@Susanne: Es ist Freitag Nachmittag, bald habe
ich Feierabend und dann fahren wir los. Anne und Erwin haben schnell
noch Proviant eingekauft und holen mich ab. Um 16 Uhr fahren wir auf die
Autobahn in Richtung Kassel nach Eisenach. Das Wetter ist durchwachsen,
mal Nieseln, mal Sonne. Wie es wohl morgen wird? Da ist alles drin. Wir
fahren zu dritt zum legendären Rennsteiglauf. Wie oft habe ich schon
davon gehört und nun ist es soweit: ich bin dabei! Es ist Erwins fünftes
und Annes zweites Mal. Für mich „Greenhorn“ ist es die Premiere. Immer
wieder erzählt man mir vom Rennsteig-„Schleim“, wie lecker und wohltuend
der ist an den Verpflegungsstellen. Darauf bin ich besonders gespannt.
Da ich noch nie einen Marathon gelaufen bin laufe ich respektvoll hier
den Halbmarathon mit. Anne und Erwin haben sich für den Super-Marathon
entschieden. Ich komme mir wie ein „kleines Licht“ vor. Die beiden sind
voll motiviert, haben sich gut vorbereitet, regelmäßig lange Läufe
gemacht und vergessen die wichtige Gymnastik vor und nach dem Laufen
nie. Wir schnattern und lachen im Auto, haben Spaß und Anne und ich sind
richtig aufgeregt. Ich habe schon so viel vom Rennsteig gehört, dass ich
so neugierig bin auf die Stimmung und all die interessanten Leute. Wir
werden bestimmt wieder Bekannte treffen wenn wir erst einmal da sind.
Wir machen eine kleine Futterpause irgendwo an einer Ausfahrt, wo uns
eine Herde brauner Thyringerkyhe bestaunt. Wegen Regen und heftigem Wind
bleiben wir lieber im Auto und teilen uns unser Picknick, Brötchen mit
Avocado und Tomaten.
@Erwin: Anne ist sehr aufgeregt, sagt es auch. Es
ist ihr wie auch Susanne flau im Magen, beide versuchen es zu verbergen.
Das ist normal und okay. So ähnlich geht es vielen Läufern. Respekt eilt
dem Rennsteig voraus. Und ich? Ich stelle mir gerade vor, welche Fotos
ich ernten werde? Ich würde gerne für mich laufen, alleine, so vor mich
hin trabend.
@Susanne:
Nach 320 km haben wir es geschafft. Eisenach, die kleine Stadt am Fuße
der Wartburg, die wir schon von der Autobahn aus sehen können. Wir
parken direkt vor dem Organisationsbüro am Marktplatz, wo die kleine
Ausgabe der Startunterlagen für die Ultra-Läufer eingerichtet ist. Fast
familiär geht es hier zu, so viele kommen wieder und wieder hierher. Ein
kleines Mekka, scheint es. Es ist gerade nicht viel los hier, aber wir
treffen gleich die ersten Bekannten. Michael und Moni aus Nürnberg sind
hier. Dann laufen uns Brigitte und Helge mit den beiden Mädchen über den
Weg. Wir unterhalten uns eine Weile und besprechen die gemeinsame Fahrt
nach Oberhof, denn die Mädchen werden die 16km-Wanderung mitmachen und
mit mir morgen früh dorthin fahren. Hier und da und dort klingt immer
wieder ein „Hallo“ herüber. Bei der Ausgabe der Startunterlagen wird
auch gleich der Champion-Chip gescannt und jeder bekommt einen Gutschein
für die Knödelparty.
@Erwin: Ich kenne mich aus, wo ist die Anmeldung, wo die Übernachtung,
wie funktioniert der Transport, wann ist Start hier und wann dort, wo
gibt es die Knödelparty? Immer gut, wenn einer sich auskennt, das
beruhigt alle. Ich grüße den und die vom Orgateam, organisiere selbst
ein wenig mit und schaue mir an wie es ist, nämlich wie immer. Servus
Rennsteig!
@Susanne:
Uiii, Knödel gute Idee. Wir hören schon die Musik aus dem
Versorgungszelt und gehen schnurstracks hinüber. Wir freuen uns über
Kloß mit Soße und Blaukraut. Fein – mhmm... Die Nichtvegetarier bekommen
Geschnetzeltes dazu. Draußen regnet es in Strömen. Auf dem Zeltdach hört
man wie die dicken Tropfen herunterprasseln. Wir sind zwar zum Glück im
Trockenen, doch das Wasser rinnt herein, am Boden wird es nass. Das
warme Essen tut richtig gut und wir sitzen im etwas zu lauten
Musik-Zelt. Ich schau mir die Leute an. Ha ha... Da ertönt das
nostalgische 50er-Jahre-Rennsteig-Wanderlied wie jedes Jahr und die
meisten singen mit und klatschen dazu. Ich finde das so lustig. Es ist
eine richtig gute Stimmung unter den Läufern. Oh hallo, neben uns sitzen
Bernd und seine Freundin aus Regensburg, so ein Zufall. Und plötzlich
grüßt Frank aus Leipzig, der 2005 fast die ganzen 73km mit Anne und
Erwin gelaufen ist. Mei, so viele Leute.
