Übernachtung im Zelt an der Strecke oberhalb Ortschaft Iseler. Wenn das
kein gutes Omen ist. Liege im Zelt und versuche zu schlafen. Leider
plagt mich noch dieser grippale Infekt, die Nase ist verstopft. Wir
werden sehen. Bin top vorbereitet, und v.a. gut akklimatisiert.
6 Uhr wecken, schnell Zelt abbauen, Frühstück im
Stadion um 7 Uhr mit Tee und leckerem Hörnchen. Schwere Beine plagen
mich bereits vor dem Lauf. Hat der Infekt mich geschwächt? Bin in
Gedanken. Visualisiere nochmals meinen Lauf: 10:00 Stunden- das wäre ein
Traum.
Im Starterfeld Erwin + Heike |
Am Start bei schönstem Wetter ist noch ausgelassene
Stimmung unter den Läufern. Noch werden Späßchen gemacht.
Gedenkminute und Einstimmung mit dem Lied „Conquest of Paradise“.
Gänsehautstimmung und Stille. |
Dann der Start! Jetzt geht’s lost. Das Lied „Eye of
the Tiger“ trägt uns aus dem Stadion. Es ist fast wie fliegen. Die Beine
laufen von alleine. Der Kampfgeist ist geweckt. Ich werde die schweren
Beine besiegen.
Die Stimmung durch Davos ist super. Wir sind alle
Helden. Leider laufen alle wieder einmal viel zu schnell an. Aber die
Menschen am Straßenrand motivieren so sehr, man kann nicht anders. -
Aber da taucht die Stimme von links neben mir auf, die mich den ganzen
Lauf über begleitet. „Zu schnell, langsamer!“ - Erwin! Der Lauflöwe!
Schnell hat er mich in die Realität zurückgeholt. Und da sind sie auch
gleich wieder, meine schweren Beine und mein schwerer Atem.
Langsam verlassen wir Davos und laufen in die
wunderschöne Natur hinaus, die uns fast die ganze Strecke über
begleitet. Nach kurzer Zeit laufen wir direkt am Zeltschlafplatz von
heute Nacht vorbei. Erwin ruft: „hey Heike, hast du gehört, hier sollen
welche übernachtet haben?“ Ich muss lachen und antworte: „echt, gibt es
so Verrückte?“ Mit einem entspannten Lächeln laufen wir weiter. Über
herrlichen weichen Waldboden geht es auf und ab im Gelände. Aufpassen
auf Wurzeln und Steine. Konzentration ist gefragt. In der Zwischenzeit
ist es sehr warm geworden. Das Feld zieht sich auseinander. Erwin macht
viel Spaß mit anderen Läufern. Immer wieder lachen wir herzhaft. Erwin
bleibt oft stehen, um zu fotografieren und rollt das Feld immer wieder
von hinten auf zu mir. Da höre ich ihn, wie er mal wieder mit Läufern
scherzt und nach seinem „Schneewittchen“ sucht. Damit meint er mich. Es
ist unglaublich, so einen schönen Humor beim Laufen zu haben. Das tut
gut und lässt die Plagen vergessen.
"Schneewittchen" und einer der Zwerge (Friedbert) |
"Schneewittchen" gefolgt von den 7 Zwergen |
Wir laufen wieder durch eine wunderschöne Schlucht,
über eine Eisenbahnbrücke und tolles Gelände. Erwin bremst mich oft.
Mein Atem schwer, meine Beine schwer. Es fällt heute schwer zu laufen.
Denke bis Bergün öfters übers Aufhören nach. Aber mein Tiger in mir
lässt es nicht zu. So laufe und laufe ich weiter. Der staubige
Schotter-Anstieg nach Chants das Tal hoch, macht es nicht besser. Erwin
motiviert immer aufs Neue!
Auf der Brücke ("Wiesener Viadukt") |
Es läuft gerade gut |
Endlich Chants erreicht. Nun geht es steil bergauf
zur Keschhütte. Den Weg kenne ich. Ich sage zu Erwin: „ich mache das
Tempo bergauf“. Wir gehen zügig und kontinuierlich, überholen ständig.
