mit 75 Verpflegungsstellen, einer Busfahrt von
Sparta nach Athen, Museumsbesuchen, Essen mit dem Bürgermeister, sowie
einer Abschlussfeier in Sparta und einer Siegerehrung in Athen, die es
mit diesem Aufwand kaum woanders zu finden gibt?
Wir stehen vor der Akropolis, die Läufer warten bis zum Start. Es ist
eine ganz besondere Atmosphäre hier, noch dunkel, es verspricht ein
heißer Tag zu werden. Fotos werden gemacht, Galgenhumor weicht dem Ernst
der Lage. Endlich geht es los. Mitten durch Athen, die Polizei hält
einfach den Verkehr an. Es muss endlose Staus geben, wenn am Freitag um
07:00 Uhr Hauptverkehrskreuzungen für eine Stunde gesperrt werden. Es
zieht sich etwas, aber schon sind wir auf der Autobahn.
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Kein Schreibfehler:
es geht wirklich ein gutes Stück
auf der Autobahn entlang. |
Ein schöner Abschnitt folgt den von Industrie,
stinkender Raffinerie und von Autoabgasen geprägten ersten 25 km. Ich
habe die „kühle“ Morgenstimmung genutzt, um Kilometer gut zu machen und
passiere km 40 nach 3:36 h.
Küstenstrasse |
Auf der Küstenstraße läuft es
sich eigentlich sehr schön, aber die Hitze Südeuropas setzt mir
Mitteleuropäer doch gehörig zu.
Der schöne Küstenstreifen ist schnell vorbei.
Wer das erste mal an diesem Lauf teilnimmt wird spätestens hier
merken, dass der sportliche Ehrgeiz, diese Distanz zu überwinden,
wohl die einzige treibende Kraft für diesen Wahnsinn ist.
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Schon geht es eine breite Straße den Berg hinauf,
zum Isthmus von Korinth. Km 81, erster großer Checkpoint, hier dürfen
Betreuer ihren Sportlern helfen, z.B. Schuhe wechseln, fürs Blasen
Aufstechen saubere Nadeln reichen, oder eben einfach mit motivierenden
Worten die Stimmung anheizen.
In der Hitze Griechenlands - flirrender Asphalt kilometerweit |
Pause in der Mittagssonne - es geht mir sehr gut nach 81km |
Dieses Jahr fühle ich mich sehr gut, habe in der
Hitze das ganze Tempo herausgenommen und freue mich, dass das erste
Drittel, sozusagen die ersten 2 von insgesamt 6 Marathons, extrem gut
gelaufen sind. Ich esse Nudeln, trinke ein Bier und breche um 16:00 h
wieder auf. Cut-Off wäre hier um 16:30 h, also 9:30 h für die ersten 81
km.
Die Luft steht auf dem
Peloponnes. Ein Gefühl, wie vor einem
aufgeheizten Backofen, wenn die Klappe geöffnet wird. An den alle 3 bis
4 km eingerichteten Verpflegungspunkten kühle ich meinen Kopf mit
Wasser, trinke und freue mich über das bereits Geschaffte. Und auf die
Kühle der Nacht. Ich treffe meinen Freund Marcel. Er sieht nicht sehrt
glücklich aus, möchte in wenigen Wochen einen zehnfachen Triathlon
absolvieren und hier nicht zuviel Federn lassen. Nein, wer hier nicht
alles geben kann, der hat keine Chance. Nach einigen gemeinsamen
Kilometern ziehe ich davon.
Ich werde noch ein gutes Stück mit Matze laufen, aber auch er wird ein
kleines, für ihn heute unlösbares Problem bekommen. http://de.wikipedia.org/wiki/Nemea_%28Heiligtum%29
Um 22:00 Uhr erreiche ich
Nemea, km 124. Ich habe jetzt eine Stunde gut.
In meiner Rechnung: Marathon Nummer 3. Oder man kann sich auch
vorstellen, man rennt den 72km-Rennsteig und die Verpflegungspunkte sind
die km. Auf dem Marktplatz in Nemea, vor der schmucken Dorfkirche ist
viel Stimmung am Checkpoint 35. Mit Klaus laufe ich weiter durch die
Nacht. Wir kommen ganz gut voran und können unseren „Vorsprung“ halten.
Die steilen Straßenabschnitte bis zum Fuß des Sangas Passes marschieren
wir im Eilschritt. Ein Cola, ein Wasser, auch mal ein Bier oder eine
Brühe – was der Körper bereitwillig aufnimmt wird hineingeschüttet,
verzehrt. Wer die Zunge zur Seite legen und Getränke ohne Schlucken in
den Magen Laufen lassen kann hat bei Extremsportveranstaltung, bei denen
ein großes Problem die ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit ist, einen
kleinen strategischen Vorteil.
Checkpoint 48 am Sangas Pass |
Ryan, Klaus und ich starten nun
auf den Sangas. Schotter, Geröll, der einem Klettersteig ähnliche
Pfad ist vorbildlich markiert.
Am Kontrollpunkt in 1.100 m Höhe (km 161, geschätzter Stress: vier
Marathons) können wir für kurze Zeit die tolle Stimmung der Nacht
genießen. Na ja, was halt noch „genießen“ geht.
Pfeift hier meist ein kalter Wind, ist es heute für kurze Hose und
kurzes Laufshirt nicht zu kalt. |
Der Anblick des klaren Sternenhimmels bereitet uns
schon seit einiger Zeit ein wenig von der dringend notwendigen Freude am
Laufen in dieser schönen Nacht.