@Susanne: Als wir langsam müde werden beschließen wir einen
Schlafplatz im 3km entfernten Elisabeth-Gymnasium zu suchen. Ein altes
großes Schulhaus mit viel Platz. Wir nehmen Bernd und Freundin mit ihren
dicken Rucksäcken ins Auto und fahren ab. Außerdem wollen wir im Gymnasium noch
Susanne aus Wuppertal treffen. Erwin hat sie im letzten Jahr beim
Röntgenlauf kennen gelernt. Viele Ultraläufer kennen sich. Wir fahren
mit dem Auto zum Gymnasium, wo die Läufer gegen ein geringes Entgelt in
den Klassenzimmern am Boden schlafen dürfen. Das ist recht praktisch,
denn hier sind auch Toiletten und sogar Duschen. Leise öffnen wir die
Türen und spitzen in ein paar schon halb dunkle Räume hinein. Viele
Leute liegen dort, auf Matten in ihre Schlafsäcke gehüllt und versuchen
schon um 22.00 h zu schlafen. Morgen früh ab 3:30 h gibt es Frühstück. Es ist sicher nicht einfach hier den nötigen Schlaf zu
finden. Anne beschließt im Treppenaufgang ganz oben in einer Ecke zu
nächtigen. Sie lässt ihre Sachen dort liegen und geht mit uns um Susanne
zu suchen. Im selben Gebäude, aber erst per Handy erfahren wir, wo sie
sich einquartiert hat. Schließlich finden wir den Raum und setzen uns
noch eine Weile dazu. Sie läuft erst seit einem Jahr und ist nun schon
bei diesem großen Spektakel dabei, um die lange Distanz zu laufen – 73km
wohlgemerkt. Toll.
@Erwin: Man glaubt es nicht, aber wir gehen dreimal
durch das ganze Schulhaus, 3 Etagen, bis wir uns nach zweimal
Handy-Anrufen treffen. Ganz schön schwierig, sage ich Euch.
@Susanne: An der typisch grünen Schultafel ist das
Höhenprofil der Super-Marathon-Strecke aufgemalt, darunter steht
„Schmiedefeld, das schönste Ziel der Welt“. Das ist eine Strecke vor der
ich wirklich Respekt habe! Unter Läufern ist das mit dem Schlafen unkompliziert:
egal, wer neben wem schläft, wer wo liegt. Inzwischen ist es 23:30 h,
fast alle ruhen schon, nur noch zwei Hand voll Leutchen stehen außen vor
der Türe, sitzen, plaudern bei paar Flaschen Bier. Und wir ziehen uns
zurück. Anne richtet ihre Schlafstatt auf der Treppe, wir gehen ins
Auto. Mit dem Auto ist das recht praktisch. Wir parken direkt hier am
Gymnasium unter grünen Bäumen im Hof. Mit wenigen Handgriffen ist das
Auto hergerichtet und auch wir haben unser Nachtlager. Es hat inzwischen
aufgehört zu regnen und es wird ruhig draußen. Schnell noch den Wecker
stellen und dann schlafen. – Gute Nacht. Ich schlafe sofort ein, schlafe
gut und fest.
@Erwin: Ich? Gähn, schon weggedöst bevor ich
darüber nachdenken kann. Ich schlafe überall gut.
@Susanne: Piep piep piep..... Gähn – der Wecker piepst. Es
ist 5 Uhr – Aufstehen!! Es ist schon hell und um uns herum ist bereits
seit langem Gewusel. Alle machen sich fertig für den Start, der für die
Super-Marathon-Läufer um 6 Uhr ist. Auto umpacken, Laufsachen an, kurze
Morgentoilette und nichts vergessen. Haste den Chip, Startnummer, Vaseline, Jacke und
Handschuhe? Alles da. Susanne kommt schon und packt ihre dicken Taschen
in unser Auto. Anne kommt dazu mit kleinen Augen. Ruck zuck sind wir
startklar und fahren zum Marktplatz, und parken direkt neben dem Start
dort. Mein Blick
geht über den Marktplatz mit den fast 2.000 Läufern zum Startertor
hinüber.
Marktplatz Eisenach |
@Susanne: Jetzt scheint sogar die Sonne. Die Statue am
Marktplatz und die Kirchturmuhr blitzen. 5:35 h. Wir treffen uns mit
unseren Lauffreunden wie gestern verabredet 20 min. vor dem Start im
warmen fast leeren Zelt und dehnen uns (wie immer:
Rosa B). Was zieht man heute an, oder
besser aus? Wer könnte mit wem laufen?
