Vor dem Start – "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen"
Das sagt Karl Valentin. Ein Nachtlauf ist lang. Die Gedanken kreisen.
Ich denke mir, wie hätte Karl Valentin diesen Lauf kommentiert. So setze
ich jedem Kapitel ein Zitat des Münchner Unikats voran. Manfred,
Brigitte und ich reisen am Freitagnachmittag an. Es herrscht schon reger
Betrieb. Wir holen die Startunterlagen ab und bereiten uns vor.
Anschließend legen wir uns noch 1 Std. aufs Ohr. Dann macht sich Manfred
auf den Weg, denn die Radbegleiter starten eine halbe Stunde vorher.
0 km – "Ich kenne keine Furcht, es sei denn, ich
bekäme Angst"
Nervosität….. ein bisschen mulmig ist mir schon…..
Lampenfieber….. Motivation von Brigitte….. ich gehe zum Start….. hier
ist Halli-Galli….. Countdown….. Kanonenböller….. es geht los!
10 km – "Jedes Ding hat 3 Seiten, eine positive,
eine negative und eine komische"
Raus aus Biel….. die Nacht umgibt uns…..
Sternenhimmel….. der Mond kommt und spitzt hinter einer Wolke hervor…..
eine lange Schlange von Läufern schlängelt sich durch die Nacht.
20 km – "Ich freue mich heute noch, dass es mir
gelungen ist, den heutigen Tag zu erleben"
Freitag, der 13. ist Geschichte….. Geisterstunde…..
Burkhard aus Allendorf begegnet mir….. wir kennen uns vom
Rennsteig…..eine Zeit lang laufen wir zusammen….. dann trennen sich
unsere Wege
Burkhard und Jochen - Begegnung unterwegs |
30 km – "Ein so kleines Zelt und trotzdem wird
man nicht nass, wenn es nicht regnet"
Verpflegungsstelle Scheunenberg….. ich greife
erstmals zur Bouillon….. hoffentlich verträgt mein Magen diesen Mix aus
Riegeln, Wasser, Tee, Cola und Bouillon?..... weiter….. weg vom Licht…..
hinaus in die Nacht….. schwarz….. Dunkelheit….. nur viele rote
Lichtpunkte….. die Rücklichter der Fahrradbegleiter.
Radbegleiter durch die lange Nacht: Manfred |
40 km – "Was ist ein Optimist? Ein Mensch, der
Dinge nicht so tragisch nimmt, wie sie sind"
Schmerzen….. die Füße….. jetzt schon?.....
warum?..... falsche Schuhe?..... wie lange kann das gut gehen?.....
werde ich es heute schaffen?
50 km – "Mögen hätt´ ich schon wollen, aber
dürfen habe ich mich nicht getraut"
Gedanken ans Aufgeben schwirren mir seit einiger
Zeit durch den Kopf….. NEIN!
60 km – "Fremd ist der Fremde nur in der Fremde"
Tiefschwarze Nacht….. Dunkelheit..... ein schmaler
Pfad….. Wurzeln…. Steine….. allein….. nur der Lichtkegel meiner
Stirnlampe begleitet mich. Das ist der 10 km lange Emmendamm-Abschnitt
auch "Ho-Chi-Minh-Pfad" genannt.
70 km – "Hoffentlich wird es nicht so schlimm,
wie es schon ist"
Wieder Schmerzen in den Füßen….. seit kurzem sind
wir wieder auf Asphalt….. wie tausend Nadelstiche….. ich denke wieder
ans Aufgeben.
80 km – "Ich möchte nicht, dass mich Bekannte
erkennen"
Es geht mir schlecht!..... Schuhwechsel?.....
vielleicht bringt das Linderung?..... gesagt, getan….. wunderbar!.....
wie neugeboren….. es läuft wieder….. die Schmerzen sind wie weggeblasen.
90 km – "Die Zukunft war früher auch besser"
Ab jetzt wird runter gezählt….. die Schmerzen in
den Füßen sind wieder da….. 2 Minuten Gehen….. 2 km Laufen
99 km – "Mein Magen tut mir weh, die Füß tun mir
weh, der Kopf tut mir weh, mein Hals ist entzunden – und ich selbst fühl
mich auch net wohl"
Es tut zwar alles weh, aber nur noch läppische
1.000 m trennen mich von meinem großen Ziel.
100 km – "Heute ist die gute alte Zeit von
morgen"
Immer mehr Zuschauer sammeln sich am Streckenrand.
Jubel!..... Applaus!..... Hopp-Hopp-Hopp-Rufe..... ein einziges
Fahnenmeer….. es kribbelt….. ich bin überwältigt….. ich bin da….. ICH
BIN AM ZIEL!
Am Ziel ! |
Nach dem Lauf – "Wer am Ende ist, kann von vorn
anfangen, denn das Ende ist der Anfang von der anderen Seite"
Looking out at the road rushing
under my feet
Looking back at the miles gone by like some power bar I eat
At 65 it was happiness and I called the road
my own
I don´t know where I´m running now, I´m just running on...
Running on – running on empty
Running on – running blind
Running on – running into the sun
But I´m running behind
(Frei nach Jackson Browne)
Ob ich noch mal an
diesem Lauf teilnehme?
Das kann ich noch nicht sagen. Es gibt so
viele andere Herausforderungen. Davon wird natürlich wieder knallhart
berichtet. Ihr könnt Euch wieder über meine Erfolge und
Misserfolge freuen. Alles in Technicolor mit Dolby Surround und in THX!
Übrigens, am Tag danach ging es mir blendend.
Meine Beine und Muskeln waren frisch. Muskelkater hat sich im normalen
Rahmen eingestellt. Ich habe 100 KM am Stück zu Fuß zurückgelegt und es
gibt Momente, in denen ich das noch gar nicht so richtig glauben kann.
Mein besonderer Dank geht an alle die mich
unterstützt haben! Den
allergrößten Dank bekommen meine Frau Gudrun und mein Sohn Jonas, die es
mir mit Ihrer Rücksichtnahme und Fürsorge ermöglichten an diesem Lauf
teilzunehmen. Meinem Trainer, Laufmentor und Freund Manfred danke ich
für seine Trainingstipps und Unterstützung. Viele gemeinsame
Trainingsstunden, das
Trainingslager in Kärnten bis zur Radbegleitung in Biel. 10
Stunden als Begleiter im Fahrradsattel sind nicht leicht. Ebenso
Brigitte, die mich hier in Biel unterstützt hat. Und da wären noch alle
Freunde vom Langstreckenteam und vom Team-Bittel, v.a. Erwin Bittel und
Thomas Schmidtkonz, sowie alle, die mir zahllose Mails geschrieben
haben. So eine Nacht ist lang und auch diese Unterstützung gibt mentale
Kraft.
Run happy and smile!
Euer Jochen
Infos: Bieler Lauftage
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