Interlaken an einem sonnigen Herbsttag... |
...um kurz vor 20.00 Uhr. |
Startunterlagen gibt es im Kurhaus |
48 Nationen nehmen teil |
Die Ankunft
Ich komme
in Interlaken um 19.00 Uhr an. Der Bahnhof ist zu Fuß 5min vom Start.
Ein nobles Schweizer Städtchen mit teuren Hotel und Promenade am
Flussufer. Als erstes fallen mir die großen Bilder auf, die oben an den
Straßenlampen hängend: alle Sieger seit 15 Jahren. Es ist ein sonniger
Abend, nicht kühl. Auch morgen wird es so werden. Prima, perfekte
Laufbedingungen!
Erstmal zur Läufermesse. Im feudalen aber
übervollen Kursaal hole ich meine Startnummer, die 5548 von allen.
Unweit ist das große Zelt aufgebaut, in dem das Abendprogramm für uns
Läufer laufend läuft. Alles nah beieinander. Es werden alle 48
teilnehmenden Nationen vorgestellt, sogar Venezuela, und danach die
Top-Athleten dieser Weltmeisterschaft. Die Amerikaner werden mit Bruce
Springstein empfangen. Und die Schweizer mit „Heidi, Deine Welt sind die
Berge“. Danach nach plaudert man oder sieht sich die „andere WM“ auf
Großbildschirm an, „Weltklasse Zürich“, Leichtathletik pur, Einstimmung
auf morgen. Ich begegne ein paar Team-Bittel-Freunden, setze mich und
komme erst mal an. Nach 7 Stunden Zug ab Nürnberg.
Vom Start bis zum Ende des
flachen Teils der Strecke (km26)
Guten Morgen blauer Himmel. Ich setze mich kurz auf
eine Bank, um die umliegenden Kulisse anzusehen. Schön die Schweizer
Berge. - Ob es da Bernhardiner gibt? Gedanken. Dann mache mich fertig
für den Start. Eintraben, Stretching, alles dabei?
Kurz vor dem Start: umziehen, einreiben, Sachen packen... |
...in einer halben Stunde geht es los! |
Während sich manche vor dem Start masieren lassen... |
...warten andere auf Dringenderes |
Das Startfeld der über 4.000 Läufer |
Bernie, Klaus und Sabine... gedanklich schon "on the run" |
08:57 Uhr. Im langen Feld der Starter reihe ich
mich im vorderen Drittel ein. Jetzt jemanden finden? Unmöglich. Doch ich
treffe Manfred + Heidi, Klaus und Bernie + Sabine, die sorgenvoll den
weiten 42km entgegensieht. Sie wird es schaffen.
Eine Minute nach dem Knall rolle ich los, und ich
bemerke bald, dieses Feld zieht heftig. Noch mehr als sonst. Es fällt
mir schwer cool zu bleiben. Doch ich schaffe es, weil ich hier und da
stehen bleibe, für ein Foto. Ich genieße die 4km-Runde im Ort, mit
Publikum, am See vorbei. Der größte Berglauf der Welt. Dann verlassen wir die Häuser,
folgen dem grünen engen Tal, umzingelt von hohen Bergen bei klarem
Himmel. Kann denn Laufen Sünde sein?
Interlaken Kugklocken Combo |
Vorbei am morgendlichen Thuner See - "Friede" |
Km 12, in Gsteigwiler ziehen wir fröhlich im
flachen Teil der Strecke an den Kilometerschildern vorbei. Alles läuft,
für jeden gut. Ich höre Gespräche mit hohen Zielen und Plänen. Ich?
Nein, nichts Bestimmtes vor, ich bin hier ja zum ersten Mal. Wie sagen
wir Bayern: „Schaumermal“.
Ab und an ein kurzes Gespräch mit einem neben mir
Laufenden. Ich nehme viel Natur auf. Die Farben hier sind einfach rein.
So schön hier, ich vergesse immer wieder, dass ich eine Kamera trage.