@Erwin: Wenn ich schon am Start nicht friere... - Jacke aus, die
bleibt hier. Es ist windstill, der Himmel blau. Dieses gute Wetter
wird halten bis ins Ziel. Es muss. |
@Susanne: Draußen wimmelt es vor bunten Läufern, die
Lang-Läufer sind in wenigen Augenblicken dran. Erwin wagt kurze Hose und
kurzes Shirt, vertraut auf sein Wetterglück und lässt die Windjacke im Auto.
Er geht zum Start und die anderen ihm nach, reihen sich auch langsam in der Menge
ein. Ich bleibe zurück und schaue zu.
Start in Eisenach |
@Susanne: Peng!! Der Startschuss rollt über den ganzen
Marktplatz und los geht’s.
2.000 Läufer setzen sich in Bewegung. Mit einem Mal ist der Platz
wie leergefegt.
Viel Glück, macht’s gut, bis später dann im Ziel. - Und weg sind sie.
@Erwin: Kamera in de Hand treibe ich mit der Menge. Keine Ahnung,
was um mich herum los ist. Ich versinke in mir, treibe mit dem Strom
bergauf. 25km bergauf. Im saftgrünen dichten Wald, mal mehr mal
weniger steil bergauf, doch Gehen muss man kaum. Herrlich frisch und
puro Naturo hier. Auf geht's, der Tag beginnt. Langsam, Tag, immer
piano piano... |
@Susanne: Ich muss jetzt zu meinem Start nach Oberhof mit den
beiden 14-jährigen Mädchen, Chantal und Barbara. Ab ins Auto und auf die Autobahn nach Gotha,
von dort auf die Landstrasse nach Oberhof. Es sind so um die 50 km und
wir sind rechtzeitig da. Ganz unten am Ortsrand finden wir auf einer
Wiese einen Stellplatz für unsere Citrone. So, und wo müssen wir nun
hin? Wir laufen einfach die Straße hoch wo die Leute sind. Ich frage
immer wieder und so recht kennt sich leider keiner aus. Ich muss meine
Startunterlagen noch abholen und spute mich ein wenig. Die Mädchen
wissen wann und wo es für sie losgeht und so kann ich sie alleine
weitergehen lassen. Ich konzentriere mich wieder auf mich. Turnhalle?
Wo? Aha, ganz hoch laufen in die Dreifelderhalle. Dort ist auch die
Startnummernausgabe für uns 6.000 Halbmarathon-Läufer. Ich finde alles
schließlich und erhalte unverzüglich meine Startnummer. Den gelben Chip
habe ich schon gestern Abend am Schuh angebracht. Morgens klappt das mit
den Fingern nicht so gut wie abends. Da ich kein Frühstück hatte esse
ich sofort den leckeren Fruchtriegel der im Läufersack ist. Das ist
lecker. Ich pinne die Nummer an meine Jacke und gehe schnurstracks
hinunter zum Start. Überall Leute in Sportsachen. Der ganze Ort ist von
Läufern überflutet. Von Weitem schon höre ich die Musik und den
Sprecher. Immer wieder ist ein Helikopter über uns.
Start in
Oberhof (Foto Günther Kiefhaber) |
@Susanne: Ich will mich vorne hineinstellen, komme aber nicht
dazu. Das riesige Starterfeld ist zu dicht, kein Durchkommen. Jeder
wartet gebannt darauf, dass es los geht. Also schlüpfe ich an der
Seite durch die Absperrung und befinde mich im hinteren Ende der
riesigen Gruppe. Ich denke mir, egal, es macht ja nichts wenn ich
somit etwas länger brauche, ich will mich nicht beeilen. Jetzt wird,
wenige Augenblicke vor dem Start, das Rennsteiglied angestimmt und
Tausende singen und klatschen. Atemberaubend! Gänsehaut am Rücken. Diese Atmosphäre kann
man sich nicht vorstellen wenn man es nicht miterlebt hat.
Unbeschreiblich. |
@Susanne: Peng!! – Der Startknall ist laut, doch weil er so
weit weg ist höre ich ihn im Gewusel kaum. Gut, also alles glatt
gegangen, los geht’s. Nun ist es auch für mich so weit. Es dauert
tatsächlich 5 Minuten bis sich mein Teil der Schlange in Bewegung setzt.
