Eine Runde um den See, 212 km, das klingt doch gut?
Ja, verlockend, es klingt einfach genial verlockend und ich erliege der
Verlockung. Einmal um den See. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ich kenne die
Geschichte des Laufes: Früher waren es sehr, sehr wenige Teilnehmer.
Die Finisher-Quote war entsprechend der Organisation: nicht so doll. Dann hat
der Veranstalter gewechselt. Seitdem kommen mehr Läufer, und es ist ein
schöner langer Ultralauf. Mit allem, was man so erwartet: Viel Sonne,
ein großer See, ab und zu ein kaltes Bier, unkomplizierte und
kommunikationsfreudige Läufer, schöne Abschnitte zum Laufen, und und und.
- Eigentlich... Wären da
nicht die Wermuts-Tropfen. Und das waren dann doch sehr, sehr dicke und
sehr viele.
Das gesamte
Prozedere:
Anreise:
Mit dem Pkw. Klingt
sehr einfach, isses auch. Der Tacho am Auto wird nach der Heimreise nach
Nürnberg 1.600 km mehr anzeigen, das Benzin ist in Ungarn so billig (-
20%), dass das Laufen fast keinen Spaß mehr macht, wenn man an einer
Tankstelle vorbeirennt.
Ablauf:
Anreise am Freitag,
Übernachtung, Samstagmittag bis Sonntag laufen, Übernachtung bis Montag
und Heimreise. Mehr ist nicht. Wer spart, hat von Samstag auf Sonntag
kein Zimmer und alles Hab und Gut im Auto. Macht das bloß nicht in
Ungarn!
Der Lauf:
Start ist für die
Staffel und die Frauen um 11:00 Uhr. Die Männer starten um 12:00. Tihany
ist eine Landzunge in den Plattensee, wir laufen Richtung Norden und
dann gegen den Uhrzeigersinn um den See. Es ist brutal heiß. Aufgrund
meiner Erfahrung weiß ich: wer hier zu schnell läuft, der wird bald
langsamer werden, wie ein Autolicht, das man nach Abschalten des Motors
brennen lässt, und das so langsam seine Kraft verliert. Die Energie geht
langsam aus, bis zur Tiefentladung der Batterie. So ist das bei einem
Läufer auch, das weiß ich. Warum laufe ich nur zu schnell? Warum?
Der Asphalt ist heiß
und die Mischung von Bitumen und Steinen im Straßenbelag scheint nicht
optimal zu sein. Ich laufe über die Schuhabdrücke der Läufer vor mir.
Das habe ich noch nicht erlebt, die markanten Profile von Asics und Co
im Straßenbelag. Aber es läuft sich noch gut. Nächste Hitzestufe: Der
Asphalt ist stellenweise so weich, dass man als Läufer nennenswert Kraft
auf wenden muss, um den Schuh wieder vom Asphalt zu lösen.
Nun gut, ich habe schon
über 30 km hinter mich gebracht. Balaton? Nein, den See sehen wir nicht
mehr. Wir laufen auf einer Landstraße, das könnte irgendwo auf der Welt
sein. Irgendwo, wo die Sonne keine Gnade kennt.
Soviel vorweg: Mit
einer Seeumrundung hat der Lauf nichts gemein. Es gibt wenige
Abschnitte, die am See entlang führen und auch nur wenige Abschnitte, an
denen der See sichtbar ist. Also, man läuft eine große Runde und sieht
soviel Wasser, wie wenn man z.B. in Franken um einen Karpfenweiher
läuft. Das habe ich mir so nicht vorgestellt. Aber es läuft weiter.
Gerhard sitzt am
Straßenrand. Fix und alle, mit knallrotem Kopf. Ich gebe ihm Wasser,
Salz- und Mineraltabletten, versuche ihn zum Weiterlaufen zu animieren,
aber das hat keinen Sinn. Ich ziehe ohne ihn weiter.
Nach 50 km merke ich,
dass das nicht mein Lauf werden wird. Die Freude am schnellen Lauf hat
sich verflüchtigt, ich werde wohl in der Nacht nicht an Tempo zulegen
können. Ausgeschlossen. Ich trinke ein kühles Bier – und es tut gut. Ich
unterhalte mich mit dem Besitzer der Pizzeria auf dem Campingplatz: 300
Plätze hat er und zur Hochsaison sind 60 belegt. Ich werde nach dem Lauf
wissen warum.