Der Abstieg in die Ortschaft Sangas ist beschwerlich steil. Man muss
aufpassen nicht zu stürzen. Es ist eine zusätzliche Belastung für
geschundene Muskulatur und Füße sowie die arg strapazierte Psyche. Ich
bin etwas schneller und laufe trotz Kaffeepause an der nächsten
Kontrollstelle alleine weiter. Die Strecke führt auf einer kleinen
Straße unterhalb der Autobahn, die Beleuchtung einer Raststätte sorgt
für eine seltsame Stimmung hier „unten“. Der Morgen kündigt sich ganz
langsam an. Der Unrat an den Straßenseiten ist im Vergleich zum letzten
Jahr spürbar weniger geworden. Vor allem die zwei dahinverwesenden
Kadaver zweier Schafe können heute Nacht nicht mehr die Umkehr der
peristaltischen Wellen herbeiführen. Die Tiere scheinen übers Jahr
komplett verwest zu sein und neue Schafe wurden hier nicht abgelegt.
Es wird hell. Bei km 186 habe ich Schuhe deponiert. Da sich zwei große
Blasen ankündigen, wechsle ich die Socken, laufe aber mit denselben
Schuhen weiter. Ich mache Tempo, überhole viele Läufer und merke, dass
mir das nicht bekommt. Seit ca. 30 km habe ich ein kleines Problem mit
meinem Magen und nun muss ich meinen „Vorsprung“ wieder hergeben. Ich
zwinge ein Bier in mich hinein und es tut gut. Mein Tiefpunkt, aus
Enttäuschung, dass ich meine hohe Geschwindigkeit nicht halten kann,
verflüchtigt sich so schnell, wie er gekommen ist.
Klaus und Olaf |
Klaus hat mich wieder eingeholt,
wir laufen wieder zusammen. Es wird heiß. Die Strahlung der Sonne
wird nicht als angenehm empfunden, wenn man einen schier unendlichen
langen Berg auf einer sich hinziehenden, kurvenreichen Straße
hinaufmarschiert. Immer wieder schütten wir uns Wasser über den
Kopf. Bergab laufen wir. In der Ebene laufen wir auch oft, um nicht
zuviel Zeit zu verlieren. Nein, Zeit wollen wir nicht mehr gut
machen. Wir wollen finishen, mehr nicht. Ab 14:00 h ziehen
vereinzelte Wolken auf, die Minutenweise Schatten spenden. Welche
Wohltat! Unsere Geduld wird sich bald auszahlen. |
Eskortiert von einem Polizeiauto mit Blaulicht,
von jungen Burschen auf dem Fahrrad, laufen wir durch die Straßen von
Sparta. Auf den Balkonen stehen Menschen und applaudieren. Die mit
Fahnen geschmückten Straßen runden den stimmungsvollen Einlauf ab. Und
jetzt das i-Tüpfelchen, die ungewollte Perfektion unseres
Zeitmanagements: in dem Moment, in dem wir an einer Kirche vorbeilaufen,
fangen auch noch die Glocken an zu läuten. Es ist 18:00 h.
Glücklich, zufrieden und mit ein klein wenig Stolz auf uns beenden wir den Lauf unter dem Beifall vieler Zuschauer, Spartaner,
Läufer, Finisher und Betreuer. Es gibt einen Olivenkranz, eine Schale
mit Wasser zum trinken, eine Medaille und ein unbeschreibliches Gefühl,
etwas Großes geschafft zu haben.
Sehr bestimmt werden wir zum Sanitätszelt geführt. Dort werden die
Schuhe ausgezogen, Füße gewaschen, Blasen mit Spritzen ausgesaugt. Dann
geht’s ins Hotel. Duschen, Essen und auf zur Siegerfeier am Marktplatz.
Eine große Tribüne ist aufgebaut, es werden kurze Reden auf Griechisch
und Englisch gehalten, die Sieger werden geehrt, die Namen aller
Finisher verlesen (habe ich dieses Jahr nicht verschlafen!) und ein
kleines Feuerwerk auf dem überfüllten Platz erleuchtet die Nacht.
Scott Jurek, der Sieger (in 22 Stunden) |
Marcel + Michael
(schnellster Deutscher)
beim Strategiegespräch |
Das Zappeion (Ort der Siegerehrung) von außen... |
... und innen. |
Die deutsche Gruppe |
Am nächsten Tag besuchen wir noch
2 Museen, essen mit dem Bürgermeister (ich habe ihn nicht gesehen)
und fahren mit dem Bus nach Athen zurück.
„Mensch, das bist du alles gelaufen!“ -
Es ist ein tolles Gefühl.
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Am Montag Abend ist Siegerehrung in Athen. In
einem tollen Rahmen, unter freiem Himmel umgeben von einer Säulenhalle.
Jeder Athlet kommt auf die Bühne, es wird gratuliert, gibt eine Urkunde
und eine weitere Medaille. Viele Athleten haben sich richtig in Schale
geschmissen. Danach in einem großen Nebenraum ein Büffet. Der Catering
Service ist auch dieses Jahr wieder überfordert. Da kommt eine Meute
Hungriger, die vor kurzem nach Angaben mancher Laufuhren ca. 19.000 kcal
verbrannt haben. Die Portionen die hier vertilgt werden, sind halt etwas
viel größer als normal. Die Dekoration wird freiwillig zum Verzehr
aufbereitet.
Nach der letzten Nacht mit Laufkumpels geht’s dann wieder heim und jeder
nimmt sich vor: „Noch mal? Auf keinen Fall wieder…..“
Eindrücke von Eurem
Olaf Schmalfuß
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