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Letzte Änderung: 23.06.2011

Team Bittel Sahara-Marathon 2002 Team Bittel

Mein Bericht vom 
2. Sahara-Marathon in Süd-Algerien am 26.2.2002

in Tindouf-Smara

Ein Bericht von Erwin Bittel

Erwin wurde 2. unter den deutschen Teilnehmern und 8. in der Gesamtwertung und hatte ein tolles Erlebnis

Außerdem vom Team Bittel mit von der Partie:
Hans (Marathon 15. Platz), Berit (Marathon 1. Platz Altersgruppe) und Kerstin (Halbmarathon)..

Erwin beim Sahara-Marathon
Erwin beim 2. Sahara-Marathon

Hier geht´s zur  Bildergalerie vom 
2. Sahara-Marathon

Und eins sag ich Euch, schaut's die Euch bloß an.

Literaturtipps zum Thema Marathon

Marathon-Training

 

2. Sahara-Marathon 26.02.2002 Laufen für einen guten Zweck

Nein, es ist nicht der „Marathon des Sables“ Marokkos. Der „Sahara Marathon“ ist in Algerien und sehr anders: Leben mit den Sahraui für eine Woche, unterbrochen von einem halben Tag Wüsten-Marathon. Und ein partnerorientiertes Hilfsprojekt begleitet das ganze.

Die meisten Teilnehmer sind zum ersten Mal in der Wüste, und freudig aufgeregt. Was erwartet uns? 

Ja wo fange ich an? So viele Eindrücke und Erlebnisse könnte ich Euch schildern. – Zuerst: Es ist die Faszination des so ganz anderen! Nein, alltäglich ist dies wahrlich nicht, es ist etwas Einzigartiges. Dies zeigt sich schon beim 2-stündigen Überfliegen der Sahara: unglaubliche Strukturen dieser weiten Landschaft! Ich schüttele bewundernd und staunend den Kopf beim Blick aus dem Fenster. Und ich behaupte es geht uns allen so. Die intensiven Farbfelder wechseln von tiefrot über sanftgelb, orange zu allen Schattierungen von braun und grau... Wir versuchen es uns gegenseitig zu beschreiben, aber es ist so schwer passende Worte zu finden. Dazwischen schwarze Bergketten oder weiße, Linien und Zeichnungen im Sandkasten der Welt. Ich könnte ewig weiterfliegen und beobachten. Mal sitze ich hier, mal dort und es ist eine zwanglose, freudige und spontan herzliche Stimmung im Flieger, der nur für uns fliegt. Ich lerne viele neue Gesichter kennen und werde neugierig nach Tipps gefragt, da ich ja schon einmal durch Wüstenhitze gelaufen bin. Es ist einfach herrlich dabei zu sein!

Wir überfliegen Tunesien und die riesige Weite Algeriens in dessen Süden und landen in Tindouf, mitten im Nirgendwo. Beim Aussteigen brennt uns schon die Sonne auf den Kopf, wir werfen unsere Winterjacken von uns. Jeder packt an beim Ausladen der vielen Hilfsgüter-Pakete und der Rucksäcke. Es ist ein winziger, verlassen wirkender Flughafen. Als wäre hier schon länger kein Flieger mehr gelandet. Nach aufgeregter Kontrolle und strenger Gepäckdurchsuchung steigen wir in die beiden wartenden Wüsten-Busse. Wir rollen auf Asphaltpisten zwei Stunden in die Weite der Wüste ins Lager Smara. Dort werden wir lautstark und herzlich von vielen Kindern und bunt gekleideten Sahrawi-Müttern empfangen. Wir suchen unser Gepäck und verteilen uns zu je 5 auf die fast 30 nummerierten Zelte. Wir folgen der Mutter und den um uns wuselnden Kindern. 

Ich bin überrascht wie sauber und gepflegt die Zelte und Lehmhütten sind. Es sind feine Menschen hier. Wir lassen die Schuhe im warmen Sand vor dem Zelt, treten ein und setzen uns erst mal auf die farbenfrohen bequemen Matratzen. Zelt Nr. 5. Am Boden bunte Matten, ein kleiner niedriger Tisch und: aha, die erste Tee-Zeremonie! Grüner sehr süßer Tee mit viel Schaum aus der Höhe eingegossen. Es sollten unzählige weitere Tee-Zeremonien folgen, jede in Ruhe. Anfangs ist vorsichtiges Abwarten und Beäugen, aber schon nach 5 min. unterhalten wir uns neugierig und angeregt. Ich bin mit Lutz, Frank und Christian untergebracht, und 5m neben uns steht Zelt Nr. 4 mit Berit, Tabea, Heike, Petra und Nadine. Wir entwickeln mit den Tagen einen regen Verkehr zwischen den Zelten und ab und zu muß ich dolmetschen.