Je höher wir kommen, desto besser geht es mir. Meine Nase wird frei! Ich
kann gut atmen. An der nächsten Verpflegung erhalte ich von einer
Helferin endlich Schokolade, ihre private. Energie und Kampfgeist kehren
zurück. Denn leider gibt es sonst nur pappsüßes Balisto, Bananen und
Weißbrot. Zum Trinken meist Wasser ab und zu Bouillon und Tee. Nicht
gerade passend für mich. Mein Blick zur Natur kehrt zurück und wir
laufen zügig bis zur Keschhütte. Kurz was essen und trinken und schon
befinden wir uns im wunderschönen Panoramatrail zum Scalettapass. Wetter
verändert sich. Je näher wir dem Pass kommen, desto mehr starker kalter
Wind von vorne und es beginnt leicht zu regnen. Die Hände sind sofort
eiskalt. Auch der Körper friert. Egal, mich kann gerade nichts halten,
überhole und überhole bei voller Konzentration auf den Weg. Ja, da kommt
mir meine Trittsicherheit und die Erfahrung in den Bergen zu gute.
Beschwerlicher Aufstieg... |
...endlich oben, die Luft ist dünn... |
Am Pass erwartet mich mein Sohn Philipp (6) - Es
ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl! Schließe ihn in meine Arme,
kurzes Bussi und weg bin ich. Der Arzt daneben schaut lächelnd zu. Er
muss mich nicht fragen, ob alles noch okay ist. Er sieht es!
Konzentriert sich auf die nächsten Läufer.
...der lange Panoramatrail beginnt, an dessen Ende... |
...erwartet mich mein Sohn |
Schnell weiter. Der Wind und das Wetter zu
ungemütlich. Schnell steigen wir bergab. Aufpassen, nass, sehr rutschige
steile Angelegenheit. Kurz nach dem Pass, im steilsten Gelände läuft ein
Läufer Erwin hinten rein und Erwin stürzt. Aufschrei, kurzes
Stehenbleiben, Schrecksekunde! - Aber Erwin gibt grünes Licht. Gott sei
Dank. Weiter geht es. Nun melden sich mein rechtes Bein und Knie. Habe
ich 1 Woche zuvor bei der Besteigung des „Weisshorn“ im Wallis am Fels
verletzt. Muss langsamer machen, vor allem bergab. In meinem Kopf die
Zeit. Heike es müsste reichen für 10 Std. Aber da, das Knie. Immer
wieder schmerzt es bergab so sehr, dass ich anhalten muss. Ich fluche,
bin sauer, schimpfe auf mein Knie. Will es mental betäuben. Gelingt mir
leider nicht. Bin dem Weinen nahe. Wie soll ich denn mit diesem Knie
noch 14km bergab laufen? Meine Gedanken rasen. Nun habe ich am Aufstieg
so viel Zeit gut gemacht. Das kann nicht sein!
Mit schmerzendem Knie |
Wo gibt es Schokolade? |
Mein Tiger ist wütend, aber auch sehr müde. Im
reicht es. So laufe und laufe ich weiter. Der Blick nach Davos lässt
unsere Augen nicht mehr los. Bei der vorletzten Verpflegung erhalte ich
nochmals ein kleines Stück Schokolade, die mich rettet. Verfalle in
Trance und trotte neben Erwin. Wir verlassen die Natur und laufen
irgendwann in Davos ein. Nun kann mich nichts mehr halten. Meine Beine
laufen von alleine. Ich werde ganz ruhig, mein Atem wird ruhig, keine
Gedanken mehr für 1 ½ km.
Dann Betreten des Stadions. Meine Emotionen kommen hoch. Ich strahle,
laufe Richtung Ziel, reiße meine Arme nach oben und dann höre ich das
PIEP PIEP der Zielmatte. - Vorbei: 9 Stunden und 55 Minuten. He, was???
- Ich kann es nicht glauben. Bin überwältigt. Die Tränen laufen mir
übers Gesicht. Mein Sohn Philipp läuft in meine Arme! Geschafft!
Tränen im Ziel |
Erschöpft aber glücklich |
Danke, in die Stille.
- Es wird ein unvergessenes Erlebnis bleiben.
Heike
Infos: www.alpine-marathon.ch
(dort auch das Streckenprofil)
K78: 798 Männer + 124 Frauen (13%)
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