„Du bist ja wohl total bekloppt!“ „Verrückt!!“ „Willst Du Dir das echt
antun?“ „Das könnt ich nicht, nach ner Pause noch einen Marathon
dranhängen!"
Eigentlich waren das im Großen und Ganzen die Reaktionen meiner „Umwelt“
auf mein geplantes Unterfangen, erstmals einen Lauf jenseits der 42km zu
bewältigen. Doch irgendwie hatte ich Lust dazu. Wahrscheinlich lag alles
daran, dass schon 3 Versuche meine Marathonbestzeit unter 4h zu bringen
fehlgeschlagen waren. Ich hasse es halt, mich zu quälen mit
Tempoeinheiten. Lieber laufe ich mit Spaß & Genuss und auch gerne
noch länger!
Nun war es soweit. 12 Wochen diszipliniertes
Training lagen hinter mir und die Aufregung stieg von Woche zu Woche. Ob
ich das wirklich schaffe? Im Zuge des “Ford-Köln-Marathon“ in der
Karnevals-Hochburg am Rhein gibt es seit 2 Jahren die Möglichkeit den
Run63 zu laufen, was im Klartext heißt: „Erst läufst Du den HM und
stellst Dich dann wieder hinten an, um den Marathon dranzuhängen. Je
nach Tempo hast du noch etwas Pause zwischendrin.“ Das ist die
Vorgabe. Das Teilnehmerfeld ist auf ca. 60 begrenzt, davon viele
„Freaks“ und erfahrene „Ultras“.
Am Start des Halbmarathon
Oje, nun stehe ich hier: 7. Oktober 2007, 7:30 Uhr,
ich begebe mich gut hydriert auf die Suche nach dem „Ultrazelt“, in dem
um 8 Uhr eine „Wettkampf-Besprechung“ stattfinden soll. Der Gedanke
macht mich schon fertig: „Wettkampf…“ Es soll doch einfach nur Spaß
machen! Die freundlichen Helfer überall wissen leider auch nicht, wo das
besagte Zelt sein soll und in mir steigt langsam leichte Unruhe hoch.
Irgendwie finde ich das Zelt doch noch. Nun kann ich in Ruhe meinen
Beutel an die mir zugeteilte Stelle platzieren. Allerdings wird das
„Ultrazelt“ total abgeschottet von der restlichen Läuferschar. Nur mit
„Ultra-Startnummer“ dürfen wir passieren. Beeindruckend! Nervös
verbringe ich die Zeit mit mehreren WC-Gängen. Das mit dem „gut hydriert
sein“ erweist sich für mich immer als Problem. Ich betrachte mir die
mitlaufenden „Ultras“: wenig Frauen, viele kampfeslustig hüpfende gut
trainierte Männer, aber auch einfach ganz „normal“ wirkende Läufer, ohne
Geheimmassageöl und Spezial-Laufanzug. Das beruhigt! Nach der
Besprechung, die uns eigentlich nur über den Ablauf informiert (wo wir
ankommen werden und wann unsere Sachen nach dem M-Start weggebracht
werden etc.), können wir uns schon ins Starterfeld einsortieren und zwar
direkt hinter den Topläufern!
Ob dieser Tatsache kam ich heute Morgen beim
Nachrechnen der Zeiten zum Ergebnis, dass ich wahrscheinlich 30 min.
mutterselenallein durch Köln laufen muss, da die nachfolgenden 2:15-,
2:30-, 3:00- und 3:30-h-Läufer mich nach ein paar Minuten einholen
werden und ich dann bis zu dem Zeitpunkt, in dem meine „Tempogruppe“ auf
mich trifft, einsam laufen würde. Das alle anderen Ultrastarter sowieso
schneller als ich wären, davon ging ich aus. Welche Gedanken!
Die Atmosphäre war gigantisch! Das Wetter sonnig
und schön frisch, die Stimmung wie immer in Köln: unvergesslich! Diesmal
hier in Köln besonders „jeck“, da es der 11. Köln-Marathon ist und 11 ja
DIE Karnevalszahl ist (11.11.). Neben HM, M, Inliner-M, Run 63, Run 105
(mit zwischendurch noch Inliner-M) gibt es auch Schulstaffeln und
Karnevalsstaffeln. Diese erfreuen einen immer wieder, während des
Laufens und auch schon vorher.
Der Startschuss fällt und nach einem „Stoßgebet“
trabe ich langsam los. Ich kenn das ja schon hier in Köln, am Anfang ist
es erstmal drängelig, nicht aber heute, da ich ja so weit vorne starte.
Ich habe mir gar kein Tempo vorgenommen. Vielleicht so 6 min/km, besser
nicht schneller, aber das ist halt so mein „Schlapptempo“. Super, es
geht richtig gut los. Plötzlich bemerke ich einen „Schatten“ hinter mir.
