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Letzte Änderung: 21.11.2008

Von wegen See? Man bekommt ihn kaum zu sehen. Nur heißen Asphalt!

Erlebnisse in Ungarn
beim 212km-Ultra
um den Plattensee

21.+22.06.2008
 


 

 (Bericht+Fotos: Olaf Schmalfuß)

 

 

Heißester Sommer und dann der Balathon-Marathon

 

Über die angenehmen und auch die unangenehmen Seiten dieses ungarischen Ultralaufs. Schonungslos berichtet Olaf...

Eine Runde um den See, 212 km, das klingt doch gut? 

Ja, verlockend, es klingt einfach genial verlockend und ich erliege der Verlockung. Einmal um den See. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ich kenne die Geschichte des Laufes: Früher waren es sehr, sehr wenige Teilnehmer. Die Finisher-Quote war entsprechend der Organisation: nicht so doll.  Dann hat der Veranstalter gewechselt. Seitdem kommen mehr Läufer, und es ist ein schöner langer Ultralauf. Mit allem, was man so erwartet: Viel Sonne, ein großer See, ab und zu ein kaltes Bier, unkomplizierte und kommunikationsfreudige Läufer, schöne Abschnitte zum Laufen, und und und. - Eigentlich... Wären da nicht die Wermuts-Tropfen. Und das waren dann doch sehr, sehr dicke und sehr viele.

Das gesamte Prozedere:

Anreise:

Mit dem Pkw. Klingt sehr einfach, isses auch. Der Tacho am Auto wird nach der Heimreise nach Nürnberg 1.600 km mehr anzeigen, das Benzin ist in Ungarn so billig (- 20%), dass das Laufen fast keinen Spaß mehr macht, wenn man an einer Tankstelle vorbeirennt.

Ablauf:

Anreise am Freitag, Übernachtung, Samstagmittag bis Sonntag laufen, Übernachtung bis Montag und Heimreise. Mehr ist nicht. Wer spart, hat von Samstag auf Sonntag kein Zimmer und alles Hab und Gut im Auto. Macht das bloß nicht in Ungarn!

Der Lauf:

Start ist für die Staffel und die Frauen um 11:00 Uhr. Die Männer starten um 12:00. Tihany ist eine Landzunge in den Plattensee, wir laufen Richtung Norden und dann gegen den Uhrzeigersinn um den See. Es ist brutal heiß. Aufgrund meiner Erfahrung weiß ich: wer hier zu schnell läuft, der wird bald langsamer werden, wie ein Autolicht, das man nach Abschalten des Motors brennen lässt, und das so langsam seine Kraft verliert. Die Energie geht langsam aus, bis zur Tiefentladung der Batterie. So ist das bei einem Läufer auch, das weiß ich. Warum laufe ich nur zu schnell? Warum?

Der Asphalt ist heiß und die Mischung von Bitumen und Steinen im Straßenbelag scheint nicht optimal zu sein. Ich laufe über die Schuhabdrücke der Läufer vor mir. Das habe ich noch nicht erlebt, die markanten Profile von Asics und Co im Straßenbelag. Aber es läuft sich noch gut. Nächste Hitzestufe: Der Asphalt ist stellenweise so weich, dass man als Läufer nennenswert Kraft auf wenden muss, um den Schuh wieder vom Asphalt zu lösen.

Nun gut, ich habe schon über 30 km hinter mich gebracht. Balaton? Nein, den See sehen wir nicht mehr. Wir laufen auf einer Landstraße, das könnte irgendwo auf der Welt sein. Irgendwo, wo die Sonne keine Gnade kennt.

Soviel vorweg: Mit einer Seeumrundung hat der Lauf nichts gemein. Es gibt wenige Abschnitte, die am See entlang führen und auch nur wenige Abschnitte, an denen der See sichtbar ist. Also, man läuft eine große Runde und sieht soviel Wasser, wie wenn man z.B. in Franken um einen Karpfenweiher läuft. Das habe ich mir so nicht vorgestellt. Aber es läuft weiter.

Gerhard sitzt am Straßenrand. Fix und alle, mit knallrotem Kopf. Ich gebe ihm Wasser, Salz- und Mineraltabletten, versuche ihn zum Weiterlaufen zu animieren, aber das hat keinen Sinn. Ich ziehe ohne ihn weiter.