Ich blicke nach vorne und sehe die vielen vielen Läufer. Es geht
Richtung Wald und nur unmerklich zieht sich die Schar ein kleines
Bisschen auseinander. Ich will alleine laufen und in angenehmem Tempo
und mir meine Kraft einteilen. Ich will so viele Stimmungen wie möglich
einfangen und einfach nur dabei sein. Und Spaß haben. Doch es ist nicht
leicht. Es sind einfach zu viele Menschen, um einen gleichmäßigen Tritt
zu finden. Permanent muss ich aufpassen dem Vordermann nicht auf die
Ferse zu steigen, zu stürzen, weil es matschig und rutschig ist. Das ist
alles nicht so einfach, stelle ich fest. Aber aufregend ist es und ich
komme gut voran. Das Wetter ist nicht so gut wie ich gehofft hatte. Es
ist trocken aber kalt und windig und die dicken Wolken am Himmel
verheißen nichts Gutes. Weiter und weiter geht es. Ich habe dünne
Handschuhe an, damit meine Hände nicht steif werden von der Kälte und
das ist gut so. Es hat so um die 6 Grad. Ich habe die Jackenärmel
diesmal bewusst über meine Uhr gezogen. Schnell merke ich, dass es hier
keine Kilometerschilder gibt. Das gefällt mir. So habe ich keinen Druck.
„Da vorne nach der Wiese kommt die erste Verpflegungsstelle ungefähr bei
km 9,5 “ - höre ich hinter mir. Oh ja, ich sehe sie. Ich hätte nicht
gedacht schon so weit gelaufen zu sein.
@Erwin: Als wir zum ersten Mal kurz den Wald verlassen schwebt der
Helikopter neben mir. Ich bleibe kurz im nassen Gras stehen, im
Morgentau, knipse ihn und der Reporter mich. Weiter mit der dicken engen
Läuferschar. Dei ersten Frühaufsteher applaudieren uns, jetzt um 6.30 h
morgens. Das 5km-Schild steht viel zu spät. Kurz danach kommt schon die
km7-Getränkestelle. Ich bin froh, dass ich ein "alter Hase" bin. Viele
Läufer sind irritiert, geben plötzlich Gas, weil sie glauben hinter
ihrer Planzeit zu liegen. Hey Jungs, immer mit der Ruhe! Ich trinke noch
nicht, bin ja noch nicht mal richtig wach. Langsam verteilt sich das
Feld, ich kann freien Fußes laufen. Es rollt. Kamera in der Hand. Km10,
km15. Alle 5km ein Schild.
@Susanne: Ich nehme mir einen Becher und gehe weiter, um Platz für die
Nächsten zu machen. Am Ende der Verpflegungsstelle ist es gut und ruhig.
Ich bleibe stehen und trinke zügig das Wasser aus. Essen mag ich nichts.
Ich sehe viel Rempeln, Läufer stoßen zusammen, weil die meisten direkt
vor der Becherausgabe stehen bleiben. Beim Wiederantraben laufen sie in
die anderen hinein. Becher fliegen, mancher wird nass. Ich stehe am Ende
und setze mich wieder in Bewegung. Jetzt kann ich zwar langsam immer
wieder überholen, muss jedoch dazu oft ins Gras am Wegrand. Es gibt zwei
lang gezogene Anstiege, die ich teilweise gehe und dann geht es immer
wieder bergab. Manchmal wird der Weg nach unten ganz schön schnell. Ich
fliege fast über die Steine und Wurzeln. Es geht wirklich gut. Es macht
Spaß hier dabei zu sein und ich komme gut voran. Immer wieder stelle ich
fest, wie viele ältere Läufer es hier gibt. Frauen und Männer über 70
und das finde ich wirklich super. Einige schnellere Läufer düsen an mir vorbei, obwohl
ich auch nicht langsam bin. Ich schaue mir meine Mitläufer an und
beobachte die unterschiedlichsten Laufstile. Da ruft eine Frau zu mir
herüber: „Hallo, ich kenne Dich aus dem Internet. Ich lese immer Eure
Laufberichte“. Ich fühle mich geschmeichelt und freue mich. - Hallo, oh,
danke sehr!
@Erwin: Mein Fotoapparat wiegt am Start 270 Gramm.
Für eine Weile kreisen meine Gedanken um die Digitalkamera, Ihr Gewicht
und die Fotos, die ich ab und an mache. Mein Arm sagt jetzt nach 2
Stunden Laufen: die Kamera wird schwerer. Wie wohl die Bilder werden?
Und hoffentlich bleibt es trocken. Ich freue mich schon auf den Schleim.
Bei km18 kommt er. Jaha, Heidelbeergeschmack! Ich greife zu zwei
halbvollen lauwarmen Bechern.
@Susanne: Da kommt unsere zweite Verpflegungsstelle und ich werde fast
umgerannt. Manche Läufer haben es ganz schön eilig. Ich muss wirklich
aufpassen. – Ich schnappe mir wie immer einen Becher, gehe weiter, ein
paar Schritte abseits und trinke dann in großen Schlucken mein Wasser
aus. Jetzt esse ich mal ein Stückchen Banane. Gut kauen, und weiter.
