Am Mittwoch 02.09.2009 reise ich zur
Kleinen
Scheidegg Bahnhof an. Da übernachte ich auch. Ich genieße die
Stille hier oben auf 2.061m, als die letzte Bahn nach unten gefahren
ist. Von meinem Fenster aus habe ich den Blick zum Zieleinlauf in 3
Tagen. Einfach gigantisch: Das
Panorama mit
Eiger, Mönch und Jungfrau im Hintergrund und davor grüne Wiesen
in denen die Kühe sich wohl fühlen. Wieder schlägt mein Herz höher. Bin
ich dieses Mal stark genug? Langsam anlaufen, das weiß ich. Dieser
Fehler wird mir bei diesem Lauf nicht mehr passieren. Habe ich zu viele
Bergtouren davor gemacht, zu wenig erholt? 1.000 Fragen gehen mir wieder
durch den Kopf.
Am Nachmittag vor dem Lauf bereite ich mich mental vor und gehe den Weg
hoch zur Moräne. Einige Läufer tun mir es gleich. Danach ist im Zelt bei
Gisela (Bahnhofstation Kleine Scheidegg) eine ausgelassene Stimmung mit
den „Gipfelstürmern“. Eine Gruppe von 6 Paaren die super gut drauf sind.
Für einen Moment vergesse ich mein Vorhaben und die Anspannung lässt
nach.
22:30 Uhr ich liege im Lager. Es stürmt und durch das offene Fenster
schneit es auf mein Gesicht. Das sind ja Aussichten für morgen! Ich
schlafe dadurch sehr schlecht und stehe um 06:20 Uhr auf. Der Blick aus
dem Fenster zeigt eine leichte Schneedecke. Das wird heute interessant.
Ich ziehe mich an, frühstücke. Ja nichts vergessen, denn ich muss zum
Start nach Interlaken runter fahren! Gisela versorgt die Kühe auf der
Alm, ist sehr hilfsbereit und fährt mich bis nach Wengen. Von dort kann
ich den Zug nehmen. Die Fahrt nach Wengen ist abenteuerlich und allein
schon eine Reise wert.
Pünktlich 5 Minuten vor 9 Uhr reihe ich mich in meinen Startblock ein.
Strahlender Sonnenschein, aber kalt. Ich bin bereit, es kann los gehen.
Ja und dann laufe ich. Und laufe wie immer: Gedankenverloren bekomme ich
die Zuschauer mit, die herrlichen Trachten und das Glockengeläute am
Straßenrand. Es ist einfach wieder bezaubernd hier laufen zu dürfen.
Die ersten 20 km sind flach. Die Landschaft ist traumhaft, man läuft
durch romantische kleine Orte und über Wiesen und Wälder. Die Stimmung
ist nicht zu übertreffen. Überall stehen die Zuschauer in den Orten und
Versorgungsstationen und feuern mich mit Namen an. Das motiviert
unglaublich. Ich liege sehr gut mit meiner Zeit, bis ich merke, dass es
mir leicht schwindelig wird.
Oh nein, das hatte ich schon einmal! Bitte nicht. Aber da war es schon
zu spät. Nicht richtig aufgepasst, zu viele gedrängte Läufer am Waldweg
und ich stolpere über einen Stein. Sturz, aua! 1.000 Gedanken
gleichzeitig durch den Kopf. Die Läufer um mich herum sind alle sehr
hilfsbereit. Rapple mich wieder auf. Oh je, meine linke Seite schmerzt
sehr. Die Hand und der Ellenbogen bluten und sind auf gescheuert. Bin
gerade mal bei km 18. War es das nun für heute? Kurz vor Lauterbrunnen.
Das kann nicht sein. Meine Stimmung auf Null und die
Endorphinausschüttung hat sich eingestellt.
Ich setze mich an den Rand für 5 Minuten und gehe dann bis
Lauterbrunnen. Versorge mich mit Boullion und Wasser. Blicke in Richtung
Jungfrau und denke: Blauer Himmel, super Stimmung, weiße Berge, das kann
nicht das AUS sein. Ich setze mich wieder in Bewegung und verfalle in
einen langsamen Trancelauf. Die km fliegen an mir vorbei. Der Anstieg
nach Wengen geht mühelos. Zwar gehe ich, aber zügig und bin nur am
überholen. Die Kräfte kommen zurück. Ich lächle wieder, es geht weiter.