Ich quäle mich durch
die Nacht. Highlights: an einem Verpflegungsstand hat man bemerkt, dass
ich ziemlich frustriert weitergelaufen bin. Das auf der Liste stehende
Bier gab es fast nirgendwo. Da ist der Standchef in sein Auto
gesprungen, in den nächsten Biergarten gefahren und hat kühle Getränke
gekauft. Und mir gleich eins abgegeben. Eine der wenigen angenehmen,
positiven Ausnahmen.
Ich bin langsam und
müde geworden. Wie ein alter Mann schiebe ich ein Bein nach dem anderen
nach vorne, a bisserl was geht halt dann doch immer. „Powerhatsching“ –
sacht der Frange (= kampfbetontes
hatschen). Mehr ist nicht drin. Dabei hatte ich mich so auf diese
Nacht gefreut. Ich träume von einem warmen Bett, in dem man die Füße
ausstrecken kann. Und laufe auf einem Radweg, direkt neben der Straße.
Das zieht sich eine Ewigkeit. Sobald sich die Augen an die Dunkelheit
gewöhnt haben, kommt ein Auto mit Fernlicht. Das ist Stress. Ich werde
immer müder. Es ist kurz vor Sonnenaufgang. Schlaftrunken torkele ich
vor mich hin. Ein Radbegleiter eines anderen Läufers baut mich wieder
auf. Irgendein kühler Saft, Zitrone und aufmunternde Blicke. So rette
ich mich in den Morgen. Aber ich habe viel Zeit verloren. Es sind
Stunden. Mit einer vorsichtigen Hochrechnung könnte ich um 16:00 Uhr im
Ziel sein. Aber ich weiß, dass es noch eine Hitzeschlacht geben wird.
Doch ich bin schon soweit gelaufen, ich will den See umrunden und kann
mir nicht vorstellen, dass mich etwas davon abhalten könnte.
Und die Hitzeschlacht,
die ist vom Feinsten. Ich weiß nicht, ob ich mich auf die nächste
Verpflegungsstation freuen soll, an der es wieder nur warme Getränke
gibt. Abgelenkt vom Gedanken des Finishens ist meinoberstes Gebot
jetzt, keinen Sonnenstich zu bekommen. Der Kreislauf muss stabil
bleiben, das Lauftempo muss sich den Gegebenheiten unterordnen. Ich
merke nicht, wie das „Kühlwasser“ für den Kopf regelmäßig auch auf meine
Füße läuft. Anfängerfehler – so ein Mist. Das gibt Blasen! Alles, was
ich bezüglich Blasen an den Füssen bisher erlebt habe, wird um
Größenordnungen übertroffen. Meine Schmalfüße erzeugen das Gefühl, was
ich gerne als „virtuell“ bezeichne: Einen riesigen Schmerz, der, im
Kopf registriert, dort ja nicht sein kann und deshalb virtuell, also
nicht real, sondern nur Einbildung sein kann. Dieser interessante
Gedanke kommt von Klaus „Keule“ Neumann. Man kann den Lauf trotz dieser
„virtuellen Schmerzen“ getrost fortsetzen.
Am Rand des Radweges
sitzt Claudia, sichtlich fertig. Ungläubig nimmt sie zur Kenntnis, dass
meine Einladung zu einem Schluck Wasser kein Scherz ist, ich habe
wirklich noch welches. Ich kann sie noch für ein paar wenige Kilometer
motivieren – bei km 194 wird sie den Lauf 18 km vor dem Ziel beenden.
Ja, das immer näher
kommende Ziel scheint für mich unerreichbar. Die Schmerzen meiner Füße
sind so groß, dass ich mich auf jeden Schritt konzentrieren muss. Für
jeden Meter (oder weniger) ein ausdrücklicher Befehl an das Laufwerk,
das wegen diesem Powerhatsching in einem ganz jämmerlichen Zustand ist.
So bleibt Zeit, etwas
zu Rechnen (ja, ich rechne oft beim Laufen), sich Gedanken über den Sinn
des Lebens oder den Unsinn der Extremsportveranstaltungen zu machen –
und das Ende naht.
Wir – ich bin ja nicht
alleine in dieser verrückten Welt – beschließen gemeinsam ins Ziel
einzulaufen. Fünf glückliche Gesichter im Ziel. Schauspieler hätten wir
nicht werden können, die glückselige Ausstrahlung war echt, jeder war
froh, dass es endlich vorbei war.