Wieder geht es wunderbar, schon fast leichtfüßig weiter. Ich bin
begeistert. - Gerade muss ich an Erwin denken. Es ist jetzt 8:50 h und
wir haben 15,7km hinter uns - Wo wird er jetzt sein? Wie wird es ihm und
den anderen so gehen?
@Erwin: 8:50 h? - Ich bin jetzt knapp 3 Stunden on the Wald Weg. Unseren
lang ersehnten ersten Gipfel, den Inselberg habe ich hinter mir. Meine
Beine sind ruhig, nur mein rechter Arm murrt. Na wegen der Kamera, Ihr
wisst schon... Hey, prima Wetter heute! Keine Wolken am Gipfel, blauer
Himmel und perfekte Sicht in die grüne Ferne. Ich lerne (dank
T-Shirt-Aufdruck "Celje Marathon") den Slowenen Franc kennen, und
versuche mein Kroatisch anzuwenden. Frzky, mrkwitsch, gripsky, eh dobro
jutro? Endlich gelingt es, unsere Mini-Konversation geht trotz ein paar
Missverständnissen zum Lachen über, denn Franc kann gut Deutsch. bergab
laufen meine langen Beine leicht und ihm davon, bergauf findet er wieder
zu mir. Und so weiter. - 30km sind vorbei, es geht jetzt 10km wellig
aber relativ eben dahin. Immer wieder werde ich beim Knipsen bestaunt.
Wieso eigentlich? Ist doch sehr fotogen der Thüringer Wald mit den
bunten Läufern. Jemand neben mir sagt, der Marathon startet in wenigen
Minuten um 09.00 h. Ich denke an Hilmar Hebold, der das Bergige liebt
und endlich beim lang ersehnten Rennsteig mitlaufen darf. Sein zweiter
Marathon.
Dann gehen meine Gedanken auf in der Party an der Ebertswiese bei km37,
eingeleitet mit dem Mann mit dem kleinen Alphorn, der seit jeher
dazugehört. Hey, hier sind zum ersten Mal richtig viele Leute, Applaus,
Kinder, die Walker werden abgestempelt. Es gibt Wurst (!) und Bier (!),
Bananen, Cola, Iso und Wasser. Ich bevorzuge warmen Tee und nehme mir
einen Becher Schleimsuppe. Und noch einen. Kurze Weile stehen bleiben,
die Kinder und die Morgensonne genießen, dann geht's bergauf weiter.
Wieder vom Wald verschlungen ziehe ich weiter einsam meine Wege als
Waldläufer. Mittlerweile bin ich 185ter, ruft mir der eigens dafür
postierte Zähl-Thüringer zu. Das heißt, im Abstand von 10m vor und
hinter mir ist der jeweils nächste Läufer. Ihr seht, ich laufe wirklich
nur mit mir. Viele nennen das mentale Stärke. Ich? Ich denke gerade an
einen Trupp versprengter dürrer Römer, die im Wald vor Asterix flüchten,
über Wildschweine stürzen und an Bäumen kleben bleiben. Grins. Nur mein
Arm grinst nicht, da die Kamera bereits über 500g wiegt.
@Susanne: Im leicht bergab Laufen bin ich schon bei km19.
Super läuft’s. Das Wetter ist gut, kühl und trocken und gleich bin ich
im Ziel in Schmiedefeld. Immer mehr Zuschauer stehen am Rand und feuern
uns lauthals an. Das ist eine prima Stimmung hier. Uiii... da ist schon
der Zielbogen. Ich bin schon auf der Zielgeraden! Ich reiße die Arme
hoch und laufe mit stolzem Herzen über die Kontaktschwelle durchs Ziel.
Ja, jaaaaa geschafft. - Dann schaue ich auf meine Uhr und bin ganz
verblüfft. Ich habe trotz Bergen nur 2 Stunden gebraucht. Das hätte ich
nie gedacht. Da freue ich mich aber noch mehr, denn es geht mir total
gut. Ich bin nicht außer Atem und mir tut nichts weh. Super!
Ich gehe geradeaus weiter zum Zelt wo es Getränke
gibt und versorge mich mit warmem Tee. Das tut gut, denn es ist doch
kalt, vor allem wenn ich jetzt schon 10 min stehe. Ich mache meine
Gymnastik. Das ist wichtig. – Oh oh, jetzt beginnt es zu regnen. Erst langsam
dann immer mehr. Au weia, die anderen haben noch so lange zu laufen.
Hoffentlich hört es gleich wieder auf.
