Diesmal habe ich mir überhaupt keine Vorstellung von der Veranstaltung
machen wollen. Sechs Tage auf der Bahn zu laufen ist einfach
unvorstellbar und gedanklich nicht vorwegzunehmen. Wertvolle
Mehrtageslauf-Erfahrung hatte ich schon vom Deutschlandlauf. Aber hier
sollte es nachts keine festen Ruhezeiten geben und kein Laufen von A
nach B in ständig wechselnder Landschaft, sondern nur eine
400-m-Aschenbahn. Das sind noch mal ganz andere, härtere (?)
Voraussetzungen. Kritisch stand ich der Sache deshalb von Anfang an
gegenüber, besonders wegen meiner Schmerzen im Vorfuß, die ich bereits
neun Monate seit dem Deutschlandlauf hatte.
Ich
erinnere noch sehr genau, dass ich mich zu Beginn der Veranstaltung bei
schönem Wetter sehr gefreut habe zu laufen und fast euphorisch war. Die
Sonne schien, aber nicht zu heiß. Alles wirkte trotz der Bedenken
geradezu perfekt. Aufgrund des geringen Tempos fühlt man am Anfang ja
auch keinerlei Anstrengung. Zu Beginn haben alle viel erzählt und sich
ein bisschen kennen gelernt bis auf den Schotten William, der einsam von
Anfang an ein wenig verbissen seine Runden drehte. Wahrscheinlich war
überall Erleichterung spürbar, dass das Unvorstellbare nun Realität
wurde. Am ersten Abend stand auch noch das Fußball-WM-Finale an, auf das
viele Läufer nicht verzichten wollten. Andere drehten einfach weiter
ihre Runden, völlig unbeeindruckt vom Spiel der deutschen Mannschaft,
das ziemlich unspektakulär verloren wurde.
Die
Veranstaltung war sehr gut organisiert. Morgens von sechs bis acht gab
es ein reichhaltiges Frühstück mit Brötchen, Rührei, Schinken, Käse,
Marmelade und Müsli, mittags und abends abwechslungsreiches warmes
Essen, um Mitternacht noch ein heißes Süppchen. Fürs leibliche Wohl war
also gesorgt. Die meisten Helfer stammten aus dem veranstaltenden
Fußballverein Bockum-Hövel und hatten somit eigentlich keine Beziehung
zum Ultralaufen. Sie waren aber alle unglaublich bemüht und hilfsbereit.
Kein Wunsch war ihnen zu groß. Eine Helferin ist beispielsweise spät
abends noch nach Hause gefahren, um mir ihren privaten Blasen- und
Nierentee zu holen. Ein anderer junger Mann aus dem Verein stand in
seinen Arbeitspausen immer mal wieder am Geländer und sah unserem
Treiben kopfschüttelnd zu, freundlich grinsend, sechs Tage lang. Er
wurde wie so vieles andere zu einem Fixpunkt für die Läufer. Am letzten
Tag musste ich ihn fragen, warum er nicht mehr mit dem Kopf schüttelte,
woraufhin er sofort wieder damit einsetzte. Alles war wieder gut.
Die
Verpflegungsstelle nach der elektronischen Rundennahme am Bahnrand war
für die meisten sicherlich der erste Anlaufpunkt unter den Helfern. Hier
wurde Tag und Nacht heißer Tee und Kaffee gekocht, Melonen, Äpfel,
Tomaten geschnitten und allerlei anderes zum Essen nebenbei gereicht.
Bekannte Ultraläufer wie Jutta Jöhring und Mattin Becker haben sich
dafür zur Verfügung gestellt ebenso wie Vereinsmitglieder und der Sohn
von Stephan Isringhausen. Eher bekannt in der Internetwelt ist letzterer
unter dem Namen Steppenhahn.
Der Betreiber der bekannten Ultra-Seite, hatte sich extra Urlaub
genommen und war mit Hund Birke vor Ort. Ihre Stöckchen-Spiele inmitten
der Laufbahn zu beobachten war eine willkommene Abwechselung.
Unmittelbar nach der vollen Stunde waren für die interessierten
Verfolger vor den häuslichen oder dienstlichen Bildschirmen die
stündlichen Km-Leistungen im Netz. Stephan hat auch den Service geboten,
Mailgrüße an die Strecke zu bringen. So konnte Unterstützung von zuhause
auf die Strecke gelangen.