Der Blick, die Landschaft, so wunderschön und traumhaft, da kann man
nicht aufhören zu laufen. Ich unterhalte mich immer wieder mit anderen
Läufern, die das gleiche wie ich empfinden. Man muss eben kurz
innehalten und diese Schönheit mit den gigantischen Bergriesen und der
Märchenlandschaft bewusst wahrnehmen.
Bis zur Moräne geht es im Wechsel: Gehen, Laufen. Die meisten Läufer
gehen nur noch. Die Luft wird auch dünner. Ich spüre es deutlich. Stau
die ganze Moräne entlang. Am Beginn der Moräne stehen Alphornbläser. Die
Tränen rollen mir übers Gesicht. Soviel Schönheit und dann dieser Klang
in den Bergen dazu. Ich kann es nicht beschreiben.
Die Zeit spielt keine Rolle mehr. Ich genieße es,
schöpfe wieder Kraft und trotte den Anderen hinterher. Gehen, stehen.
Die Stimmung unter den Läufern ist hier sehr unterschiedlich. Manche
sind bereits so erschöpft, dass sie Pause machen müssen. Einige werden
ärztlich versorgt und andere sind nur glücklich und genießen. Es ist
alles dabei. Und dann, endlich höre ich Ihn! Den Dudelsackspieler! Seit
17 Jahren steht er Jahr für Jahr auf der Moräne am höchsten Punkt für
die Läufer. Wer Ihn hört, weiß: Nun habe ich es geschafft. Noch ein
kurzes Stück bergab und dann läuft man durchs Ziel. Tränen laufen mir
wieder übers Gesicht vor Glück.
Ich laufe kurz nach 5 Std. ins Ziel ein. Es ist wieder ein
unbeschreibliches Gefühl. Ich danke und habe Ehrfurcht! Jeder Lauf ist
anders, und immer wieder mit Respekt anzugehen. Schnell dusche ich im
Lager und genieße anschließend die anderen Läufer, die noch einlaufen.
Danach spaziere ich zum Bauer Sami und seinen fleißigen Helfern, die mir
am Morgen so sehr behilflich waren. Gemeinsam mit Fritz
(Jungfraumarathonhelfer aus Wengen) wandern wir noch zu Trüdi und
genießen leckeren selbst gemachten Almkäse. Es ist von unglaublichen
Vorteil, dass ich am Ziel wohne und nun alles noch miterleben kann. Ich
werde auf der Kleinen Scheidegg im Hotel sehr herzlich empfangen und
jeder fragt, wie es war. Ich bin glücklich und stolz auf meine Leistung.
Es ist wunderbar am Bahnhof zu übernachten. Ich kann nur jedem Läufer
empfehlen, es so zu machen. Genießt den Lauf, die Leute und die
Landschaft drum herum. Der Jungfraumarathon ist nicht nur landschaftlich
der schönste Lauf. Das ganze Drumherum ist es, was diesen fantastischen
Lauf ausmacht.
Der Renntiger Heike sagt danke, und bis zum
nächsten Mal
Infos: www.jungfrau-marathon.ch
Teilnehmer Marathon: über 4.000
Heike mit Sohn Philip im Zimmer auf der Kleinen Scheidegg... |
...mit Blick aufs Ziel |
Die Jungfrau |
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Blick von unten nach oben... |
...unten ist oben (Philip) |
Kalt vor der Abfahrt ins Tal |
Am Start |
Warmer Empfang |
Weiter gehts. |
Wieder ein herzlicher Empfang in einem Dorf... |
...mit Bläsergruppe. |
Jetzt geht es bald bergauf... |
...steil, oh weh! |
Immer weiter... |
...nach oben in der grünen NAtur der Berge. |
Die Bahn fährt vorbei an der Verpflegungsstelle |
Heike, mit einem weinenden + einem lachenden Auge |
Kletterpartie... |
...bis zum Dudelsackspieler, der den langen Zieleinlauf einläutet |
Ziel auf 2.000m |
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Unsere Hütte, wo wir danach... |
...herzlich begrüßt werden... |
...und freudig ausgefragt werden, wie es war. |
Blick auf die Bergriesen mit Kühen |
Aha, so geht das mit dem Melken... |
...und die Milch in Kannen. |
Weitere Berichte Jungfrau-Lauf 2009:
Dieter im Berglauf-Mekka, und... |
...Daniel der Jongleur |
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