Es lief bis dato
alles glatt. Das Training war nicht übermäßig, aber OK. Es gab keine
gesundheitlichen Probleme im Vorfeld, meine beiden Männer und ein
Wohnmobil standen bereit und unser Weg nach Florenz begann.
Trotzdem wuchs meine Angst Stück für Stück! 100 Km? Hast du dir da nicht
doch zu viel zugemutet? In der Hitze! Hinzu kamen jetzt plötzlich sich
anbahnende Fußkrämpfe - so was hatte ich noch nie. „Mama, das sind
Phantomschmerzen!“, scherzte mein Sohn“. Angekommen in Florenz und
eingecheckt im wirklich empfehlenswerten Campingplatz "Michelangelo" mit
grandiosem Blick auf die wunderschöne Stadt am Arno, folgte erst mal ein
minimalistischer Altstadtbummel in brütender Hitze. Startnummernausgabe
sollte a der Piazza Santa Croce sein (am Starttag), der Start selbst an
der Piazza della Signoria. Nix war davon zu sehen am Vortag, so gar nix!
Wir fragten einen freundlichen Polizisten, der wiederum mit Fragezeichen
im Blick in seiner Zentrale nachhorchte und unsere Info dann bestätigte.
Nun gut, wer in 4 Tagen die Beerdigung von Papst Johannes Paul II für
ein Millionenpublikum auf die Beine stellen kann, für den wird unser
kleiner Lauf ein Klacks sein. Gesagt – Getan, typisch Italien eben:
Am Starttag versammelten sich gegen 14 Uhr viele Läufer auf besagtem
Platz mit guter italienischer Stimmung, neben dem üblichen
Pfingst-touristisch geprägten Stadtbild. Wir Läufer waren eher Kulisse
und fügten uns ins Stadtbild ein. „Hilfe, die sehen alle extrem erfahren
aus“, dachte ich. Gruppen verschiedener Laufclubs, jung & alt, teils in
Baumwollhose, teils mit Gürteln bis an die Zähne bewaffnet. Ich fühlte
mich völlig unbedacht ausstaffiert: Kein Hut, keine Kappe, kein Handy
(man weiß ja nie, wo und wie der Lauf endet), keine Reflektoren. Na
toll. Gel, Riegel & Co. habe ich ja mittlerweile komplett aus meiner
Ausstattung gestrichen. Es geht prima (und besser) mit natürlichen
Lebensmitteln, ohne Präparate und Hilfsmittel lange Distanzen zu
bestreiten.
Auf dem Weg zum Start, der nicht direkt auf der Piazza, sondern in einer
Strasse von der Piazza della Signoria abgehend war,
bewegte es einige Starter und auch mich vom tosend-quasselnden Lärm der
Startatmosphäre in eine Kirche direkt nebenan, um noch ein Stoßgebet
nach oben zu schicken: Lieber Gott, lass uns alle heil ankommen!
Ruhig war es hier und der Respekt aller vor dem zu
erwartendem Tag-/Nacht-Lauf war deutlich zu spüren. Die Stimmung am
Start war super, und es schien mir so, als wären fast alle hier schon
mal angetreten: Sehr familiär und freundschaftlich, gelassen und in
Feierstimmung.
Los ging’s: Tschüß Torsten & Lucas! Wir
hoffen uns bei km 25, 50, 68 und im Ziel wieder zu sehen. Es geht durch
die traumhafte Stadt Florenz. Meine Güte ist das schön hier! Aber
auch extrem heiß. Der Weg führt uns nun direkt raus aus der Stadt,
vorbei an herrschaftlichen Villen. Ich komme gut in Tritt, keine
Krämpfe, mein Stoßgebet. Nun beginnt auch schon der Anstieg. Es geht
nach Fiesole und wir schlängeln uns von 65 auf 295 m hoch. Manch
einer geht schon stückweise, wegen der Hitze. Bei mir geht’s gut: Was
weg ist, ist weg!
Die Betreuung ist sehr vorbildlich.