Ablenkung Hundespiele |
|
Selbst, dass die Turnhalle zum Schlafen ca. 130 Meter von der Bahn und
die Toilette sowie das Vereinsheim für die drei Mahlzeiten 20 Meter
entfernt waren, fand ich persönlich nicht so tragisch. Bei manchen
Läufen stehen Dixiklos direkt an der Bahn. Das ist für absolute Rekorde
vielleicht wichtig. Die Aschenbahn war natürlich in der Hitze der
kommenden Tage sehr, sehr staubig. Die rote Asche hat sich noch Monate
hartnäckig in den Schuhen gehalten. Nach einem wolkenbruchartigen
Regenfall war sie vollkommen überschwemmt. Gegen die unterschiedlichen
Wetterphänomene erweist sich eine Tartanbahn bestimmt als konstantere
und sauberere Laufunterlage. Aber hier haben die Helfer wieder
unmittelbar reagiert und eine Pumpe besorgt, um die Wassermassen von der
Bahn zu zaubern. Ebenfalls wurde mit Besen und Eimern per Hand
gearbeitet, um die Bahn wieder gut passierbar zu machen.
Matsch wegpumpen |
Laufen im Matsch |
Die
Arbeit der Physiotherapeuten Mike und Leif dagegen gar nicht mehr mit
Worten zu beschreiben. Ihre Arbeit lediglich als großartig zu
bezeichnen, könnte man schon als Beleidigung werten. Sie standen uns Tag
und Nacht mit vollem Einsatz zur Verfügung, nicht nur mit ihren Händen,
ihrem professionellen Können, sondern auch mit immer wieder neuen,
spontanen Ideen und vor allem viel Empathie. Sie haben uns unglaublich
viel Wohlbefinden bereitet mit ihrem Reha-Pen aus Edelstahl, den
Muskelauflockerungen und der Begünstigung des Lympheabflusses. In
unseren Pausen hatte ich das Gefühl, endlich einmal im lange verdienten
Wellness-Urlaub zu sein – und das bei einem Sechs-Tagelauf!
Einmal
hat Leif abends meine Beine massiert, während ein Lehrling mir
gleichzeitig eine Fußreflexzonenmassage gegeben hat. Herrlich! Sogar
gegen die Blasen hatte Leif eine besondere Methode. Er hat mit einem
Baumwollbindfaden mit Knoten an beiden Enden eine Drainage durch die
Blase gelegt. Dadurch konnte die Flüssigkeit ablaufen, die Haut aber
nicht wieder zuwachsen. Zur Säureregulierung haben die beiden uns immer
regelmäßig Basica an die Strecke gebracht. Bei zu großer Hitze, als
einmal über 50° C auf der Bahn gemessen wurden, hat Leif mich in einem
kalten basischen Bad so stark heruntergekühlt, dass ich danach
vollkommen frisch laufen konnte. Vorher hatte ich eine Stunde im
abgedunkelten Raum ohne jegliche Bewegung unerträglich geschwitzt.
Mike
und Leif haben es sogar geschafft, meine chronischen Schmerzen am Fuß zu
beseitigen. Ein Orthopäde sowie ein Radiologe hatten zuvor unisono
behauptet, dass man bei Überlastungsschäden im Fuß nichts machen könne,
außer eben weniger zu laufen. Diese Info hat Mike kopfschüttelnd
aufgenommen und den Fuß sofort behandelt. Schon nach der ersten
Behandlung war eine sofortige Linderung zu spüren. Unter der enormen
Belastung haben die beiden die Schmerzen endgültig wie überflüssigen
Ballast entsorgt. Sie sind bis heute nicht wiedergekehrt. Ich glaube, es
lohnt sich sogar eine sehr weite Anreise nach Hamm, um sich in ihrer
Praxis behandeln zu lassen. Solche Physiotherapeuten findet man so
schnell nicht wieder. Über ihre inhaltliche Arbeit ist konkreteres auf
ihrer Homepage zu erfahren:
www.mike-ketels.de
Auch
die Pressearbeit war sehr gut. Das ist bei Ultralauf-Events lange nicht
selbstverständlich. Jeden Tag hat ein Artikel im Westfälischen Anzeiger
mit Fotos über den Fortschritt des Laufes und über einzelne Läufer
berichtet. Das Radio an der Strecke ließ uns Nachrichten über unsere
Leistungen hören. Sogar der WDR hat einen fünfminütigen Bericht
hauptsächlich über Uwe als Lokalmatador aus Hamm gesendet. Direkt auf
der Bahn auf dem Laptop des Zeitnehmers aus der Nähe von Dresden konnten
wir ihn verfolgen. Dass die Welt außerhalb der Bahn von uns Notiz
genommen hat, hat zu Motivationsschüben beigetragen.
