Ich "laufe" ja so gerne am Rennsteig durch das Land...
oder: mein erster Ultra und dann gleich ein solcher!
Gerade 3 Wochen waren nach meinem überaus erfolgreichen
Hamburg Marathon vergangen, da rief mich meine Thüringer Heimat zu
einem besonderen Leckerbissen. Schon in früher Jugend bewunderte ich die
Studenten meines Vaters, die sich an den langen Kanten auf dem Rennsteig
wagten. Ich konnte mir damals beim besten Willen nicht vorstellen, dass
ein normal Sterblicher die bergigen 75km "über Stock und Stein"
tatsächlich durchstehen konnte. Nach einem guten Jahr ernsthaften
Marathontrainings und einigen Gesprächen mit erfolgreichen
Rennsteig-Finishern glaubte ich, nun auch reif dafür zu sein und
natürlich kam für mich nur der Supermarathon über 72,7km als Strecke in
Frage. Naiv, mit dem reinen Durchkommen nicht zufrieden, hatte ich mir
eine Zeit von unter 7 Stunden vorgenommen, was durchaus meiner gewohnten
Laufgeschwindigkeit entspricht, aber hieß, im vorderen Zehntel das Ziel
zu erreichen.
Die erste Hürde war die Logistik: Wann wohin anreisen, wo schlafen und
wie dann wieder zum Auto kommen, kann man nach dem Lauf noch selbst
fahren, was braucht man unterwegs? Letztendlich entschied ich mich für
eine Nacht im Gemeinschaftsquartier in Schmiedefeld und den Bus um 3.30
Uhr morgens nach Eisenach. Im Nachhinein betrachtet keine schlechte
Entscheidung. Einzig das wirklich nervige Schlangestehen an den Dixies
vor dem Start hätte man durch ein nahes Quartier vermeiden können. Mit
mir reisten Mario Wallrath, Erwin Bittel und Edgar Mücke, alles
erfahrene Supermarathonies, von denen ich schon im Auto einige wichtige
Tipps und Erfahrungen aus vergangenen Jahren erhielt. Die Anreise am
Freitag Nachmittag ging wegen des Brückentages sehr zügig. Schnell waren
wir auch im Gemeinschaftsquartier eingerichtet, dessen kühle Mauern uns
allerdings etwas frösteln ließen.
Nachtlager in der Sammelunterkunft in Schmiedefeld |
Abendessen im Thüringer Hof in Schmiedefeld |
Nach einer kleinen Runde durch den Ort mit Besichtigung von
Zieleinlauf und einer für mich in den neuen Bundesländern fast
obligatorischen Soljanka nebst Bierchen im und am Partyzelt, kehrten wir
noch im Thüringer Hof ein, in dem es am nächsten Morgen ab 2.30 Uhr
Frühstück geben sollte. Auf der Suche nach kohlenhydratreicher und
fleischarmer Kost fanden wir Klöße mit Waldpilzen (war wirklich lecker)
auf der Speisekarte. Während des Wartens auf das Essen beim zweiten
Bierchen philosophierten wir, wie viel Bier einem Ultraläufer den so
zuträglich ist und konnten uns nicht einigen.
Bier... |
...und Bier |
Und da das Essen angesichts des auch vollen Nebenraumes auf sich
warten lies, genehmigte ich mir auch noch ein weiteres Weizenbier --
immerhin schlafen würde ich im Gemeinschaftsquartier gut! Mario und ich
nutzten auch die Gelegenheit, noch etwas die Werbetrommel für zweite
Auflage unseren
Staffellaufes von Prag nach Nürnberg zu rühren.
Nach überraschend erholsamen 4 Stunden Schlaf und kurzem Frühstück, ging
es dann zu den bereits wartenden Bussen. Die Fahrt von 90 Minuten Dauer
ließ noch eine ganze Stunde Zeit für das Abholen der Startunterlagen,
Umkleiden und Abgeben des Kleiderbeutels, sowie ein paar Worte mit
anderen Läufern. Das Wetter versprach sich von seiner besten Seite zu
zeigen: blauer Himmel, nur am Nachmittag vielleicht ein paar Schauer.