Ich fühle mich, als würde ich in ein Gemälde laufen. Das klare Blau über
uns, die weiten grünen Wiesen bis in die Ferne des Tals vor uns, das
schöne Grau der Berge links und rechts.
mal Musik aus Flussrauschen + tausend paar Laufschuhen... |
...mal Musik von einer der 20 Kapellen |
Jubelndes Publikum |
Eine der alten Holzbrücken, die wir überqueren |
Es geht zum ersten Mal bergauf, aber noch nicht steil |
Wir werden gebührend empfangen... |
...mit zuerst einem kleinen Hurra... |
...dann aber einem richtigen Hurra! |
Zurück in die Stille der Natur... |
...wo oft nur Wasserrauschen zu hören ist |
Fans in der Bahn, die oft neben uns fährt |
Verwinkelte Durchgangswege |
Km21, ein leichter Anstieg. Wir laufen ein zum
tosenden Publikumsmagneten Lauterbrunnen. Ich sehe begeisterten Fans aus
20cm in die Augen, so nah stehen sie. Typisch Schweiz auch hier ist das
„Hopp-Hopp zemi“, „witer so“ und die Reihen von lauten Kuhglocken. Was
fehlt wäre noch der Bernhardiner mit dem Fass. Ob es den hier gibt?
Fans am Anfang von Lauterbrunnen... |
...und Fangruppen in der Ortsmitte... |
...die Kuhglocken-Batterie treibt uns genauso an... |
...wie die letzten paar Glocken weit außerhalb des Orts |
Noch im Schwung der Begeisterung (bloß nicht
mitreißen lassen!) kommt schon meine Ernüchterung. – Achtung, jetzt wird
es gleich steil. Ui, und wie steil! Der erste kleine Stau, enge
gewundene Anstiege im Wald, Spitzkehren, oft ist es wie mehrere Etagen
Treppen steigen. Ich höre nur noch unsere Schritte leise tippeln, kein
Wort mehr. Bei km26,5 sehe ich zum ersten Mal ein „halbes“
Kilometerschild. Noch frage ich mich wieso?
Der letzte Blick aus dem flachen Tal... |
...jetzt geht es los, steil und immer steiler |
Ab km26... |
..folgen die Angaben in halben Kilometern |
Ich beobachte die unterschiedlichen Taktiken zwischen „große lange
Schritte mit Arm-Unterstützung“ und „Wechsel von Traben und Ausruhen“ im
Vergleich zu meinen konstanten mittelgroßen Schritten bei möglichst
nicht steigendem Puls. Und dann sehe ich „viertel“-Schilder.
Wir haben schon ganz schön Höhe gewonnen... |
...ab jetzt folgen die Angaben in viertel Kilometern (steiler) |
So treibe ich, immer auf Kraftreserven achtend, auf
km30 zu. Wengen - wir haben fast 1.000 Höhenmeter geschafft. Das
Publikum freut sich mit uns. Was für ein Lärm und Tumult nach der Stunde
Beschaulichkeit. Aufgewacht! – Und jetzt nur „noch einmal 1.000
Höhenmeter“. Bei mir läuft es gut. Immer wieder stoppe ich für ein
schönes Foto. Oder einfach mal nur so kurz für einen Seufzer wegen der
schönen Aussicht und Farben. Auf weiten Teilen ab km34 sehe ich dann nur
noch auf den Boden und achte die Füße vor mir nicht zu treten. Ab und zu
stolpert einer. Die Beine werden schwach.
In Wengen hängen "Lauftrophäen"... |
...und das Publikum steht dicht |
Momentaufnahme km35: ruhig ist es. Außer unseren
Schritten, wenn wir mal wieder joggen, höre ich nichts. Waldfrieden in
frischer Bergluft. Es ist eine andere Luft hier, ja. Und Freiheit.
Irgendwie Freiheit. „Odr“?
Links über uns die Zahnradbahn... |
...und der Blick in die Freiheit der Berge |
Dann scheinen die Kilometer länger zu werden. Es
geht eine Weile kaum vorwärts. Ich blicke gedankenverloren nach rechts
in die mächtige, nahe Wand der Jungfrau. Enorm hoch ragt sie neben uns
Ameisen auf. Die Naturmacht neben unserer kleinen Ameisenstrasse.