Eine Mitläuferin hält genau mein Tempo und läuft recht eng bei mir. Erst
etwas irritiert nehme ich sie wahr und laufe weiter. Wir reden nicht,
ich glaube, dafür sind wir zu nervös, laufen aber wie siamesische
Zwillinge die ganze Zeit nebeneinander her. Ein schönes Gefühl! Köln,
meine Stadt! Wir werden an allen Ecken und Enden angefeuert, hören
ständig aufbauende Worte und Lobhudeleien. Sambabands immer da wo man
sie braucht. Und soo viele Menschen, dass mir beim Versuch bekannte
Gesichter im Zuschauerfeld zu entdecken beim „Scannen“ derselben fast
schwindelig wird. Ich bin ja eine „Gel-Läuferin“ – bin beim Fremdessen &
-trinken schon mal in Rom böse auf die Nase gefallen (bzw. auf den
„Hintern“) und nehme schon fast autistisch an jedem Verpflegungsstand ab
km15 ein Squeezy und 2 Wasser. Da ich ja von Beginn an gut hydriert war
(zu gut) meldet sich mal wieder meine Blase und ich muss meine
Zwillingsfrau weiterziehen lassen. Mist! Hoffentlich hol ich sie wieder
ein. Nach der Zwangspause spurte ich ordentlich los, in der Hoffnung sie
wieder einzuholen. Ich hoffe, das rächt sich nicht später. Bekloppt
„fremden“ Läufern hinterher zu rennen und zu riskieren später
einzubrechen! Aber ich hab’s geschafft und wir setzen nach einem kurzen
aber herzlichen „ Hallo!“ unseren Zwillingslauf wieder fort. Kräftemäßig
ist der HM wirklich ganz locker und es ist schön im Vorfeld zu laufen.
Man soll sich ja vor einem Marathon gut warm machen, oder?
Kurz vor dem Zieleinlauf in Höhe des Neumarktes
kommen wir doch ins Gespräch und Sabine – so heißt sie - bekundet, dass
wir ja absolut perfekt zusammen gelaufen sind. Ihr Freund hatte ihr
geraten, sie solle sich einen Läufer/in suchen die ein passendes Tempo
hat. Ach deshalb! Und dann stellen wir fest, dass wir BEIDE heute das
Erste mal den Doppellauf RUN 63 bewältigen wollen. Gibt’s das? Sofort
beschließen wir, total happy, den Marathon auch zusammen zu laufen.
Die Pause zwischen HM und M gestaltet sich recht
unspektakulär: Trinken, Riegel, WC und dann noch etwas Wartezeit bis zum
Start. Plötzlich erscheinen mir die ganzen „Ultra-Freaks“ total
entspannt und gleichzeitig euphorisch. Es herrscht eine echt nette
Stimmung und wir unterhalten uns alle querbeet.
Der Marathon
Jetzt geht’s zur 2. Runde: wieder dürfen wir hinter
den Topathleten starten ;-) Der Oberbürgermeister samt diverser
Karnevalisten und Sprecher der Veranstaltung zählt mit der Menge den
Countdown und dann geht es los. Zum zweiten Mal über die Deutzer Brücke
rüber in das Marathonland! Plötzlich können wir unsere
Doppelstarter-Kollegen auch besser identifizieren und freuen uns immer,
einen aus der „Familie“ zu treffen. Ja, es ist wirklich das Gefühl einer
kleinen Familie. Sabine und ich erzählen uns auf dem Weg fast unser
ganzes Leben. Wir sind beide im Laufalltag ansonsten immer alleine
unterwegs - aus Überzeugung - und sind nun total happy, dass wir so
perfekt harmonieren! Meine Blase meldet sich wieder! Ich werd
wahnsinnig! Jedes mal dasselbe. Hydrieren hin oder her. Ich mach
eindeutig was falsch. Innerlich fluchend stürme ich in ein Eiscafe,
dessen Besitzer mir irritiert die Nutzung seiner Toilette erlaubt. Na
super, jetzt wieder in der Meute Sabine zu finden ist ein Ding der
Unmöglichkeit. Ich gebe Gas und 800m später sehe ich sie wieder! „Hallo,
schon wieder!“ Mal vor mal hinter uns laufen Andreas aus Bochum und
Michael aus Berlin, der schon Ultra erfahren ist und auch schon Biel
hinter sich hat. Wahnsinn! Es macht uns allen so viel Spaß, obwohl wir
alle irgendwie ordentlich Respekt vor der geplanten Distanz haben. Bei
KM 15 fragen wir uns gegenseitig nach unserem Befinden und stimmen alle
überein, dass sich 15 KM sich „sonst immer“ anders anfühlen. Wir haben
ja auch schon was in den Beinen…
Bei der übernächsten Verpflegungsstation, Sabine