Das Duo... |
..eng aneinander gelehnt |
Uwe
hatte neben dem WDR auch viel Besuch von seiner Familie, alten Freunden,
Bekannten und Kollegen. Mal eine Erzählpause einzulegen war für ihn eine
willkommene Abwechslung vom Laufen, die ihn danach aber wieder umso mehr
motiviert hat. Ich dagegen war so auf meine Runden fixiert, dass ich
niemanden an der Bahn registriert habe. Selbst Uwes Sohn mit der lieben
Maria und ihrem Sohn im Kinderwagen habe ich zu meiner Schande gar nicht
begrüßt, weil ich sie überhaupt nicht wahrgenommen habe. Alle Sinne
haben sich wohl zugunsten der Beinarbeit reduziert.
Und
genau das Phänomen war wohl das Interessante an diesem Lauf. Man
schaltet wahrscheinlich so ab und blendet vieles aus, dass man selbst
das Offensichtliche seines Tuns, nämlich das stupide Kreisen auf der
Aschenbahn gar nicht mehr als solches wahrnimmt. Jeder hatte seine
Mechanismen gefunden, um vom Kopf her die „immer währende Runde“ zu
bewältigen. Ich habe mich immer wieder auf die volle Stunde gefreut, um
dann bald wieder den Fortschritt an der Zeitnehmertafel dokumentiert zu
sehen. Danach habe ich mich gezwungen, die Uhr nicht mehr so richtig zu
beachten bis zwanzig nach. Dann konnte ich schon wieder sagen: „Na also,
ein Drittel der Stunde ist schon wieder um! Kurz darauf war auch die
Hälfte schon wieder geschafft. Bei vierzig folgte nur noch das letzte
Drittel, bei 45 wurde es lockerer, da das Ende ja schon in Sicht war.
Bei 50 war die Freude groß, fast wieder eine Stunde bewältigt zu haben.
Und kurz darauf war es schon wieder 12 nach und dann 20 wieder nicht
weit. Dieses Spiel, ich weiß nicht, wie oft ich es im Geiste gespielt
habe, 50 Mal mit Sicherheit, eher noch mehr.
Genauso folgte der Tag relativ festen Regeln: Gegen 5 Uhr dämmerte es
langsam, gegen 9 Uhr ließ der Schatten auf der Baumseite der Bahn
langsam nach, ab 11 Uhr lag die gesamte Bahn vollständig in der prallen,
unerbittlichen Sonne. Ab 17 Uhr gab es auf der gegenüberliegenden langen
Seite bei der Tribüne langsam wieder ein bisschen Schatten, ab 19 Uhr
war die Hitze erträglich. Ein, zwei Stunden später begann es langsam zu
dämmern. Dann wurden die eigens für die Veranstaltung installierten
Scheinwerfer eingeschaltet, die wiederum bis 6 Uhr morgens ihren Dienst
tun mussten. Die gleiche Prozedur wiederholte sich mehr oder weniger 6
Tage lang und wurde durch die ersehnten Essenspausen „von außen“
unterbrochen. Eigene Pausen darüber hinaus waren eine „innere
Notwendigkeit“.
Richtungswechsel jeweils nach sechs vollen Stunden waren immer von
besonderer Begeisterung gekrönt. Die Helfer haben sich am Wendepunkt
aufgestellt und alle Läufer mit Abklatschen in die neue Richtung
verabschiedet. Welche Freude im monotonen Bahngeschehen, alle
entgegenkommenden Mitläufer durch Abklatschen zu begrüßen und immer
wieder erneut zu würdigen. In der Nacht haben die Helfer auch immer
schnell die Scheinwerfer in die jeweils andere Richtung gedreht, um den
Läufern das Geblendet-Werden zu ersparen.
