2. Sahara-Marathon 26.02.2002 Laufen für einen guten Zweck
Nein, es ist nicht der Marathon des Sables Marokkos. Der Sahara
Marathon ist in Algerien und sehr anders: Leben mit den Sahraui für eine Woche,
unterbrochen von einem halben Tag Wüsten-Marathon. Und ein partnerorientiertes
Hilfsprojekt begleitet das ganze.
Die meisten Teilnehmer sind zum ersten Mal in der Wüste, und freudig aufgeregt. Was
erwartet uns?
Ja wo fange ich an? So viele Eindrücke und Erlebnisse könnte ich Euch schildern.
Zuerst: Es ist die Faszination des so ganz anderen! Nein, alltäglich ist dies wahrlich
nicht, es ist etwas Einzigartiges. Dies zeigt sich schon beim 2-stündigen Überfliegen
der Sahara: unglaubliche Strukturen dieser weiten Landschaft! Ich schüttele bewundernd
und staunend den Kopf beim Blick aus dem Fenster. Und ich behaupte es geht uns allen so.
Die intensiven Farbfelder wechseln von tiefrot über sanftgelb, orange zu allen
Schattierungen von braun und grau... Wir versuchen es uns gegenseitig zu beschreiben, aber
es ist so schwer passende Worte zu finden. Dazwischen schwarze Bergketten oder weiße,
Linien und Zeichnungen im Sandkasten der Welt. Ich könnte ewig weiterfliegen und
beobachten. Mal sitze ich hier, mal dort und es ist eine zwanglose, freudige und spontan
herzliche Stimmung im Flieger, der nur für uns fliegt. Ich lerne viele neue Gesichter
kennen und werde neugierig nach Tipps gefragt, da ich ja schon einmal durch Wüstenhitze
gelaufen bin. Es ist einfach herrlich dabei zu sein!
Wir überfliegen Tunesien und die riesige Weite Algeriens in dessen Süden und landen in
Tindouf, mitten im Nirgendwo. Beim Aussteigen brennt uns schon die Sonne auf den Kopf, wir
werfen unsere Winterjacken von uns. Jeder packt an beim Ausladen der vielen
Hilfsgüter-Pakete und der Rucksäcke. Es ist ein winziger, verlassen wirkender Flughafen.
Als wäre hier schon länger kein Flieger mehr gelandet. Nach aufgeregter Kontrolle und
strenger Gepäckdurchsuchung steigen wir in die beiden wartenden Wüsten-Busse. Wir rollen
auf Asphaltpisten zwei Stunden in die Weite der Wüste ins Lager Smara. Dort werden wir
lautstark und herzlich von vielen Kindern und bunt gekleideten Sahrawi-Müttern empfangen.
Wir suchen unser Gepäck und verteilen uns zu je 5 auf die fast 30 nummerierten Zelte. Wir
folgen der Mutter und den um uns wuselnden Kindern.
Ich bin überrascht wie sauber und gepflegt die Zelte und Lehmhütten sind. Es sind feine
Menschen hier. Wir lassen die Schuhe im warmen Sand vor dem Zelt, treten ein und setzen
uns erst mal auf die farbenfrohen bequemen Matratzen. Zelt Nr. 5. Am Boden bunte Matten,
ein kleiner niedriger Tisch und: aha, die erste Tee-Zeremonie! Grüner sehr süßer Tee
mit viel Schaum aus der Höhe eingegossen. Es sollten unzählige weitere Tee-Zeremonien
folgen, jede in Ruhe. Anfangs ist vorsichtiges Abwarten und Beäugen, aber schon nach 5
min. unterhalten wir uns neugierig und angeregt. Ich bin mit Lutz, Frank und Christian
untergebracht, und 5m neben uns steht Zelt Nr. 4 mit Berit, Tabea, Heike, Petra und
Nadine. Wir entwickeln mit den Tagen einen regen Verkehr zwischen den Zelten und ab und zu
muß ich dolmetschen.
Meine Gastgeber heißen Omar(52) und Embarka(40), die Mädchen Sketo(12), Manata(10) und
Fato(9). Omar spricht gut Spanisch, die Kinder sowieso, denn viele sind in den heißen
Sommermonaten in Spanien. So lernen wir uns schnell besser kennen. Ohne Spanisch wäre es
etwas schwieriger, wir müßten eben warten bis einer der Dolmetscher kommt, der immer
fleißig von Zelt zu Zelt geht. Manche ältere Sahraui sprechen Französisch. Die
anfängliche Scheu ist schon nach einer Stunde verflogen und die Kinder spielen mit den
Sachen die wir ihnen mitgebracht haben. Viel besitzen die Menschen hier nicht, sie sind
arm. Embarka lacht und öffnet ihren bunten Schleier, Omar legt sich bequem und wir
erzählen von der Reise und unserem Lauf-Vorhaben, was wir zuhause sind und tun. Und wir
wollen wissen wie ein Alltag hier aussieht.