Begleitfahrzeuge der Veranstalter reichen uns zwischendurch noch kleine
Wasserflaschen, obwohl die Versorgungsstellen („Ristoro“) alle 5km super
ausgestattet sind. Es gibt immer neben Äpfeln, Bananen, Wasser, Iso,
Säften später auch noch Kekse, Kuchen, Brote, Zuckerstücke, Salz, Tee,
Kaffee und Wein (!) - wer mag.
Es geht immer weiter bergauf. Der erste Berg
ruft. Puh! Ich treffe auf einen Läufer, der kurz
anhält um Kirschen zu pflücken und wir kommen lachend in Kontakt. Aldo
ist schon zum 9. Mal unterwegs und fest entschlossen mich „Greenhorn“
nach Faenza zu bringen. Es ist wirklich
lustig: Ich spreche null italienisch und Aldo weder Englisch noch
Deutsch. Trotzdem klappt es: Mein Schutzengel auf meinem ersten 100km
Lauf. Es ist kaum zu glauben: Später, beim
Sichten der Fotos und des Mini-Videos vom Start erscheint tatsächlich
Aldo kurz nachdem ich aus der Kirche kam: Wirklich mein Schutzengel.
Es geht durch die wunderschöne Toskana: Ich fühle
mich wohl in dem saftigen Grün, laufe vorbei an kleinen Weilern und
durch Dörfer in Volksfeststimmung, die nur auf uns Läufer gewartet haben
und uns wie wild anfeuern, und genieße die klare Luft. Wie auf Korsika,
meiner Lieblingsinsel . Genauso sieht’s hier aus. Darf man das in
Italien sagen?
Wir überqueren Flüsschen und laufen in Serpentinen den Weg entlang. Ein
genialer Blick! Mein Tempo ist optimal und so erreichen wir die erste
Bergspitze in Vetta le Croci (518m), können dann unsere Beine
wieder auf 195m fallen lassen um dann ab km35 den großen
Tour-de-France-artigen Anstieg zum Colla di Casaglia (918m) zu
bewältigen. Viele Läufer gehen hier. Und auch wir wechseln zwischen
minutenlangem Gehen und Laufen, quasi „Jöggeln“.
Aldo kennt scheinbar das halbe Läuferfeld und wir
sind immer wieder ein nettes Grüppchen, das sich ohne Worte versteht!
Schön! So langsam verschwindet die Hitze und durch die gewonnene Höhe
wird es angenehm kühl. Die Schatten werden länger.
Aldo will mich überreden, „oben“ ein wenig von dem guten
Passatore-Rotwein zu trinken, der in der Tat gereicht wird. OK, ich
probier es. Wirklich lustig: Aldo ist der passende „Schutzengel“
für mich.
Wir erreichen überglücklich den höchsten Punkt
des Laufs (km 48). Aldo schenkt uns Wein ein,
nur einen Minischluck, mehr ist mir zu heikel - schließlich ist erst
Halbzeit. Zuprosten, Schulterklopfen und weiter geht’s. Zum 2.
Mal treffe ich auf meine beiden anderen Schutzengel, die Ihren ganz
eigenen Passatore erleben und bei weitem nicht weniger Aufregendes
erlebt haben.. (Vielleicht folgt noch ein „Laufbegleiter-Bericht“?). Es
ist Nacht. Ich schnappe mir meine Stirnlampe, die hier und heute zum
ersten Mal richtig zum Einsatz kommt. Der Weg geht nun nach dem Gipfel
steil bergab und wir fliegen etwas durch die Nacht (Recht hast du,
Erwin!). Es ist gar nicht so schwierig im Dunkeln zu laufen. Es ist eher
meditativ und ruhig, man ist bei sich, konzentriert sich aufs
Wesentliche.
Trotzdem werden meine Beine langsam müde, der
Magen mag kein Wasser mehr, kein Obst, alles wird anstrengend. Mein
erster 100er. Klar ist das kein Zuckerschlecken. Aldo ist immer noch gut
drauf: „Monika - tutto bene?“ „Tutto bene“
antworte ich, manchmal auch nur “piccolo bene”. Es geht durch die Nacht.