Haltungsnoten |
|
Am
Mittwochabend kam eine große Laufgruppe aus Hamm,
die „Radbod-Runners“, zur Unterstützung
vorbei. Sie schienen großen Respekt vor unseren Leistungen zu haben und
liefen zeitweilig mit auf der Bahn und machten La-Ola-Wellen am
Bahnrand. Dadurch konnten wir alle aufgrund des größeren Spaßfaktors
schneller rennen oder zumindest leichter vorankommen. Gerne hätten wir
sie zwischendrin nochmals begrüßt. An der
Siegerehrung nahmen sie
wieder teil
Schon
oft hatte ich gelesen, dass sich bei Mahrtagesläufen am dritten Tag der
alles entscheidende psychologische Knackpunkt einstellt. Bei mir kam er
am Ende der vierten Nacht. Da habe ich tatsächlich kurz überlegt, ob es
noch Sinn macht weiterzulaufen, wo man doch so einfach besser hätte im
Bett liegen bleiben können. Aber dazu waren wir ja nicht in Hamm. „Im
Bett kann man sonst immer liegen ohne Startgeld bezahlt zu haben! Also
wieder aufraffen, auch wenn es schwer fällt, und weiter, immer weiter
bis zum Schluss ... Genau, das morgendliche Laufen ist doch eigentlich
immer ganz schön“. Solche und andere motivierende Gedanken habe ich mir
gemacht und raus ging’s aus dem gemütlichen Federbett. Am fünften Tag
war bereits ganz klar, dass es der vorletzte war und nach einer weiteren
Nacht schon das Ende schon zum Greifen nahe gewesen wäre. Der letzte Tag
war dann für alle viel lockerer und ausgelassener, obwohl noch einmal
vermehrt um Kilometer gekämpft wurde.
Die
meisten Mitläufer waren sehr aufgeschlossen und vertrieben sich die Zeit
zwischendurch immer mal durch Erzählen und manchmal sogar
philosophieren, obwohl jeder für sich seine ureigene Welt lebte und mit
eigenen Zielen, Wünschen und Vorstellungen von der Veranstaltung
beschäftigt war. Zunächst waren wir mit 13 Läufern an den Start
gegangen. Wolfgang Schwerck hatte angekündigt, einen neuen Weltrekord
aufstellen zu wollen. Aber schon am zweiten Tag hatte er sich wegen der
zu heißen Temperaturen aus dem Geschehen zurückgezogen. Sein Plan konnte
unter den Bedingungen nicht aufgehen.
Dieter
wollte seinen persönlichen Rekord von 513 km brechen und kämpfte
unerbittlich gegen sich selbst darum. Er schlief die meisten Nächte so
gut wie gar nicht und glänzte durch Präsenz auf der Strecke. Er ging vor
lauter Überanstrengung gegen Ende der Veranstaltung schief und wirkte
manchmal am Rande seiner Kräfte, teilweise kaum noch zurechnungsfähig
(das ist natürlich nur ein subjektiver Eindruck von einer, die bestimmt
auch nicht besser bei Sinnen war). Unsere Physiotherapeuten machten sich
auch Sorgen um ihn und wollten ihm helfen. Er konterte aber, dass ihm
schon genug geholfen sei, wenn man ihn einfach in Ruhe ließe. So ist
eben jeder anders. Auf meine Frage, warum er sich solcher Anstrengung
unterziehe, war seine grandiose Antwort, er liebe die Eroberung des
Nutzlosen. Wie wahr und bewusst! Über den Sinn, Unsinn oder den Nutzen
solcher Veranstaltungen könnte man sicher lange diskutieren. Dieter hat
aber noch einen neuen deutschen Rekord im Sechstagelauf in der M 65 mit
523,770 km aufgestellt. Unmittelbar nach der Siegerehrung war er nach
all der Überanstrengung sogar in der
Lage eine druckreife Dankensrede für die Helfer zu halten. Wie
unglaublich, wozu Menschen im Stande sein können!
Ältester Teilnehmer, der Ire Dan (79) |
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Trond,
der Norweger dagegen, den wir schon vom Deutschlandlauf kannten, hat von
Anfang an klargestellt, in Hamm im Urlaub zu sein und Spaß haben zu
wollen. Da er in Norwegen oft Nachtschichten schieben muss, wollte er im
Urlaub darauf lieber verzichten. Einen Tag ist er nur etwas mehr als den
vorgeschriebenen Marathon gelaufen, weil er zu mehr einfach keine Lust
hatte. Mit der Startnummer um den Bauch ist er einmal mit dem Fahrrad in
ein nahe gelegenes Einkaufszentrum gefahren, um mal etwas anderes zu
sehen. Er kam mit einer Flasche Wasser wieder, weil ihn im Endeffekt
doch nichts weiter inspiriert hatte. Aufgrund seiner großen Begabung ist
er trotzdem locker zweiter geworden. Aufgrund seiner weißen Mähne wurde
er vom Steppenhahn, der auch mit einer wilden Matte glänzen kann und
genauso zu Späßen aufgelegt war, als „the most famous hairstylist“
bezeichnet. Als es mal regnete und viele von der Bahn gegangen sind,
sagte Trond beim Überholen trocken: „Rain is good for your hair“. Auf
mein fragendes Gesicht hin, fügte er gleich noch hinzu, dass ich mir das
vom „most famous hairstylist“ mal sagen lassen sollte. Damit war gleich
wieder das Eis gebrochen, um zusammen Blödsinn zu reden und zu lachen.