Ich entschloss mich, Erwins Rat zu folgen und nur in kurzem Trägershirt
zu laufen. Nach kurzem In-Uns-Gehen reihten Mario und ich uns relativ
weit vorn in das Starterfeld ein. Als aktiver Chor-Sänger war ich
enttäuscht, dass das sonst angeblich immer angestimmte Rennsteiglied von
Herbert Roth diesmal nicht gesungen wurde. Dafür spielte man ein neues
modernes von Dr. Hotte ein ("Dieser Lauf wird kein leichter sein"), für
mich ein nicht nachvollziehbarer Traditionsbruch!
Dann ging es endlich los. Da ich seit Mittwoch den Regenerationsbedarf
meines Körpers nach dem HH-Marathon deutlich spürte, hatte ich auch auf
ärztliches Anraten vor, das Ganze etwas langsamer anzugehen und auch
meinen Pulsmesser dabei. Gehörigen Respekt hatte ich vor den ersten
Streckendrittel, auf dem es bis zum Inselberg fast ausschließlich
bergauf geht. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich das Feld etwas
entflochten hatte und dann in Doppelreihe Richtung "Hohe Sonne"
emporstieg. Ich holte erst Erwin ein, mit dem ich noch etwas
fotografierte, dann Mario und schließlich Edgar. Der meinte nur kurz,
ich sollte zulaufen, schließlich gehörte ich unter die ersten hundert -
ein Scherz, wie ich annahm. Ich bemühte mich, den Puls im Bereich
zwischen 150 und 160 zu halten und konnte trotzdem immer wieder Läufer
überholen, ohne nicht auch gelegentlich den Blick für die schöne
Landschaft zu heben.
Eine tolle Atmosphäre war auch am Rande der Strecke. Zwar, vermutlich
auch der frühen Morgenstunde geschuldet, bei weitem nicht so zahlreich
wie z.B. in Berlin oder Hamburg, dafür aber umso herzlicher und wohl v.a.
die sportliche Leistung honorierend. Das 5km-Schild am ersten
Wasserstand schien völlig deplaziert. Ich rechnete aus den 35 Minuten
Laufzeit ca. 7km hoch. Dies bestätigte sich an der 10km-Marke, die ich
nach knapp 52 Minuten mich immer noch bremsend erreichte. Nun fühlte ich
mich richtig wohl und auch das "Regenerationsgefühl" war verschwunden.
Deshalb legte ich etwas zu. An steileren Anstiegen überholten mich immer
mal wieder Läufer, die ich aber an den kurzen Bergab-Passagen oft wieder
einholen konnte. Vermutlich half mir hier meine alpine Erfahrung zu
einem zügigeren Laufstil. Beim Anstieg zum Inselberg zwischen km 20 und
25 wurde auch der Weg immer uriger und erforderte volle Konzentration,
um nicht zu stolpern. An den steilsten Stücken gingen die meisten
Läufer, was ich ihnen gleich tat. Ich begann zu spüren, dass ich meine
Waden beim gehen besser Dehnen und Strecken und so Krämpfen besser
vorbeugen konnte. Auch an den perfekt organisierten Verpflegungsstellen
konnte ich immer wieder einzelne Läufer überholen, die sich mehr Zeit
bei der Nahrungsaufnahme (der Haferschleim ist wirklich lecker!) und
beim Trinken ließen.
Den Gipfel des Inselsberges (km 25) erreichte ich nach ca. 2h10, nie
zuvor bin ich da gewesen und genoss so wenigsten im Vorbeilaufen das
Panorama! Beim sehr steilen und rasanten Abstieg konnte ich erneut
etliche Läufer überholen, die erheblich bedächtiger zu Werke gingen.
Auch deswegen legte ich die nächsten 5km in gerade mal gut 20 Minuten
zurück. Auch im folgenden flacheren Teilstück ging es recht zügig voran.
Die Halbdistanz (36,35km) passierte ich bei fast genau 3 Stunden. Das
hatte ich wirklich nicht erwartet. Eine Hochrechnung auf eine Endzeit um
6h verdrängte ich schnell, wohl ahnend, dass da noch einiges bevorstand.
Auch den Zuruf einer Frau "Platz 59" glaubte ich nicht richtig
verstanden zu haben. Bis zur (nicht gesehenen) Marathonmarkierung, die
ich bei ca. 3h30 passiert haben musste, ging es mir blendend.