Meine Gastgeber heißen Omar(52) und Embarka(40), die Mädchen Sketo(12), Manata(10) und Fato(9). Omar spricht gut Spanisch, die Kinder sowieso, denn viele sind in den heißen Sommermonaten in Spanien. So lernen wir uns schnell besser kennen. Ohne Spanisch wäre es etwas schwieriger, wir müßten eben warten bis einer der Dolmetscher kommt, der immer fleißig von Zelt zu Zelt geht. Manche ältere Sahraui sprechen Französisch. Die anfängliche Scheu ist schon nach einer Stunde verflogen und die Kinder spielen mit den Sachen die wir ihnen mitgebracht haben. Viel besitzen die Menschen hier nicht, sie sind arm. Embarka lacht und öffnet ihren bunten Schleier, Omar legt sich bequem und wir erzählen von der Reise und unserem Lauf-Vorhaben, was wir zuhause sind und tun. Und wir wollen wissen wie ein Alltag hier aussieht.

So gestalten sich die ersten beiden Tage und nach dem Marathon auch die restlichen: Frühstück mit der Familie im Zelt, Tee, Kaffee, Datteln, Kekse. Mittagessen und Abendessen immer im großen Saal ein paar Minuten zu Fuß von unseren Zelten, wo wir uns mit den anderen treffen. Italiener, Spanier, Portugiesen, Österreicher, Amerikaner... Es gibt erstaunlich viel Auswahl an Essen hier, so weit in der Tiefe der Wüste: Salatplatten, Gemüse, Reis, Pommes, Nudeln, Weißbrotstücke, manchmal Lamm, dazu Datteln, Orangen, Äpfel. Manche Mädels von uns tragen schon am ersten Tag farbenfrohe Wüstengewänder, Geschenke der Familien. Und von Tag zu Tag sehe ich mehr davon, und schwarze Turbane auf den Köpfen unserer Männer. Wir gehen behutsam und respektvoll mit unseren Familien um, und sehr kameradschaftlich untereinander. Die Atmosphäre ist gut und wir sind bestens gelaunt. Jeder hat dem anderen viel Neues zu erzählen, alle spricht sich langsam herum und allmählich finden wir uns gut zurecht in dieser ganz anderen Welt. 

Die Wüste hat ihre eigenen Gesetze. Wasser ist heilig, gegenseitige Hilfe eine Ehre, Hygiene und Schutz vor der Sonne ein Gebot. Ich spüre die Trockenheit und Hitze überall, schwitze viel. Doch es ist mir nicht unangenehm, da der Schweiß sofort verdunstet. Gut, dass es gegen abends kühler wird. Ich achte darauf viel zu trinken. Jeweils abends erhalten wir die Weisungen für den nächsten Tag. Einmal ist abends Musik auf der Bühne mit Trommeln, Band und Sahraui-Sängerinnen. Einmal spricht die Organisationsleitung, einmal die Ministerin für Jugend und Sport, einmal der Präsident, der unseren Besuch zur Chefsache macht. Unsere Wege vom und zum Zelt werden immer von Kindern begleitet. Es ist leicht sich zu verlaufen und das Zelt nicht mehr zu finden, denn Smara ist groß, Tausende von Hütten umfasst das Lager. Und alle sehen gleich aus. 

Wir haben unseren Familien Gastgeschenke mitgebracht: Tee, Süßigkeiten, Spielzeug, Kleidung, Schuhe und Stifte. Die Menschen haben nichts und es ist so schön die strahlenden Gesichter zu sehen wenn sie ehrfürchtig die Dinge begutachten; die wir ihnen schenken. Ich beschließe meine vielen Sachen auf mehrere Familien zu verteilen und laufe durch andere Teile des Lagers. Dort wo keine Läufer untergebracht sind.

Die von mir bald gefundene „zweite Familie“, die ich immer wieder besuche regiert Mama Sechaibo(45), die Mädchen sind Lauicha(12), Agla(14), die Jungs Masaud(18), Bei(20) und Sueilem(22). - Fremde Namen aber vertraute Menschen. Allesamt. Und so offen, nett und herzlich. Ich gehe auch in noch weiteren Familien, manchmal auch mit anderen von uns, und wir erleben packende Szenen, sehen viele Tränen des Glücks und große Kinderaugen, verschämte Hilflosigkeit und finden spontan offene Arme. Ich will eine Krankenstation besuchen und gehe mit einigen von uns auf Krankenbesuch. Wir bringen Luftballons und Bonbons für die Kranken, sicherlich medizinisch nicht wertvoll, aber gut für die Seele. Wir besichtigen die angeschlossene Apotheke, reden mit dem Apotheker über dessen Sorgen (fehlende Schmerzmittel) und mit dem Arzt, der sich fehlende Ersatzteile für seinen Krankenwagen wünscht. Aufgebockt steht der Jeep seit Monaten im Sand.