Wir haben so viel gelacht, dass wir uns manchmal auf der Bahn oder auch
beim Essen die Bäuche halten mussten und der Steppenhahn schon kritisch
bemerkte, dass „der Stoff“ ja wirklich gut sein muss.
Auch
Frank Hildebrandt hatte seine lustigen Minuten, obwohl er insgesamt eher
ernsthaft wirkte und oft mit seinem großen Vorbild Else Bayer zusammen
ging. Zu dem kleinen 79-jährigen Iren Dan, der immer langsam mit
riesiger Sonnenbrille vor sich hin trottete, sagte er einmal im
vorbeilaufen: You have nice sunglasses. Als der wiederum mit trockenem
englischen Humor antwortete: Yes, I like them, mussten wir auch wieder
lachen. Das Spiel ließ sich weiter hinziehen und uns einen Vor- oder war
es ein Nachmittag (?) verkürzen.
Auf der nächsten Runde fragte
Frank, warum Dan denn hier im Kreis laufe. „Ich finde den Ausgang
nicht“, war seine prompte Antwort, die natürlich auch für Erheiterung
sorgte. Später fügte er hinzu, er werde aber noch ein paar Tage danach
Ausschau halten. Auf einer weiteren Runde bemerkte er, dass am Ausgang
nämlich sein Rollator stehe. Einmal beim Essen munkelte man, er lebe
tatsächlich im Altenheim und bewege sich dort mit dem Rollator fort, was
natürlich absurd anmutete, aber wieder einen Lacherfolg erntete. Es
stellte sich später als Witz raus. Tatsächlich soll er in einer
Einrichtung mit krebskranken Kindern leben, für die er noch als
Buchhalter tätig ist. Er selbst bezeichnet in einem Zeitungsinterview
Ultraläufer als Verrückte -, die aber niemandem etwas zuleide tun. Da
mag etwas Wahres dran sein.
Morgengrauen |
Im Regen kurz unterstellen |
In
einer Nacht wurde eine große 69 mit Windlichtern im Innern der Bahn
aufgestellt. Um Mitternacht haben wir dann alle auf der Bahn
innegehalten und auf Else Bayers Geburtstag angestoßen. Sie beging ihn
ganz bewusst während ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Ultralaufen.
Schon seit einigen Jahren ist Else oft im Rock beim Laufen unterwegs und
damit in der Szene unverwechselbar. Sie ist eine ganz Liebe, hat
deutsche Rekorde in der Alterklasse aufgestellt, sagte unterwegs aber
öfter, dass sie auch müde sei und im Grunde lieber mit ihrem Mann, der
sie immer unterstützte, gemütlich wandern gehen würde. In ihrem
unermüdlichen Laufeinsatz ist sie ein großes Vorbild für viele und will
ihrem Leben deshalb nicht untreu werden. Am folgenden Wochenende wollte
sie noch an den Deutschen Meisterschaften im 24-Stundelauf in Berlin
teilnehmen.
Auch
Barbara hatte ihr ureigenes Ziel. Sie wollte 500 km schaffen, kämpfte
und hat sie sogar gut überschritten. Sie ließ sich kaum von Mike oder
Leif behandeln, sondern kümmerte sich immer selbst ganz professionell am
Bahnrand unermüdlich um ihre Blasen. Auch ihr Mann, der sie zum
Ultralaufen gebracht hatte, unterstützte sie fast Tag und Nacht und
schlief oft direkt an der Bahn.
Tom,
ein weiterer fast 80-jähriger Brite, schien durch Hochrechnungen davon
bedroht, seinen vorgeschriebenen Marathon am letzten Tag nicht zu
schaffen. Damit wäre der Lauf insgesamt für ihn nicht gewertet worden.