Eigentlich geht es laut Plan jetzt „nur noch bergab“, um bei Hm 35
Faenza zu erreichen. Leider gibt’s immer wieder kleine Anstiege, die
gefühlt wie zusätzliche Berge erscheinen. Wir laufen immer am
Straßenrand links, „Sinistra“, wie mein Schutzengel
immer wieder fordert .Ich hab nämlich die Tendenz immer auf die
Mittellinie zuzusteuern, was gefährlich sein kann. Hier in Italien läuft
und fährt es halt italienisch. Selbst tief in der Nacht rast der
Gegenverkehr an uns vorbei, und zwar eng!
Tipp:
Es macht wirklich Sinn, reflektierende Sachen (Weste o.ä.) mitzunehmen.
Aber das hatte ich leider nicht. Ohne Lampe hätten sie uns bestimmt
umgemäht. Zum 3. Mal treffe ich meine "Famiglia".
Nur kurz, denn Stehenbleiben wird immer unangenehmer: "Alles paletti?" –
„Wir sehen uns im Ziel". „Ziel?“, denke ich,
„noch sooo lange!“
Wir durchqueren wieder beleuchtete Dörfer.
Zeitabnahme, Fotos, Fiesta! Das ganze Dorf scheint wach und bereit, auch
den letzten Läufer feiern zu wollen. Danke Italien, danke Toskana, es
ist sooo schön bei Euch! Kinder spielen Fußball auf einem von Flutlicht
erleuchteten Dorfkickerplatz, eine Familie sitzt bei Lagerfeuer &
Gitarre am großen, gedeckten Tisch bei Vini & Panini. Alles läuft wie im
Film an mir vorbei: Die Beine laufen dem Schutzengel hinterher.
Irgendwann wird es wirklich anstrengend und kein Gedanke wie „Ist ja nur
noch eine Haustrainingsrunde“, oder „Nur noch 10km“ wirkt mehr so
richtig. Auch mein Schutzengel Aldo wirkt KO. Er will mich vorschicken,
wenn es ihm mal nicht so gut geht, nach dem Motto „Lauf ruhig schon
weiter“. Nix da: Zusammen! Jede „Ristoro“-Station wird zur Qual! Was
soll man noch nehmen? Was passt noch rein? Eigentlich nix mehr. Gefühlt
habe ich 2 Apfelbäume, 2 Zitronenbäume, 1 Bananenstaude und 200.000.000
Liter Wasser intus, zusätzlich zum selbst gemixten, vollwertigen
Powerdrink aus Hafer, Obst und Sahne-Wasser. Vielleicht sollte man auch
„Ristoro“ nicht mit Restaurant verwechseln.
Nach 13:15 Std. erreichen wir Faenza. Der
Zieleinlauf führt durch eine traumhafte, märchenhaft erleuchtete stille
Straße und endet im... Paradies!
GESCHAFFT!!!!!!!!!!!!!!!
Torsten & Lucas stehen schon wartend mit Ringen
unter den Augen um 4:15 Uhr morgens und freuen sich mit uns. Freude,
Foto, Medaille, Diploma (Urkunde), alles perfekt organisiert hier! Jeder
Läufer erhält 3 Flaschen Passatore-Wein, was wiederum Torsten freut. Wir
trennen uns herzlich und trotzdem kommt es mir wie im Traum vor: Aldo,
mein Schutzengel, der mich wie eine Lokomotive den Weg von Florenz nach
Faenza geführt hat. Mille, mille grazie!