Steinalt und gelassen ruht das Felsmassiv. Und unermüdlich vorwärts
klettern die Läufer. Wohin eigentlich?
Die Schritte werden schwerer... |
...an der Wand der Jungfrau |
Uff, jetzt wird es erst richtig heftig: km39, die
Luft auf 2.000m ist schon seit einer Weile dünn für mich. Hätte ich doch
ein paar Tage früher zur Eingewöhung kommen sollen? Okay, einen Tick
langsamer jetzt. Es wird eng. Ich habe nicht soviel vor wie die, die ab
und an trotz eng, steil & rutschig hier am Trail gefährlich überholen.
Manchmal bleibe ich stehen, lasse 2 vorbei. Um nach 10min wieder von
ihnen gebremst zu werden. Ich bin im ersten Viertel, irgendjemand zählte
mal laut „Platz 831“. Wenn es sich schon hier öfters staut, wie wird es
weiter hinten sein?
Wieder mal ein Stück Laufen erleichtert... |
...doch schon gehen wir wieder (zu steil) |
Steil und immer steiler... |
...manchmal staut es sich ein wenig... |
...dann geht es wieder, die Luft ist dünn... |
...die Beine jammern, Schild km39,5 |
Km40, das muss die Moräne sein, ich kann alle vor
mir sehen, bis fast ins Ziel. Die Klänge des Dudelsackspielers (man
erzählte mir von ihm) höre ich schon eine Weile. Das muntert auf. Und
jetzt sehe ich ihn und laufe bald an ihm vorbei. In der doch schon
mühseliger gewordenen Karawane der Jungfraujäger. Immer wieder zwängt
sich jemand vorbei. Eine Kehre, wieder mal 300m traben (nicht alle
können das mehr).
Und bei exakt km41 passiere ich den höchsten Punkt
(2.150m). Ich weiß, jetzt geht es nur noch bergab ins Ziel. Ich lasse es
rollen. Wow, wie das plötzlich wieder geht (wie gesagt nicht bei allen).
--- Zieeeel! Ich drehe mich wie ein kleines Kind, stehe, schaue mich zum
ersten Mal richtig um. Der Ziel-Blick auf schneebedeckte Eiger, Mönch
und Jungfrau. In herrlichem Wetter mit Sonne. Ich verneige mich, Eure
Majestäten! Das entschädigt. Für alles heute. Auch für die
heißgelaufenen Füße. --- Über den Wolken...
Im Ziel, völlich fertich die meisten, aber glücklich... |
...zusammen mit Eiger... |
...Mönch... |
...und Jungfrau (4.158m) |
Über den Wolken
Doch zuerst trinken. Ich nehme sofort zwei Flaschen
Saft von dem kleinen Mädchen, die Medaille hängt schon um meinen Hals.
Dann 3min hinsetzen und verschnaufen. Als ich dann die hereinkommenden
Finisher so ansehe schnürt sich mein Hals zu. Es ist so Herz zerreißend,
zu sehen, wie sich wildfremde Läufer umarmen, stützen, in Tränen
ausbrechen. Völlig verschwitzt von Frau oder Freund umarmt werden,
zittern. Die Emotionen wollen raus. Was für ein Erlebnis!
Und der Bernhardiner mit Rumfass am Hals? --- Den
sehe ich doch noch! Friedlich und gelassen spaziert er im Ziel herum.
Als wäre nichts geschehen.
Der „Marathon“ nach dem Marathon
Langsam wird mir doch etwas kühl. Ich bin,
emotionsgeladen, schon eine halbe Stunde angekommen, trinke, sitze,
stretche. Zuerst den Chip abgeben und dafür das gelbe Finisher-Shirt
empfangen. Bald ist die Hälfte der Läufer um mich gelb gekleidet. Ich
suche in der Halle meinen Kleiderbeutel. Das ist nicht leicht, manche
suchen 15min. Und dann eine Massage? Ja, was für eine geniale Idee. Aber
vorher duschen. Alles heute ist super organisiert: warme Duschen ohne
Warten, sogar mit Haarföhn. Dann meine lange völlig traumhaft
entspannende Massage. Das alles soll nie mehr aufhören. So schön ist das
Gefühl.