und ich sind schon gut aufeinander abgestimmt, fällt uns auf, dass
Michael plötzlich nicht mehr da ist. Irgendwann finden wir Andreas, der
uns erzählt, dass es Michael nicht so gut gegangen ist, dass er am
Anfang zu schnell unterwegs war und nun besser langsamer und allein
laufen wollte. Oje, plötzlich wird uns bewusst, was so alles noch mit
uns passieren könnte und wir sind so dankbar, dass es für uns noch so
gut läuft. Jetzt sind wir zu dritt in unserem „Rudel“. Sabine, Andreas
und ich. Und auch das läuft ganz klasse. Immer wieder erkundigen wir uns
kurz gegenseitig nach dem Befinden, erzählen, genießen die Stimmung, das
Wetter und unseren Lauf. Besonders an den Engstellen, den „Ringen“ mit
Rudolfplatz, Friesenplatz und Chlodwigplatz wird man von den Rufen und
Pfiffen der Zuschauer quasi „durchgesogen“ und muss echt aufpassen,
nicht zu stürzen. Unglaublich! Hier war unser Marathonpunkt. Und es geht
uns prima. Immer wieder treffen wir auch auf meine Familie: Mein Mann,
mein Sohn und meine Eltern betreuen uns physisch und psychisch vom Rad
aus. Sie durchqueren Köln heute auf diesem Wege um mich zu begleiten,
bei meinem großen Lauf. Danke dafür! Bald sind wir an unseren KM 50. Die
Muskeln werden müder, aber wir puschen uns immer wieder mit unserer für
uns unglaublichen Leistung und müssen uns selbst bestaunen: „Wir sind 50
km gelaufen!!!!“
Es geht immer weiter und irgendwann meldet sich ein
fieses Ziehen in meiner rechten Wade.. Ihh! Was ist das denn? Ich kühle
bei jeder Möglichkeit, dehne etwas und kann so mein Bein arbeitstauglich
halten. Zum ersten Mal aber bekomme ich das Gefühl, dass es ja auch
nicht so gut weitergehen könnte. Bis jetzt war ich, was Verletzungen
betrifft ein „unbelecktes Blatt“. Noch 12 km. Ich fange an mit meiner
Wade zu handeln und ihr zu versprechen, ab dem nächsten Training immer
und regelmäßig zu Dehnen. Versprochen! Es scheint geholfen zu haben.
Meine Wade ist gnädig und der fiese Schmerz ist irgendwann weg. Wir sind
wieder am Rudolfplatz. Jetzt ist es echt nicht mehr weit. Sabine wird
wortkarger. „Alles klar? Was ist los?“ Der Hammermann hat doch noch
jemanden von uns erwischt. Sabine ist übel und bittet uns eindringlich
weiterzulaufen und sie alleine weitermachen zu lassen. Oh nein!
Schweren Herzens lassen wir sie hinter uns, aber
nur, weil sie uns fast böse angesehen hat als wir warten wollten. Da
waren’s nur noch 2. Andreas und ich laufen irgendwie weiter. Wir laufen
nur noch automatisch. Severinsstrasse, der Dom mit Wahnsinns Stimmung
und tausend Menschen. Plötzlich keimen kleine neue Endorphine auf und
ich werde schneller. „Kannst du noch? Wollen wir Gas geben?“ Andreas
gibt grünes Licht, aber nach 500m geht’s doch nicht mehr. Akku leer.
Andreas Knie meldet sich schmerzlich, er bangt etwas, aber wir schaffen
es überglücklich die Deutzer Brücke zu überqueren, die direkt im Ziel
enden wird. Kurz vor Brückenende bekommen wir noch Kraft von meiner
Familie und Freunden, die uns fast ins Ziel klatschen und pfeifen! Wir
haben es geschafft! Irre! 63km!
Aber was ist mit Sabine? Wir warten noch , lassen
uns durch die Verpflegungsmeile schieben, tauschen E-Mailadressen aus
und hoffen im Kontakt zu bleiben! Sabine & Andreas, das war ein ganz
toller Lauf mit Euch! Wir waren ein super Team!
Unser Dreier-Rudel |
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Schön, dass mich mein Sohn im Ziel erwartet... |
er freut sich so wie ich. |
Nächstes Jahr wieder- Treffpunkt „Ultrazelt“ !
Liebe Grüße aus Köln,
Moni
P.S. Sabine ist gut ins Ziel gekommen, nur etwas
langsamer, wegen ihres Magens. Michael aus Berlin muss uns übrigens kurz
vorm Ziel noch überholt haben! Gruß an ihn!
Offizielle Webseite:
www.koeln-marathon.de
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