Fazit:
Jederzeit wieder! 2009 starteten 1.277 Läufer, davon nur 50
Nichtitaliener. Angekommen in Faenza sind 993, also 71 %. Warum starten
hier nur so wenig deutsche Läufer? Es war sooo schön! Es kann doch nicht
sein, dass ich die beste deutsche Frau bin - und natürlich daher auch
die Einzige. Der Lauf ist perfekt organisiert:
Verpflegung, Versorgung unterwegs und im Ziel, mit Unterkunft,
Rücktransport nach Florenz auf Wunsch vorhanden. Medizinische Betreuung
& Massage war an den „Ristoros“ und nach dem Lauf möglich. Selbst in
tiefer Nacht fuhren Begleitfahrzeuge mit betreuendem Blick durchs Feld.
Es war ein ganz besonderes Erlebnis! Freundliche
Menschen - Ein genialer Lauf! Mein ERSTER 100er. Wahnsinn!!!
Mein Passatore mit 3
Schutzengeln…
Liebe
Grüße aus Köln,
Moni
Die Bilder
100km durch die Toskana: Von Florenz (unten) nach Faenza (oben) |
Auf den Spuren des alten "Passatore" (Wein-Wander-Bauer) |
Bis zur Hälfte (km50) zwei Berge! Ab dann ist es Nacht. |
Am Vortag: Konzentriert & nervös: Es ist jetzt
schon extrem heiß. |
Florenz |
Der Weg vom Campingplatz mit Blick auf die
wunderschöne Stadt am Arno |
Ponte Veccio |
"Carboloading" oder Mut antrinken? |
Hier soll morgen der Start sein? ... |
...und hier die Startnummernausgabe? |
Besser mal fragen... |
...die Policia, dein Freund & Helfer |
Hier ist`s gemütlich! Blick von Camping
Michelangelo |
Mit Frischkornbrei ins Ziel! |
Startnummern-Ausgabe in brüllender Hitze. |
Unterschrift auf Italienisch: Hoffentlich nicht
mein Todesurteil? |
Piazza Santa Croce |
100 Km Luft schnuppern.. Hinten Ivan aus
Kroatien von Erwins 2008-Bericht (zum 5.Mal dabei) |
Warten auf den Start: Im Schatten. |
Langsam bewegt sich alles in Richtung
Startgasse. |
Lucas: "Mama, Du schaffst das!" |
Nr. 682 ist zu Scherzen aufgelegt. Er hat's auch
geschafft, mit Kostüm! |
Trubel vor dem Startschuss. |
Der "Passatore" (Figur hinten drauf) fährt
immer vorweg. |
Lucas führt Strichliste. Wie viele Läufer sind
VOR Mama? Na, der hat Ideen... |
...und wartet... |
Viele Begleitfahrzeuge säumen den Weg. |
Wasser, Wechselshirt, Power Drink, Tempos &
Stirnlampe: Für den Fall der Fälle |
Meine "Assistenza" |
Biodoping mit Vollkorn-Brei |
Es geht direkt weiter. |
Langsam wird`s dämmrig. |
Es gibt ab & zu auch Stau bei den
Begleitfahrzeugen. |
Er war
2008
auch schon dabei, läuft für den Frieden & gegen den Welthunger! |
Wahnsinnige Straßenrambos. Nee, es sieht
gefährlicher aus als es war, aber trotzdem. |
Es ist dunkel! Lucas das Glühwürmchen. |
Der Randstreifen führt uns den Weg. |
Aldo & Moni: "Sinistrsta!". Doppelpack mit
Schutzengel. |
Faenza, das erleuchtete Paradies. |
Patty ist auch schon im Ziel. |
Endlich! Nach 13:15 Std. erreichen wir Faenza... |
...und sehr glücklich!!!! |
...Lucas auch. |
Gleich bücken (noch geht`s) für die Chipabgabe |
Aldo organisiert... |
...das "Diploma" |
Föllisch fädisch! |
Nur 1 Blase? Guter Schnitt! |
Rückweg über das schöne Locarno. Wo ist die
nächste Herausforderung?
Nein, ich hab ja gesagt: "Wenn ich das schaffe, spiel ich erstmal
nur noch Minigolf". |
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Sobald alle Bilder da sind wird es noch mehr Bilder geben.
Und vielleicht einen Bericht der Begleiter (auch mal sehr interessant!)
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