Nach 50 km merke ich, dass das nicht mein Lauf werden wird. Die Freude am schnellen Lauf hat sich verflüchtigt, ich werde wohl in der Nacht nicht an Tempo zulegen können. Ausgeschlossen. Ich trinke ein kühles Bier – und es tut gut. Ich unterhalte mich mit dem Besitzer der Pizzeria auf dem Campingplatz: 300 Plätze hat er und zur Hochsaison sind 60 belegt. Ich werde nach dem Lauf wissen warum.

Ich quäle mich durch die Nacht. Highlights: an einem Verpflegungsstand hat man bemerkt, dass ich ziemlich frustriert weitergelaufen bin. Das auf der Liste stehende Bier gab es fast nirgendwo. Da ist der Standchef in sein Auto gesprungen, in den nächsten Biergarten gefahren und hat kühle Getränke gekauft. Und mir gleich eins abgegeben. Eine der wenigen angenehmen, positiven Ausnahmen.

Ich bin langsam und müde geworden. Wie ein alter Mann schiebe ich ein Bein nach dem anderen nach vorne, a bisserl was geht halt dann doch immer. „Powerhatsching“ – sacht der Frange (= kampfbetontes hatschen). Mehr ist nicht drin. Dabei hatte ich mich so auf diese Nacht gefreut. Ich träume von einem warmen Bett, in dem man die Füße ausstrecken kann. Und laufe auf einem Radweg, direkt neben der Straße. Das zieht sich eine Ewigkeit. Sobald sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, kommt ein Auto mit Fernlicht. Das ist Stress. Ich werde immer müder. Es ist kurz vor Sonnenaufgang. Schlaftrunken torkele ich vor mich hin. Ein Radbegleiter eines anderen Läufers baut mich wieder auf. Irgendein kühler Saft, Zitrone und aufmunternde Blicke. So rette ich mich in den Morgen. Aber ich habe viel Zeit verloren. Es sind Stunden. Mit einer vorsichtigen Hochrechnung könnte ich um 16:00 Uhr im Ziel sein. Aber ich weiß, dass es noch eine Hitzeschlacht geben wird. Doch ich bin schon soweit gelaufen, ich will den See umrunden und kann mir nicht vorstellen, dass mich etwas davon abhalten könnte.

Und die Hitzeschlacht, die ist vom Feinsten. Ich weiß nicht, ob ich mich auf die nächste Verpflegungsstation freuen soll, an der es wieder nur warme Getränke gibt.  Abgelenkt vom Gedanken des Finishens ist meinoberstes Gebot jetzt, keinen Sonnenstich zu bekommen. Der Kreislauf muss stabil bleiben, das Lauftempo muss sich den Gegebenheiten unterordnen. Ich merke nicht, wie das „Kühlwasser“ für den Kopf regelmäßig auch auf meine Füße läuft. Anfängerfehler – so ein Mist. Das gibt Blasen! Alles, was ich bezüglich Blasen an den Füssen bisher erlebt habe, wird um Größenordnungen übertroffen. Meine Schmalfüße erzeugen das Gefühl, was ich gerne als „virtuell“ bezeichne: Einen riesigen Schmerz, der,  im Kopf registriert, dort ja nicht sein kann und deshalb virtuell, also nicht real, sondern nur Einbildung sein kann. Dieser interessante Gedanke kommt von Klaus „Keule“ Neumann. Man kann den Lauf trotz dieser „virtuellen Schmerzen“ getrost fortsetzen.

Am Rand des Radweges sitzt Claudia, sichtlich fertig. Ungläubig nimmt sie zur Kenntnis, dass meine Einladung zu einem Schluck Wasser kein Scherz ist, ich habe wirklich noch welches. Ich kann sie noch für ein paar wenige Kilometer motivieren – bei km 194 wird sie den Lauf 18 km vor dem Ziel beenden.

Ja, das immer näher kommende Ziel scheint für mich unerreichbar. Die Schmerzen meiner Füße sind so groß, dass ich mich auf jeden Schritt konzentrieren muss. Für jeden Meter (oder weniger) ein ausdrücklicher Befehl an das Laufwerk, das wegen diesem Powerhatsching in einem ganz jämmerlichen Zustand ist.

So bleibt Zeit, etwas zu Rechnen (ja, ich rechne oft beim Laufen), sich Gedanken über den Sinn des Lebens oder den Unsinn der Extremsportveranstaltungen zu machen – und das Ende naht.