@Erwin: Sehr gleichmäßig und scheinbar ohne größere Anstrengung (hey,
Arm, was sagst Du?) komme ich an km55 vorbei, wo der Halbmarathon
startete. Ich laufe in den von 6.000 HM-Läufern zertretenen
Spuren. Ich kenne den Streckenverlauf gut und das hilft bei der
Kräfteeinteilung. Es geht bergauf. Ich gehe. Immer wieder auf und ab
geht es. Für viele ist das der Anfang vom Leiden. Lange Gesichter sehe
ich neben mir, überhole immer wieder einen der geht. Mei bin ich froh,
dass ich es mir gut eingeteilt habe und heute nichts vorhabe. Bei km60
beginnt es leicht zu nieseln, doch im engen Wald spüre ich es kaum. Doch
in den luftigen Höhen des Großen Beerbergs weht ein kräftiger Wind.
Letzte kräftige Verpflegungsstelle mit Wurstbroten. Für mich Schleim und
Tee und weiter. Stehen bleiben möchte ich nicht, denke ich mir. Und was
ist das? Ich sehe bei km65 zwei freudig winkende Zuschauerinnen, mitten
am Weg, mutterseelenallein mit Schirm: Julia und eine Freundin, Fans aus
der Heimat. Ich wache aus meinem Wildschweintraum auf, begrüße sie
freudig, bemerke aber mein Frösteln im Wind und trabe schnell weiter. Na
so was, die Julia? - Mein rechter Arm baumelt verloren an mir, schleift
fast am Boden. Der Fotoapparat wiegt jetzt 2 Kilo.
@Susanne: Aber die dicken Wolken hängen
tief und es gießt inzwischen. Ich friere und möchte mir was Warmes
anziehen. Also: ich muss zum Auto. Das aber steht in Oberhof und ich
frage mich durch, wo ich denn nun zum Bus nach Oberhof komme. Ich muss
ein ordentliches Stück laufen aber erwische den Bus direkt. Er fährt
auch gleich ab. Prima, nicht warten. Ich setze mich auf einen freien
Platz in der zweiten Reihe und atme durch. Es ist angenehm warm. Neben
mit ist ein netter Herr mit dem ich mich über verschiedene
Laufveranstaltungen unterhalte. Er ist zum fünften Mal hier am Rennsteig
und ist auch den Halbmarathon gelaufen. Die Busfahrt zieht sich, aber es
ist sehr angenehm ein Weile zu sitzen und nichts zu tun. Oberhof. Alle
steigen aus. Ich versuche mich zu orientieren, weil jetzt, wo die vielen
Leute und Polizeisperren nicht mehr da sind sieht alles anders aus. Ich
hoffe ich finde das Auto wieder. Nicht auszudenken wenn nicht. Ich
schiebe diesen dummen Gedanken gleich wieder beiseite. - Ein richtig
kalter Wind schiebt mich direkt die Straße hinunter. Ach gut, da sehe
ich schon das Auto. Ich beeile mich um schnell ins Trockene zu kommen.
Aufschließen, reinsetzen, Motor und Heizung an. Draußen regnet es und
dazu ein heftiger Wind. Zum Glück hat dieses Auto eine außergewöhnlich
gute Heizung! Schnell friere ich nicht mehr und kraxle auf den Rücksitz
um von dort im Kofferraum nach meinen Anziehsachen zu suchen. Ein
Handgriff und alles ist perfekt. Ich ziehe mich schnell um und bin
gleich wieder aufgewärmt in den trockenen Sachen. So, jetzt esse ich
eine Banane und schaue in der Karte nach wie ich zurück nach
Schmiedefeld zu den anderen fahren muss. 2 Stunden - genug Zeit bis
Erwin als erster von meinen Mitfahrern kommt. Aha, da geht es aus
Oberhof hinaus, dann so herum und da weiter und .... Ja klar, ich finde
das. Ich fahre los und komme 20km weiter in Schmiedefeld direkt an die
Stelle, wo ich den Bus genommen hatte. Die Polizei leitet die Autos um.
Hier ist jetzt so viel los, dass ich drei Mal durch den Ort fahren muss
bis ich endlich einen Parkplatz gefunden habe. Ich nehme trockene Sachen
für Erwin mit und gehe wieder hoch zum Ziel. Es ist inzwischen recht
ungemütlich im Regen. Ich stelle mich an einen guten Platz, um alles zu
überblicken und sehe Hilmar vorbeihuschen. Er lief den 43km-Marathon und
kommt soeben ins Ziel. Ich rufe ihn, aber ich habe ihn zu spät gesehen
und als ich rufe hört er mich nicht mehr. Er hat ja seine trockenen
Sachen vorausgeschickt, keine Sorge. Ich schaue eine Weile den Finishern
zu.
@Erwin: die letzten Kilometer bergab lasse ich meine Beine rollen. Sie
rollen noch gut. Es werden mehr und mehr Zuschauer, der Regen leider
auch, doch ich komme gerade noch vor dem Nasswerden ins Ziel. Jepp,
geschafft! Etwas anstrengend für einen Samstags-"Spaziergang"... Okay
okay, ich gebe zu, auch ich bin froh, dass es nicht länger war.