Dann ein Stück soziales
Umfeld in Ungarn: Das Auto wurde aufgebrochen und im Schnellgang wurden
4 Sporttaschen mit viel Geld, Schlüsseln und Ausweisen gestohlen.
Schmerzlich hat uns der Verlust der wertlosen Utensilien getroffen, an
denen jeder hängt – wie z.B. Finisher Hemden von besonderen
Extremläufen, DUV Kapuzen-Sweatshirts etc.
Mein Tipp, falls jemand
nach Ungarn fährt: Mit 2 Autos fahren und die Sachen in dem Auto
aufbewahren, dass nicht aufgebrochen wird, denn nur jedes zweite wird
aufgebrochen.
Und nun ist die
Bevölkerung dran, der kleine Mann auf der Straße, der eine Steigerung
eines Moosbüffels ist. Da grüßt du vermeintlich nette Menschen in der
lachenden Sonne – und sie schauen demonstrativ weg. Da ist das Bier zwar
billig, aber wenn nach einem deutschen Hefeweizen keines mehr verkauft
werden kann, hat der Wirt entweder keine Lust oder doch sehr falsch
geplant. Und wenn du während des Laufes das Gefühl bekommst, du bist in
einer Gaststätte, in der du nur ein Bier trinken willst, nicht
willkommen, dann – ja ich hätte Lust, einen vollen Reisebus dorthin zu
schicken, damit sich das Mondgesicht von Bedienung richtig ärgert. Auch
in der Pizzeria in Tihany, nach dem Ärger mit dem Autoaufbruch um fünf
Minuten nach 22:00 Uhr. Der Koch machte Feierabend. Die Gaststätte war
voll wegen der Fußball-WM und der Typ hat keinen Bock mehr, 4 Pizzen in
den Ofen zu schieben. EU Grüß Gott! Diese Art von Völkerverständigung
brauche ich in meiner Freizeit nicht.
Und was ich fast
vergessen hätte: die alte Puszta-Legende gibt es nicht mehr, ein Flair
wie in
Piroschka, das ist vorbei. Wenige Ziehbrunnen sind für die Touristen
hergerichtet, vielerorts spürt man die kommunistische Vergangenheit noch
stark, mehr ist da nicht los.
Das Event-Zelt |
Blick von der Eventwiese |
Mückenattacke |
Nacht vor dem Lauf |
Puszta-Flair |
Frauen-Start |
Strategiegespräche |
Asphaltgespräche mit der Kamera |
Jochen und Michael |
Vor dem Männer-Start |
Startaufstellung Männer |
Unterwegs... |
...in Ungarn |
Werner, ein bekanntes Gesicht |
Und weiter... |
Ausnahme: Mal kein Asphalt |
Schatten ist selten |
Kommunikation unterwegs |
Pizzeria am Campingplatz |
Verpflegungsposten irgendwo |
Oh Mann! |
Überlebt! |
Das "Dilpoma" |
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Mein Eindruck:
Diesmal gibt es wenig
Bilder, ich hab mit mir selber sehr zu tun gehabt. Und das Objektiv
meiner wasserdichten Kamera war immer mit Schweiß verschmiert. Mein
Respekt den schnellen Läufern: Lauflegende Janis Kouros gewinnt und auch
Michael ist noch unter 20 Stunden geblieben. Diese Rennflitzer! Hut ab!
Den Veranstaltern ein
dickes Lob: Unter diesen Verhältnissen dort den Lauf zu organisieren
verdient Anerkennung. An diese Adresse deshalb ein großes Dankeschön!
Schöpft Euer Verbesserungspotential aus, und Ihr werdet den
Ultralaufsport weiter voran bringen!
Mein Tipp für den
Lauf:
Den ersten Nachmittag
nur wenig Tempo, Freude am Laufen unterdrücken, in der Nacht viele
Kilometer machen und wer es nicht bis kurz nach Sonnenaufgang geschafft
hat: Gnadenlos durchbeißen. Die Kilometer jenseits der 100 km Marke
macht man eben mit dem Kopf, und da sind die Zähne drinnen, die man
manchmal dazu braucht. So hart kann das Ultraleben auch sein.
Bis demnächst mal
wieder
Euer Olaf
Infos:
www.ultrabalathon.hu
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