Dann kamen die 200 Höhenmeter Anstieg auf der "Schmalkalder Loibe". Ab
diesem Zeitpunkt begleiteten leichte Krämpfe in den Aduktoren jeden
Schritt bergauf. Ich konnte, wie auch etliche andere Läufer, die
Anstiege nur noch gehend bewältigen. Auch bergab lief es nicht mehr so
rund. Meine Pace fiel deutlich auf etwa 6 Minuten pro km ab, aber zum
Glück auch mein Puls, was auf eine gewisse Erholung hoffen ließ.
Wissend, dass man bei km 54 am Grenzadler aussteigen kann, beschäftigte
ich mich sogar mit entsprechenden Szenarien. Dann setzte sich aber die
Überzeugung durch, dass es schon weiter und nun bald ja fast nur noch
bergab gehen würde und ich beim ersten Rennsteiglauf auf keinen Fall
aussteigen will. Auch motivierten mich Zuschauer und entgegenkommende
Radfahrer, welche immer mal wieder eine Platzierung zuriefen. Von Platz
63 zählte ich noch bis ca. 80 die mich überholenden Läufer mit, dann
verlor sich mein Interesse daran. Am Grenzadler nahm ich noch ein große
Prise Salz (das habe noch nie vorher an einem Verpflegungsstand
gesehen!) zu mir und hoffte, auch damit Herr über die Verkrampfungen zu
werden.
An der Suhler Ausspanne bei km 60 kurz vor dem höchsten Punkt der
Strecke ließ ich mir sogar kurz die Aduktoren massieren (Danke an die
nette junge Dame!) und konnte so sogar schmerzfrei den letzten Anstieg
zu Plänkers Aussicht auf 973m NN durchstehen. Dann ging es endlich
bergab. An meine schnelle "Gebirgstechnik" war nicht mehr zu denken,
aber es lief trotzdem wieder recht zügig. Mit einem anderen Läufer, der
gerade bergab Probleme zu haben schien und zeitweilig ging, unterhielt
ich mich kurz. Erstaunen, aber auch neue Motivation schien bei ihm meine
Aussage hervorzurufen, dass die 7-Stunden-Grenze immer noch locker drin
ist.
An der Schmücke (km 64) und auch der letzten Getränkestation gönnte ich
mir jeweils einen kleinen Becher Schwarzbier, welche Wohltat nach den
Strapazen auf den letzten 20km! Der Abstand der Läufer war inzwischen
scheinbar riesig. Den Läufer vor mir, im Ziel hatte ich knapp 30
Sekunden Rückstand, sah ich nur noch gelegentlich um die nächste Kurve
biegen. Auch hinter mir schien eine größere Lücke zu sein, im Ziel waren
es ebenfalls knapp 30 Sekunden. Bei km 68,3 bogen ganze Heerscharen von
Wanderern auf die Strecke ein und damit begann für mich das eigentlich
tollste Gefühl: meine Annäherung hörend räumten sie den Weg frei und
begannen zu klatschen. Viele drehten sich auch um und zeigten mir auch
so noch mal ihren Respekt vor meiner Leistung - es war ja sonst keiner
da, dem das gegolten haben könnte! Kurz vor der Zielgeraden rief mir ein
Ordner noch zu: "Du bist 94-ter und keiner hinter Dir - genieße es". Und
dann habe ich es genossen. Es war wie bei einem großen Sportevent und
ich ein (kleiner) Teil davon! Richtig konnte ich auch noch nicht
glauben, mit 6:41 h sogar noch deutlich unter den erträumten 7 Stunden
geblieben zu sein. Locker verzieh ich auch dem Ordner den Zählfehler,
ich war "bloß" 95ter von 1.525 Finishern...
Edgar und Holger im Ziel |
Glücklich und zufrieden gönnte ich mir 2 Becher Wasser und dann mein
Finisher-Bier und wartete nach der Abholung meines Kleiderbeutels
endlich sitzend auf meine Eltern und die Laufkameraden. In mir war ein
Gefühl voll tiefer Zufriedenheit gepaart mit der Freude, es tatsächlich
geschafft zu haben und dann auch noch so! Ich befürchte, nun auch vom
Rennsteig-Virus infiziert worden zu sein und im nächsten Jahr
wiederkommen zu müssen! Bis alle wieder komplett waren, saßen wir noch
ein Weilchen im Zielbereich herum.
Holger Pampel (LG Eckental und Team Bittel) |