Das wollte natürlich niemand. Auch er ging vor Anstrengung schief und
kam deswegen nur noch schlecht voran. Fast alle halfen wir ihm bei der
Bewältigung seines Marathons, indem wir ihn abwechselnd hin und wieder
eine Runde stützten, um ihm dadurch den Vortrieb zu erleichtern. Das
zeugt auch davon, wie sehr wir alle in den Tagen zusammen gewachsen sind
und die Veranstaltung fast wie eine kleine Familie zusammen gemeistert
haben. Ja, trotz des einsamen Kampfes jedes Einzelnen auf der Bahn waren
wir alle zusammen mit uns und den anderen zufrieden. Wir haben es alle
geschafft unter der extremen Belastung den Lauf gut gemeinsam
durchzustehen.
Zwei
Stunden nach der Siegerehrung beim gemütlichen Zusammensitzen fiel unser
Blick noch einmal auf die Bahn, die wir doch eigentlich lange genug
kennen gelernt hatten. So einsam, wie sie dort jetzt lag, schien sie uns
sofort wieder fremd. Der Lauf an sich war schon wieder verflogen und so
wenig vorstellbar wie vorher. 6-Tageläufe kann man anscheinend nicht
verstehen geschweige denn vermitteln, sondern nur laufen – oder auch
nicht.
Für
Uwe und mich war der Lauf natürlich besonders schön und eine gemeinsame
innige Erfahrung nach dem Deutschlandlauf. Wer außer uns konnte zur
Entspannung schon zwischendurch Händchen haltend über die Bahn
marschieren? Wir haben uns immer gemeinsam ausgeruht auf der Bahn, im
Bett und auch bei Mike und Leif und die ganze Zeit über Freud und Leid
geteilt. Bei Uwes Tiefpunkt, als er in der letzten Nacht das Bett nicht
mehr verlassen wollte, konnte ich ihm helfen. Das Ende stand doch schon
kurz bevor! Ein paar unfreundliche Worte meinerseits mussten herhalten,
für die Uwe sich aber umgehend sogar noch bedankt hat. Unser Ziel, den
Lauf gemeinsam zu überstehen, hat damit wunderbar geklappt. Unsere
Freude darüber war riesengroß und einfach schön zu sehen, was man
gemeinsam viel leichter bewältigen kann. Uwe konnte sogar noch seinen
erhofften Pokal als bleibende Erinnerung mit nach Hause nehmen.
Mein
Wunsch mich in der ewigen DUV-Bestenliste zu verewigen ist auch in
Erfüllung gegangen. Meine angestrebten
Kilometer dafür habe ich sogar relativ untrainiert erreicht. 30-40 km
die Woche reichen kaum für eine mittelmäßige Marathonvorbereitung.
Daran sieht man aber, dass Ultras bei mittelmäßiger Begabung
hauptsächlich im Kopf entschieden werden. Und daraus resultierte wohl
der allerschönste Nebeneffekt des Laufes – ich hatte schon vage
vermutet, dass es passieren könnte, es aber als extrem unwahrscheinlich
abgetan – eine neue Motivation wieder zu laufen. Vielleicht sollte ich
einfach mal wieder auf kürzeren Strecken versuchen, was möglich ist. Von
der Idee mit dem extensiven Laufen aufzuhören, hat sich nach Hamm
relativ schnell die Idee herauskristallisiert, im nächsten Jahr an die
200 km heran zu laufen bei mehreren 24 Stundenlauf–Versuchen.
Das gesamte Resumé wirkt jetzt sicher sehr positiv,
verschweigen möchte ich am Ende aber nicht, dass ein Sechstagelauf eine
extrem Kraft raubende Aktion für den Körper darstellt. Das ist sowieso
klar, aber es soll auf keinen Fall unerwähnt bleiben. So interessant, im
Endeffekt positiv und reich an Erfahrungen der Lauf war, weiß ich, ihn
in den nächsten Jahren nicht wiederholen zu müssen. Muskuläre Probleme
hatte ich aufgrund des geringen Tempos gar nicht, auch nichts mit den
Gelenken, Bändern oder Ähnlichem. Aber es stellt sich eine schleichende
Müdigkeit nach solchen Extremläufen ein, die man bestimmt nicht
unterbewerten sollte. Wenige Wochen später hatte ich auch eine
Nierenbeckenentzündung, die mich vollständig aus der Bahn geworfen hat.
Sie hat mir deutlich aufgezeigt, dass gerade, wenn wir viel von unserem
Körper verlangen, wir ihn auch richtig regenerieren lassen und pflegen
müssen.
Grüße aus Bremen,
Susanne
Infos:
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Aus und vorbei...
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