So gestalten sich die ersten beiden Tage und nach dem Marathon auch die restlichen:
Frühstück mit der Familie im Zelt, Tee, Kaffee, Datteln, Kekse. Mittagessen und
Abendessen immer im großen Saal ein paar Minuten zu Fuß von unseren Zelten, wo wir uns
mit den anderen treffen. Italiener, Spanier, Portugiesen, Österreicher, Amerikaner... Es
gibt erstaunlich viel Auswahl an Essen hier, so weit in der Tiefe der Wüste:
Salatplatten, Gemüse, Reis, Pommes, Nudeln, Weißbrotstücke, manchmal Lamm, dazu
Datteln, Orangen, Äpfel. Manche Mädels von uns tragen schon am ersten Tag farbenfrohe
Wüstengewänder, Geschenke der Familien. Und von Tag zu Tag sehe ich mehr davon, und
schwarze Turbane auf den Köpfen unserer Männer. Wir gehen behutsam und respektvoll mit
unseren Familien um, und sehr kameradschaftlich untereinander. Die Atmosphäre ist gut und
wir sind bestens gelaunt. Jeder hat dem anderen viel Neues zu erzählen, alle spricht sich
langsam herum und allmählich finden wir uns gut zurecht in dieser ganz anderen
Welt.
Die Wüste hat ihre eigenen Gesetze. Wasser ist heilig, gegenseitige Hilfe eine Ehre,
Hygiene und Schutz vor der Sonne ein Gebot. Ich spüre die Trockenheit und Hitze überall,
schwitze viel. Doch es ist mir nicht unangenehm, da der Schweiß sofort verdunstet. Gut,
dass es gegen abends kühler wird. Ich achte darauf viel zu trinken. Jeweils abends
erhalten wir die Weisungen für den nächsten Tag. Einmal ist abends Musik auf der Bühne
mit Trommeln, Band und Sahraui-Sängerinnen. Einmal spricht die Organisationsleitung,
einmal die Ministerin für Jugend und Sport, einmal der Präsident, der unseren Besuch zur
Chefsache macht. Unsere Wege vom und zum Zelt werden immer von Kindern begleitet. Es ist
leicht sich zu verlaufen und das Zelt nicht mehr zu finden, denn Smara ist groß, Tausende
von Hütten umfasst das Lager. Und alle sehen gleich aus.
Wir haben unseren Familien Gastgeschenke mitgebracht: Tee, Süßigkeiten, Spielzeug,
Kleidung, Schuhe und Stifte. Die Menschen haben nichts und es ist so schön die
strahlenden Gesichter zu sehen wenn sie ehrfürchtig die Dinge begutachten; die wir ihnen
schenken. Ich beschließe meine vielen Sachen auf mehrere Familien zu verteilen und laufe
durch andere Teile des Lagers. Dort wo keine Läufer untergebracht sind.
Die von mir bald gefundene zweite Familie, die ich immer wieder besuche
regiert Mama Sechaibo(45), die Mädchen sind Lauicha(12), Agla(14), die Jungs Masaud(18),
Bei(20) und Sueilem(22). - Fremde Namen aber vertraute Menschen. Allesamt. Und so offen,
nett und herzlich. Ich gehe auch in noch weiteren Familien, manchmal auch mit anderen von
uns, und wir erleben packende Szenen, sehen viele Tränen des Glücks und große
Kinderaugen, verschämte Hilflosigkeit und finden spontan offene Arme. Ich will eine
Krankenstation besuchen und gehe mit einigen von uns auf Krankenbesuch. Wir bringen
Luftballons und Bonbons für die Kranken, sicherlich medizinisch nicht wertvoll, aber gut
für die Seele. Wir besichtigen die angeschlossene Apotheke, reden mit dem Apotheker über
dessen Sorgen (fehlende Schmerzmittel) und mit dem Arzt, der sich fehlende Ersatzteile
für seinen Krankenwagen wünscht. Aufgebockt steht der Jeep seit Monaten im Sand.