An einem Nachmittag ist das Kamelrennen, am Nationalfeiertag, und der Staatsbesuch des Algerischen Präsidenten (zum ersten Mal in 27 Jahren!). Eine unvorstellbare Menschenmenge säumt die Wüstenpiste auf der er im Konvoi kommt. Kostbares Wasser wurde dazu in den heißen Sand gegossen, damit es nicht unwürdig staubt. Ein feierliches Spektakel. An einem anderen Nachmittag steht ein Ausflug in eine Schule, ein Museum, oder das Gartenprojekt zur Wahl. Ich bleibe lieber bei den Leuten, laufe durch das Lager, verteile Kleidung oder unterhalte mich einfach mit dem Alten, der heftig hustet, besorge Schmerzmittel gegen die pochenden Zahnschmerzen von Agla, versuche mit der nicht Spanisch sprechenden jungen Mutter ohne Mann mit den beiden Kleinen zu helfen, oder besuche Dih mit seinem Neugeborenen, den er nach mir nennen will ab heute... Ich fasse es kaum!

Dann war da noch der Marathon. – Morgens um sollen wir uns alle am Platz vor der Präsidenten-Villa treffen, dem Haupt-Platz. Wir sollen Sweatshirts oder Jacken anziehen. Wer nicht Marathon läuft wird mit wüstentauglichen Lkws voraus gefahren, die anderen starten hier um 9 Uhr. Ja, es ist kühl, und ich beschließe für mich, in Ruhe erst um 8 Uhr aufzustehen, mich langsam warm zu machen, zu dehnen und laufe dann mit Christian eine Viertelstunde vorher zum Platz. Ein buntes Start-Tor und Hunderte Läufer darum herum, viele Sahrauis in feierlichem Kostüm beobachten uns stirnrunzelnd und applaudieren beim Start. Begeisterung unter uns Läufern. Viele werden von der Euphorie getragen auf den ersten km, leiden dann aber Qualen auf den letzten km. Das ist die Gefahr! Langsam angehen... Noch ist es kühl, geht auch erst ein Stück über Asphalt. Es läuft sich leicht. Doch bald biegen wir ab, das Laufen wird unbequem und es wird warm und heiß: Trinken und Kopf kühlen! Wasser ist rar und mancher würde gerne einen Schluck mehr haben, besonders die, die weiter hinten laufen. Dann steht Holger, der Organisator mit drei Flaschen Wasser im Arm da, weil eine Wasserstation noch nicht aufgebaut ist. Danke, ein Schluck, ahh!

Der Boden ist goldbraun, steinig, fester staubiger Grund. Ab und zu geht es über Hügel und durch Stücke von zähem Sand. Meistens ist es jedoch eben. Mein Kopf leert sich. Ich fühle mich in Einklang mit der Wüste. Ein Gefühl von Freiheit! Manchmal ist mir wie Fliegen. Ich bin bewusst langsam angegangen, langsamer als langsam. Ich passiere einige wankende Läufer, vor allem Sahraui, die zu wenig Erfahrung haben, teils ohne Schuhe laufen, keine Kopfbedeckung haben, zuwenig trinken. Hier sind wir Nicht-Wüstenbewohner besonnener. Ich laufe alleine, meinen Rhythmus. Und ich denke dass jeder nur für sich läuft. 

Anfangs plaudere ich manchmal in der morgendlichen Kühle, doch spätestens ab dem Halbmarathon-Tor nicht mehr. Nur ein paar Worte wenn ich jemanden einhole. Ich bin auch sehr mit meinem Innenleben beschäftigt. Gedanken an Beruf, Heimat, Alltag oder Beziehung. Wie relativ wird doch manches hier! Jedem Sahraui den ich einhole gebe ich die Hand und ermuntere ihn durch ein Klopfen auf die Schultern. Wir laufen jetzt durch ein tobendes Dorf, trillernde Frauen, Kinder schwenken Fähnchen am Rand der Staubpiste oder laufen ein Stück mit mir. Es ist herrlich! Meine Füße sind noch nicht schwer, aber Vorsicht, ich möchte nicht aus dem Rhythmus kommen! Das wäre fatal. So schwebe ich vorsichtig über die Brocken und Steine, schone meine Füße sogut es geht und versuche locker zu bleiben. Es gelingt mir gut und ich hebe ab und an den Blick in die Ferne. 