Dann nehme ich mir ein paar Becher Bouillon und lege mich in die Sonne
ins warme Gras.
Zeit aus. Die Bilder in meinem Kopf suchen
einander, ein kleiner Film entsteht. Wird verworfen, neu gemischt. Ohne
Ende. Hach ist das schön.
Die Rückfahrt
In der Zahnradbahn geht es gemütlich (und lange)
zurück nach unten. Wir fahren an der Eiger Nordwand vorbei. Wanderer
neben mir erklären: da geht im Berg ein Tunnel-Bahn hoch, für die gibt
es ein „Fenster“ mitten in der Wand (eh, in der Eiger Nordwand?) und da
oben, siehste die Hütte am Eiger-Gipfel? Die Welt zieht ganz langsam an
mir vorbei, wie in
Sten Nadolnys „Entdeckung der Langsamkeit“
beschrieben.
Der Abend danach wieder in der Stadt
Ich sitze am hellgrünen Wasser und tippe
gedankenverloren meinen Bericht in den Laptop. Es ist ein angenehm
warmes Sitzen in der Sonne. Ich spüre eine tiefe Ruhe nach dem Marathon.
Massiert, warm geduscht und meine Beine können schon wieder fast normal.
Ich esse eine Schweizer Brotzeit. Danach tauche ich
wieder in das Zelt. Die grandiose Party danach. Pasta, Pizza und
Bratwurst sind gefragt. Und Bier. Hauptsache deftig und nicht mehr süße
Riegel, Iso-Drink oder Bananen. Und Wasser können wir Läufer nicht mehr
sehen. „Odr“?
Dei unbeschreibliche Ruhe nach dem Lauf genieße ich am Fluss... |
...mit Blick auf die letzte Sonne in den Bergen |
Um 20.00 Uhr, exakt „nach Schweizer Uhr“ startet vor dem Zelt eine
Kuriosität: die Jungfrau-Meile (1.609m).
Die "Jungfrau-Meile" endet hier im Zelt |
Die "Jungfrau-Meile":
Das Besondere: die Frauen starten mit 30sec. Vorsprung
vor den Männern, und wer zuerst ins Ziel kommt gewinnt.
Einige 20 internationale und Schweizer Größen starten.
Und laufen ins „Ziel“ mitten in unserem Zelt ein.
Eine Schau!
Gewonnen hat übrigens ein Mann, ein kleiner dunkelhäutiger.
War doch klar, oder? |
Im Zelt unterhalte ich mich dann weiter mit Team
Bittel Mitgliedern Manfred + Heidi und mit ein paar Lauffreuden. Ich
lerne neue Leute kennen, z.B. den Jungen aus Mexiko, der mir vom
Lauftraining und den Laufbedingungen in seinem Land erzählt. Oder ich
plaudere mit den Schweizern neben mir. Internationale Kulisse. Man lernt
immer nette neue Leute kennen. Um 22 Uhr beginnt das Live-Konzert von
Schweizer Rock-Urgestein Polo Hofer (die Legende lebt!). Ich tanze (ja,
das geht schon wieder!) eine ganze Weile und bin einer der Letzten, die
um 01.00 Uhr schlafen gehen.
Hey, das war mein WM-Debut. - Na, auch schon mal
davon geträumt an einer WM mit zu laufen? Mir geht immer noch der
Bernhardiner im Kopf herum...
Mit einem feurigen „Salü“,
Euer Erwin ( odr?)
(Erwin@team-bittel.de)
vom „Team Bittel“, einer etwas
anderen Laufidee.
Diesen Bonbon habe ich in am Boden gefunden, als es sehr zäh wurde.
Sicher vom Schweizer Berg-Gott für mich... "Merci" |
Infos:
www.jungfrau-marathon.ch
Weitere "Team-Bittel" Jungfrau-Berichte: klickt hier: 2006 und 2005 |
Weitere Berichte Jungfrau 2007: Thomas Bericht |
Bernies Bericht |
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