An einem Nachmittag ist das Kamelrennen, am Nationalfeiertag, und der Staatsbesuch des
Algerischen Präsidenten (zum ersten Mal in 27 Jahren!). Eine unvorstellbare Menschenmenge
säumt die Wüstenpiste auf der er im Konvoi kommt. Kostbares Wasser wurde dazu in den
heißen Sand gegossen, damit es nicht unwürdig staubt. Ein feierliches Spektakel. An
einem anderen Nachmittag steht ein Ausflug in eine Schule, ein Museum, oder das
Gartenprojekt zur Wahl. Ich bleibe lieber bei den Leuten, laufe durch das Lager, verteile
Kleidung oder unterhalte mich einfach mit dem Alten, der heftig hustet, besorge
Schmerzmittel gegen die pochenden Zahnschmerzen von Agla, versuche mit der nicht Spanisch
sprechenden jungen Mutter ohne Mann mit den beiden Kleinen zu helfen, oder besuche Dih mit
seinem Neugeborenen, den er nach mir nennen will ab heute... Ich fasse es kaum!
Dann war da noch der Marathon. Morgens um sollen wir uns alle am Platz vor der
Präsidenten-Villa treffen, dem Haupt-Platz. Wir sollen Sweatshirts oder Jacken anziehen.
Wer nicht Marathon läuft wird mit wüstentauglichen Lkws voraus gefahren, die anderen
starten hier um 9 Uhr. Ja, es ist kühl, und ich beschließe für mich, in Ruhe erst um 8
Uhr aufzustehen, mich langsam warm zu machen, zu dehnen und laufe dann mit Christian eine
Viertelstunde vorher zum Platz. Ein buntes Start-Tor und Hunderte Läufer darum herum,
viele Sahrauis in feierlichem Kostüm beobachten uns stirnrunzelnd und applaudieren beim
Start. Begeisterung unter uns Läufern. Viele werden von der Euphorie getragen auf den
ersten km, leiden dann aber Qualen auf den letzten km. Das ist die Gefahr! Langsam
angehen... Noch ist es kühl, geht auch erst ein Stück über Asphalt. Es läuft sich
leicht. Doch bald biegen wir ab, das Laufen wird unbequem und es wird warm und heiß:
Trinken und Kopf kühlen! Wasser ist rar und mancher würde gerne einen Schluck mehr
haben, besonders die, die weiter hinten laufen. Dann steht Holger, der Organisator mit
drei Flaschen Wasser im Arm da, weil eine Wasserstation noch nicht aufgebaut ist. Danke,
ein Schluck, ahh!
Der Boden ist goldbraun, steinig, fester staubiger Grund. Ab und zu geht es über Hügel
und durch Stücke von zähem Sand. Meistens ist es jedoch eben. Mein Kopf leert sich. Ich
fühle mich in Einklang mit der Wüste. Ein Gefühl von Freiheit! Manchmal ist mir wie
Fliegen. Ich bin bewusst langsam angegangen, langsamer als langsam. Ich passiere einige
wankende Läufer, vor allem Sahraui, die zu wenig Erfahrung haben, teils ohne Schuhe
laufen, keine Kopfbedeckung haben, zuwenig trinken. Hier sind wir Nicht-Wüstenbewohner
besonnener. Ich laufe alleine, meinen Rhythmus. Und ich denke dass jeder nur für sich
läuft.
Anfangs plaudere ich manchmal in der morgendlichen Kühle, doch spätestens ab dem
Halbmarathon-Tor nicht mehr. Nur ein paar Worte wenn ich jemanden einhole. Ich bin auch
sehr mit meinem Innenleben beschäftigt. Gedanken an Beruf, Heimat, Alltag oder Beziehung.
Wie relativ wird doch manches hier! Jedem Sahraui den ich einhole gebe ich die Hand und
ermuntere ihn durch ein Klopfen auf die Schultern. Wir laufen jetzt durch ein tobendes
Dorf, trillernde Frauen, Kinder schwenken Fähnchen am Rand der Staubpiste oder laufen ein
Stück mit mir. Es ist herrlich! Meine Füße sind noch nicht schwer, aber Vorsicht, ich
möchte nicht aus dem Rhythmus kommen! Das wäre fatal. So schwebe ich vorsichtig über
die Brocken und Steine, schone meine Füße sogut es geht und versuche locker zu bleiben.
Es gelingt mir gut und ich hebe ab und an den Blick in die Ferne.