Das Tor des 10km-Starts, noch 10km. Mein hitzegetrübter Blick starrt auf den immer unebenen Boden vor mir und manchmal in die unendliche flimmernde Weite. Langsam wird es lebenswichtig auf die inneren Signale zu hören. Ich teile meine Reserven ein. Brauche ich Wasser? Vor mir am Horizont läuft ein roter Punkt, ein gelber kleiner Fleck etwas näher. Ich trinke bewusst, bleibe an jeder Wasserstation dazu stehen, kühle meinen Kopf mit einem Schluck Wasser in die Mütze. Dann weiter. An einem Tisch mit Wasserflaschen stehen alle 2km drei oder vier Helfer, reichen Wasser. Sie müssen in der Hitze verglühen. Dcoh immer wieder passieren Jeeps, rufen uns zu. Jetzt wird der Boden schwergängig, der Sand tiefer. 

Ich kann das Ziel, das Lager El Ayun gut sehen, auch wenn es noch weite 5km sind. Ich laufe durch das Tor des 5km-Starts, lächle den Helfern dankend zu. So ziehen km um km an meinen Muskeln. Wozu das Ganze? Es wird zäh zu laufen. Ich lasse mir immer andere Gedanken zur Selbstmotivation einfallen. Ich stelle mir den Zieleinlauf und die Gesichter der Sahraui vor. Meinen persönlichen Sinn, für die Freiheit und Zukunft der Sahraui zu laufen, den vergesse ich keinen Meter, selbst wenn meine Motivation auf den letzten km flackert. Besonders heftig ist es, daß 200m vor dem Ziel noch eine 1km-Schleife zu laufen ist. Ich nicht, aber die beiden Läufer vor mir wollen abkürzen. Ein Jeep holt sie zurück. Mit gerade noch ausreichender Kraft trabe ich durch wehende Fahnenmasten dem Ziel entgegen, nehme noch einen taumelnden Sahraui unter die Arme und geleite ihn auf den letzten Metern ins Ziel. Es ist gigantisch! 

Es gibt Duschen im Ziel, Wasser, gute medizinische Versorgung und viel Essen. Die Sahrauis gratulieren, bewundern uns. Es ist unbeschreiblich schön Und ich habe es geschafft! Immer mehr einzelne Läufer treffen ein, noch Stunden lang. Ich gratuliere vielen und applaudiere, und ich habe Lust und laufe dem einen oder anderen noch entgegen. Aber dann steige ich doch gerne auf den Lkw, um (fast 2 Std.) geschüttelt und gegart im Lager Smara anzukommen. Nach dem Marathon noch diese anstrengende und lange Fahrt? Ich war müde und matt und habe mich erst mal eine ganze Weile auf die Matratze im Zelt abgelegt. Teezeremonie nicht zu vergessen...

Ich habe viele Freunde gewonnen unter den Menschen dieses in die Wüste vertriebenen Volkes. Fast vergessen von der Welt leben sie ohne Wasserstelle seit 27 Jahren im Exil der extrem unwirtlichen Sahara. Der „letzte Kolonialkonflikt Afrikas“ ( www.medico.de ). Wann dürfen sie aus Ihren Lagern wieder in ihre Heimat West-Sahara zurück? 

Ich werde meine Erlebnisse weitererzählen und dem Vergessen entgegenwirken. 

Bis nächstes Jahr! Insha Allah, so Gott will...

Erwin.

P.S.: Insgesamt sind es 420 Teilnehmer aus vielen Ländern. Zur Wahl stehen die Strecken 5km, 10km, Halbmarathon oder Marathon. Die meisten Starter entscheiden sich für den Marathon. Liesel ist mit 79 die Älteste, Tabea mit 16 die Jüngste. Die Organisation ist „perfekt“ und sehr engagiert. Es gibt gutes Essen, Veranstaltungen und Ausflügen. Es gibt 2 farbenfrohe Urkunden und es wird jeder einzeln geehrt. Die schwere bunte Medaille bekommt jeder Finisher und ein wirklich schönes T-Shirt dazu.

Infos unter ( www.saharamarathon.org  ), Ergebnisse unter ( www.teamsoft-sportzeit.de ).

Team-Bittel Laufende waren’s vier: Erwin (Marathon 8. Platz), Hans (Marathon 15. Platz), Berit (Marathon 1. Platz Altersgruppe) und Kerstin (Halbmarathon)... Und es ging uns allen supergut dabei, auch nach dem Ziel!

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2. Sahara-Marathon in Süd-Algerien am 26.2.2002
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