Wir – ich bin ja nicht alleine in dieser verrückten Welt – beschließen gemeinsam ins Ziel einzulaufen. Fünf glückliche Gesichter im Ziel. Schauspieler hätten wir nicht werden können, die glückselige Ausstrahlung war echt, jeder war froh, dass es endlich vorbei war.

Dann ein Stück soziales Umfeld in Ungarn: Das Auto wurde aufgebrochen und im Schnellgang wurden 4 Sporttaschen mit viel Geld, Schlüsseln und Ausweisen gestohlen. Schmerzlich hat uns der Verlust der wertlosen Utensilien getroffen, an denen jeder hängt – wie z.B. Finisher Hemden von besonderen Extremläufen, DUV Kapuzen-Sweatshirts etc.

Mein Tipp, falls jemand nach Ungarn fährt: Mit 2 Autos fahren und die Sachen in dem Auto aufbewahren, dass nicht aufgebrochen wird, denn nur jedes zweite wird aufgebrochen.

Und nun ist die Bevölkerung dran, der kleine Mann auf der Straße, der eine Steigerung eines Moosbüffels ist. Da grüßt du vermeintlich nette Menschen in der lachenden Sonne – und sie schauen demonstrativ weg. Da ist das Bier zwar billig, aber wenn nach einem deutschen Hefeweizen keines mehr verkauft werden kann, hat der Wirt entweder keine Lust oder doch sehr falsch geplant. Und wenn du während des Laufes das Gefühl bekommst, du bist in einer Gaststätte, in der du nur ein Bier trinken willst, nicht willkommen, dann – ja ich hätte Lust, einen vollen Reisebus dorthin zu schicken, damit sich das Mondgesicht von Bedienung richtig ärgert. Auch in der Pizzeria in Tihany, nach dem Ärger mit dem Autoaufbruch um fünf Minuten nach 22:00 Uhr. Der Koch machte Feierabend. Die Gaststätte war voll wegen der Fußball-WM und der Typ hat keinen Bock mehr, 4 Pizzen in den Ofen zu schieben. EU Grüß Gott! Diese Art von Völkerverständigung brauche ich in meiner Freizeit nicht.

Und was ich fast vergessen hätte: die alte Puszta-Legende gibt es nicht mehr, ein Flair wie in Piroschka, das ist vorbei. Wenige Ziehbrunnen sind für die Touristen hergerichtet, vielerorts spürt man die kommunistische Vergangenheit noch stark, mehr ist da nicht los.


Das Event-Zelt

Blick von der Eventwiese

Mückenattacke

Nacht vor dem Lauf

Puszta-Flair

Frauen-Start

Strategiegespräche

Asphaltgespräche mit der Kamera

Jochen und Michael

Vor dem Männer-Start

Startaufstellung Männer

Unterwegs...

...in Ungarn

Werner, ein bekanntes Gesicht

Und weiter...

Ausnahme: Mal kein Asphalt

Schatten ist selten

Kommunikation unterwegs

Pizzeria am Campingplatz

Verpflegungsposten irgendwo

Oh Mann!

Überlebt!

Das "Dilpoma"
 

Mein Eindruck:

Diesmal gibt es wenig Bilder, ich hab mit mir selber sehr zu tun gehabt. Und das Objektiv meiner wasserdichten Kamera war immer mit Schweiß verschmiert. Mein Respekt den schnellen Läufern: Lauflegende Janis Kouros gewinnt und auch Michael ist noch unter 20 Stunden geblieben. Diese Rennflitzer! Hut ab!

Den Veranstaltern ein dickes Lob: Unter diesen Verhältnissen dort den Lauf zu organisieren verdient Anerkennung. An diese Adresse deshalb ein großes Dankeschön! Schöpft Euer Verbesserungspotential aus, und Ihr werdet den Ultralaufsport weiter voran bringen!

Mein Tipp für den Lauf:

Den ersten Nachmittag nur wenig Tempo, Freude am Laufen unterdrücken, in der Nacht viele Kilometer machen und wer es nicht bis kurz nach Sonnenaufgang geschafft hat: Gnadenlos durchbeißen. Die Kilometer jenseits der 100 km Marke macht man eben mit dem Kopf, und da sind die Zähne drinnen, die man manchmal dazu braucht. So hart kann das Ultraleben auch sein.

Bis demnächst mal wieder

Euer Olaf

Infos: www.ultrabalathon.hu
 

 

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