Zuerst trinke ich einige Becher nur noch halbwarmen Tee. nein, zu
allererst lege ich meine 5kg schwere Kamera ab. Uff! Dann setzte ich
mich für ein paar Minuten und beginne langsam mit dem Dehnen. Hey, nicht
so einfach für einen 80jährigen, sagen meine Knochen. Doch es wird in
wenigen Minuten gleich viel besser. Wo ist meine Abholerin? Es regnet in
Strömen, das Wasser steht im Zielbereich in riesigen Pfützen. Ich laufe
einige Minuten herum, suche Susanne, finde sie aber nicht, wieder
Gymnastik, wieder Suchen. Dann beschließe ich zum Med Point zu gehen,
ich zittere ein wenig. Einige wimmernde Leichen liegen da, ich setze
mich und wickle mich in eine dicke graue Decke. Neben mir noch so eine
Mumie: Markus.
@Susanne: Da kommt die Durchsage „..... zwei junge Männer
hier in der Sprecherkabine frieren und warten auf warme Kleidung....“
Ich denke an zwei kleine Jungs, die auf ihre Eltern warten. Die
Sprecherin ist super. Ich denke mir das die ganze Zeit schon. Sie
moderiert lebhaft und interessant. Ich muss so lachen als die Durchsage
noch einmal kommt und gesagt wird die beiden Frierenden heißen Erwin und
Markus. Ups, wo ist die Sprecherkabine? Ich sause im strömenden Regen
hinüber, eile die Treppe hoch und da sitzen zwei in Decken gehüllt. Ein
lustiger Anblick.
Markus wartet frierend auf
Abholung... |
... und Erwin leistet ihm Gesellschaft |
@Susanne: „Hallo! – Glückwunsch, toll gemacht. Super!“
Ich umarme Erwin und freue mich, dass er wieder so gut angekommen ist.
In 6:56 h hat er diese 72,7 km geschafft. So schnell. Wie ist das möglich??? Wow,
ein kleines Wunder, und er sieht nicht geschafft aus oder so. – „Schau,
hier sind Deine Sachen.“ Erwin zieht sich die trockene Kleidung über und
wir verlassen die Sprecherkabine, um zum Auto zu gehen.
@Erwin: Im Regenguss am Weg hinunter zum Auto erzählen wir uns kurz
wie es war. Mir wird langsam kalt, der Regen nervt und meine Schuhe sind
nass. Doch ich bin wieder auf der Strecke mit meinen Gedanken...
@Susanne: Erwin weiß: es ist kalt und die durchnässten Läufer
kühlen im Ziel sofort aus. Wir gehen im Regen zum Auto, Erwin zieht sich
die dicke warme wasserdichte Jacke an und wir versuchen nahe am Ziel zu
parken. Erwin hat mit Parkplätzen immer Glück, auch heute. Durch den
Regen schnell wieder zum Startbereich. So: Anne und Susanne müssten bald
kommen. Erwin rechnet ab 8:45 Std mit ihnen.
Wir stellen uns im Getränkezelt unter, schauen angespannt hinaus (na ja
mehr Erwin, weil ich Kleine nicht über die Köpfe sehen kann) und warten
mit einem Becher heißer Suppe in der Hand. Erwin flitzt immer hin und
her, um zu schauen wo die anderen sein könnten. Im Med Point? Im
Festzelt? Ich warte hier. Oh hallo, da ist völlig unerwartet Manuela
(Bericht) aus
Augsburg. Wir kennen uns, doch ich wusste nicht dass sie hier mit läuft. Hi, wie geht's? Schön, dass wir uns wieder sehen. Sie wirkt noch richtig
frisch dafür, dass sie schließlich auch den Super-Marathon gelaufen ist.
Natürlich ist sie klatschnass, aber sie ist sehr fit und immer gut
vorbereitet und das merkt man auch. Sie geht weiter, um sich eine warme
Suppe zu holen. - Und da kommt Anne ins Ziel mit Frank
(Bericht), mit dem sie von
Beginn an gelaufen ist. Sie haben es auch geschafft. Was für eine
Leistung. Toll, ich gratuliere. Wir geben ihr ihre trockenen Sachen und
eine warme Decke aus dem Auto. Jetzt fehlt nur noch Susanne. – Wenn ich
mir so vorstelle, dass ein Arbeitstag bei mir 9 Stunden dauert ist das
noch unbegreiflicher für mich, wie man mehr als 8 Stunden laufen kann.