Das Tor des 10km-Starts, noch 10km. Mein hitzegetrübter Blick starrt auf den immer
unebenen Boden vor mir und manchmal in die unendliche flimmernde Weite. Langsam wird es
lebenswichtig auf die inneren Signale zu hören. Ich teile meine Reserven ein. Brauche ich
Wasser? Vor mir am Horizont läuft ein roter Punkt, ein gelber kleiner Fleck etwas näher.
Ich trinke bewusst, bleibe an jeder Wasserstation dazu stehen, kühle meinen Kopf mit
einem Schluck Wasser in die Mütze. Dann weiter. An einem Tisch mit Wasserflaschen stehen
alle 2km drei oder vier Helfer, reichen Wasser. Sie müssen in der Hitze verglühen. Dcoh
immer wieder passieren Jeeps, rufen uns zu. Jetzt wird der Boden schwergängig, der Sand
tiefer.
Ich kann das Ziel, das Lager El Ayun gut sehen, auch wenn es noch weite 5km sind. Ich
laufe durch das Tor des 5km-Starts, lächle den Helfern dankend zu. So ziehen km um km an
meinen Muskeln. Wozu das Ganze? Es wird zäh zu laufen. Ich lasse mir immer andere
Gedanken zur Selbstmotivation einfallen. Ich stelle mir den Zieleinlauf und die Gesichter
der Sahraui vor. Meinen persönlichen Sinn, für die Freiheit und Zukunft der Sahraui zu
laufen, den vergesse ich keinen Meter, selbst wenn meine Motivation auf den letzten km
flackert. Besonders heftig ist es, daß 200m vor dem Ziel noch eine 1km-Schleife zu laufen
ist. Ich nicht, aber die beiden Läufer vor mir wollen abkürzen. Ein Jeep holt sie
zurück. Mit gerade noch ausreichender Kraft trabe ich durch wehende Fahnenmasten dem Ziel
entgegen, nehme noch einen taumelnden Sahraui unter die Arme und geleite ihn auf den
letzten Metern ins Ziel. Es ist gigantisch!
Es gibt Duschen im Ziel, Wasser, gute medizinische Versorgung und viel Essen. Die Sahrauis
gratulieren, bewundern uns. Es ist unbeschreiblich schön Und ich habe es geschafft! Immer
mehr einzelne Läufer treffen ein, noch Stunden lang. Ich gratuliere vielen und
applaudiere, und ich habe Lust und laufe dem einen oder anderen noch entgegen. Aber dann
steige ich doch gerne auf den Lkw, um (fast 2 Std.) geschüttelt und gegart im Lager Smara
anzukommen. Nach dem Marathon noch diese anstrengende und lange Fahrt? Ich war müde und
matt und habe mich erst mal eine ganze Weile auf die Matratze im Zelt abgelegt.
Teezeremonie nicht zu vergessen...
Ich habe viele Freunde gewonnen unter den Menschen dieses in die Wüste vertriebenen
Volkes. Fast vergessen von der Welt leben sie ohne Wasserstelle seit 27 Jahren im Exil der
extrem unwirtlichen Sahara. Der letzte Kolonialkonflikt Afrikas ( www.medico.de ). Wann dürfen sie aus
Ihren Lagern wieder in ihre Heimat West-Sahara zurück?
Ich werde meine Erlebnisse weitererzählen und dem Vergessen entgegenwirken.
Bis nächstes Jahr! Insha Allah, so Gott will...
Erwin.
P.S.: Insgesamt sind es 420 Teilnehmer aus vielen Ländern. Zur Wahl stehen die Strecken
5km, 10km, Halbmarathon oder Marathon. Die meisten Starter entscheiden sich für den
Marathon. Liesel ist mit 79 die Älteste, Tabea mit 16 die Jüngste. Die Organisation ist
perfekt und sehr engagiert. Es gibt gutes Essen, Veranstaltungen und
Ausflügen. Es gibt 2 farbenfrohe Urkunden und es wird jeder einzeln geehrt. Die schwere
bunte Medaille bekommt jeder Finisher und ein wirklich schönes T-Shirt dazu.
Infos unter ( www.saharamarathon.org
), Ergebnisse unter ( www.teamsoft-sportzeit.de
).
Team-Bittel Laufende warens vier: Erwin (Marathon 8. Platz), Hans (Marathon 15.
Platz), Berit (Marathon 1. Platz Altersgruppe) und Kerstin (Halbmarathon)... Und es ging
uns allen supergut dabei, auch nach dem Ziel! |