Während ich sinniere und Anne sich umzieht sucht Erwin nach Susanne. Er
erfragt bei den Urkunden Ihre Zielzeit und... „Erwin Bittel bitte zum Med Point“, sagt die Sprecherin. Da saß sie schon 15 min eingehüllt in
die dicken grauen Rennsteigdecken. Oh ja, spitze da ist ja nun auch
Susanne. Sie hat es auch geschafft, klasse. Sie strahlt. Dort wo es die
Getränke gibt bleiben wir noch ein wenig stehen, bis Erwin Susannes
trockene Sachen aus dem nahen Auto holt.
@Susanne: Langsam brechen wir auf und verabschieden uns von
Susanne, die mit Bus und Zug heim fährt. Wir freuen uns schon auf das
trockene Auto, setzen uns rein und machen sofort die noch warme Heizung
an. Nasse Schuhe und Socken ausziehen. Erwin hilft Susanne noch mit
ihrem Gepäck, läuft noch einmal mit ihr zum Festzelt während ein
sturmartiger Wind peitscht. Hilmar ist ganz außer sich, wie Erwin das
alles so fürsorglich organisiert und schafft. Schließlich ist der lange
Lauf nicht ohne, und Erwin müsste doch eher fix und fertig herumliegen
als herumzuflitzen: aber so ist es nicht. Die Erfahrung und mentale
Stärke macht sich neben der körperlichen Fitness bezahlt, wie man sieht.
Außerdem ist das eben der Erwin. Wer ihn kennt wundert sich über nichts
mehr. Und da kommt er wieder. Es regnet und regnet und regnet heftig.
- Wir fahren los. Wer fährt? Erwin fährt – na klar. Recht schnell sind wir
aus Schmiedefeld draußen, auf der Landstrasse in Richtung Coburg und
Autobahn unterwegs nach Hause. Anne und Hilmar sitzen hinten.
@Erwin: Jetzt könnte ich etwas leichte Musik von CD vertragen, mir geht
es schon wieder ganz gut. Ich bin gut durchgeschüttelt vom Laufen, aber
es geht. Ich werde im warmen Auto allmählich wieder trocken von diesem
Sturm und Regen.
@Susanne: So jetzt wird der Proviant ausgepackt. Nach so
einer Belastung und bei so einem Wetter hat man einen richtigen
Heißhunger auf alles Mögliche und Unmögliche. Anne und Erwin kennen sich
aus: jeder hat auf etwas anderes Lust. Süß, salzig, knackig ist gut. Ich
mag v.a. die süßen Weintrauben, esse später leichten Nusszopf, danach
Haribo und trinke viel Saft. Ich sehne mich nach einem Kaffee. Erwin
fährt beschwingt und munter und knabbert Brötchen mit Tomaten. Die
Chili-Chips und Gummibärchen verschwinden im Nu. Anne beteiligt sich an
allem. Hilmar eher weniger, er freut sich nur auf die heiße Badewanne.
Satt und zufrieden werden wir ruhig. Anne und Hilmar schlafen ein. Ich
blicke durch das Seitenfenster hoch in den Himmel und schaue mir die
dicken weißen und schwarzen Wolken an. Und dazwischen ist ein Regenbogen
zu sehen. Bald sind wir in Nürnberg. Der Himmel reißt auf und wieder ist
ein schöner Regenbogen zu sehen. Geschafft, wieder zu Hause.
@Susanne: Wir verabschieden uns: schön war es! Also dann bis
Mittwoch dann beim Lauftreff. Schönes Wochenende noch. Ciao. So und
jetzt ein heißer Tee, natürlich Spezial-Tee mit Kardamom, Zimt, Ingwer
und ... mehr verrate ich nicht (Geheimrezept auf Anfrage).
So, jetzt kenn ich den Rennsteig auch ein kleines
Bisschen und habe einen Eindruck davon bekommen, was das Legendäre daran
ist: der Vorabend mit Übernachtung, die riesengroße Teilnehmerzahl, die
gute Organisation, die besonderen Leute die man trifft. So viele
Kleinigkeiten am Rande machen diesen Cross-Lauf zu etwas ganz Besonderem
und ich freue mich schon auf nächstes Jahr wenn der 35. GutsMuths-Rennsteiglauf an den Start geht.
Rennsteig ahoi,
Eure
Susanne
(SusanneHager@t-online.de)
Mehr"Team-Bittel" Rennsteig-Berichte:
Das Rennsteig
Kompendium: nützliche Infos, Berichte aus 2002-2005
Brigitte Traut
2006
Robert Lorenz
2006
Jörg Ferlein + Manuela
Mertl: da kommen einem die Tränen...
Frank
Peschang Teil 1 und
Teil 2 2006
Infos: www.rennsteiglauf.de
Halbmarathon: 4.223 Männer + 1.591 Frauen (27%)
Marathon: 2.678 Männer +
509 Frauen (16%)
73km-Ultra: 1.366 Männer + 191
Frauen (12%) |