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Letzte Änderung: 23.06.2011

Der Inselsberg nach 25km...

Bericht vom Rennsteig
am 20.05.2006

Fotos: Jörg Ferlein +Manuela Mertl


...und km60: "Suhler Ausspanne" im kalten Regen

Berichte und Bilder

Bericht von Manuela und Jörg

Der Lauf der Emotionen

 

Wir haben uns lange darauf gefreut. Und dann das heftige Auf und Ab des Rennsteiglaufs.

Ein sehr emotionaler Laufbericht von Manuela und Jörg zum 34. GuthsMuths-Rennsteiglauf 2006 - Lest selbst...

Unser Lauf der Emotionen beginnt:


Jörg: „Die Schmerzen vergehen, der Stolz bleibt.“ Diese 6 Worte auf einem großen Plakat irgendwo im letzten Drittel der Strecke bleiben mir im Kopf. Jetzt direkt nach dem Lauf liege ich gerade im Bett. Neben mir mein kleiner Sohn Timo. Zwischen uns eine mit heißem Wasser gefüllte Trinkflasche, über uns 3 Daunendecken. Sehen so stolze Rennsteigläufer aus??? -  Egal. Timo flüstert ganz leise vor sich hin: „Wir zwei sind GuthsMuths-Läufer“. Ich bringe gerade noch ein „Ja“ heraus. Und ob wir nicht schon genug Regen hatten, läuft mir vor Freude eine Träne runter. Das ist der Nachmittag danach. Doch nun der Reihe nach...

Manuela: Der 20. Mai rückte immer näher und die Vorfreude auf den Rennsteiglauf wuchs von Tag zu Tag. Zusammen mit Jörg, den ich beim Albmarathon 2005 kennen gelernt habe, will ich dieses Jahr die 73 km anpacken. Ein reger E-Mail Austausch war entstanden, und Jörg schaffte es immer wieder mich aufzumuntern, wenn ich Motivationsprobleme hatte. Damit hatte ich während meiner Trainingsläufe häufig zu kämpfen und ich befürchtete, dass dieses Jahr nicht meine Kondition sondern vielmehr die Motivation eine entscheidende Rolle spielen würde.

Jörg: Am Morgen steige ich kurz nach halb vier nach einer schlafarmen Nacht im Stadtcafe in Suhl in den Bus nach Eisenach. Ich freue mich auf den Lauf und das Wiedersehen mit Manuela. Die letzten Tage waren schon aufregend. Am Donnerstag plötzlich Halsschmerzen, Schnupfen und erhöhte Temperatur. Mit Fieber würde ich nicht laufen, das war klar. Die Horrornachricht für Timo, der sich so sehr auf den Junior-Cross freute. Angst, aber auch ein großes Mitgefühl machen sich bei ihm breit. „Ich male dir ein schönes Bild und wenn dich der Rennarzt nicht laufen lässt, dann schenke ich dir meine Medaille.“ Ich nahm mir vor schnell gesund zu werden.

Manuela: Der Start-Tag: dieser Samstagmorgen beginnt viel versprechend. Es ist trocken und ich hoffe, dass uns das gute Wetter auch die nächsten Stunden erhalten bleiben wird. Ich freue mich riesig darauf, Jörg wieder zu sehen. Er ist bester Dinge, obwohl er wenige Tage zuvor noch mit Fieber zu kämpfen hatte. Wir wollen es langsam angehen lassen. Wir haben uns viel zu erzählen... und verpassen dadurch beinahe den Start. Es ist zwar erst 6 Uhr morgens, aber an Zuschauern, die uns die ersten Meter anfeuern, mangelt es nicht. Es ist ein unbeschreiblich tolles Gefühl und es fällt mir schwer, die Freudentränen zurückzuhalten.

Jörg: Wir nehmen die Motivationsspritze der Eisenacher gerne entgegen: „Nur noch 72 Kilometer“, informiert uns ein Schild an der Straße. Danke, liebe Eisenacher. Nach 20 Minuten laufen wir auf eine kleine Wiese. Blauer Himmel, die Morgensonne tut gut. Links von uns galoppiert eine Herde gut aufgelegter Pferde. Denen macht es richtig Spaß. Die Körper dampfen in der frischen Luft. Herrlich. Was die wohl von der bunten Läuferschlange halten, die hier ihre Idylle stört? Gerne würde ich noch einige Minuten bleiben.
 

Die Läuferschlange am Burschenschaftsdenkmal

Jörg: Locker laufen wir weiter und unterhalten uns über Lauferlebnisse, über die Eiweißaufnahme im Darm, über Technische Dokumentationen, Trommler, Didgeridoo und Dudelsackspieler und laufen nebenbei die ersten 25 km.

Manuela: Die ersten 25 km vergehen wie im Flug mit Plaudern und Fotos knipsen. Wir treffen auf Anne, die sich doch entschlossen hat, dieses Jahr wieder mitzulaufen. Rennsteiglauf macht süchtig! Am dritten Verpflegungsstand gibt es dann endlich den von mir heiß geliebten Schleim. Lecker!

Großer Weissberg und Anstieg zum Inselsberg

Jörg: Ich versuche über Handy meine Frau Ute zu erreichen. Ob das andere Läufer verstehen? Handy und Landschaftslauf passen nicht. Doch als Papa muss ich wissen, ob mein Sohn fit am Start zum Junior-Cross ist. Ich kann Mama und Sohn nicht erreichen und denke immer wieder an sie. Plötzlich stehen wir vor dem letzten, aber heftigen Anstieg zum großen Inselsberg. 2 Fotos am Gipfel und schon geht es an den steilen Abstieg.

Nach einigen Minuten gönnt mir Manuela eine kurze Verschnaufpause. Ich verfalle in einen langsamen Spaziergang und gehe etwas in mich. Das tut gut. Ich bin am Rennsteig, beim Lauf meiner Träume. Kaum eine Minute später ist Manuela aber schon wieder da. Oh Mann, warum ist das Mädel so schnell fertig und rast dann gleich mit Vollgas wieder los?

Netter Empfang vor der Ebertswiese (KM 37,4)

Manuela: So allmählich stoßen die ersten Wanderer zu uns. Ich hoffe, meinen Freund Gerd auszumachen, der zusammen mit vier seiner Freunde die 35 km Wanderstrecke in Angriff nimmt. Nach 41 km kommen sie in Sicht. Ein großes Hallo, ein Foto und schon nehmen Jörg und ich wieder Fahrt auf.

Jörg: Bis zum kurzen, aber steilen Anstieg vor km45 läuft alles prima, aber nach der Verpflegungsstation an den Neuhöfer Wiesen (km45) beginnt für mich ein neues Kapitel. Aus den mittlerweile dichten Wolken fällt Regen und ich falle in ein ganz großes schwarzes Loch. Nichts geht mehr. Kein klarer Gedanke. Ich will und kann einfach nicht mehr.
Bis zum Grenzadler (km54) will ich wenigstens durchhalten. Wenigstens das. Schmiedefeld, das schönste Ziel der Welt, das ist mir zur Nebensache geworden. Oh Mann!
 

Unvergleichbar: Die Verpflegung am Rennsteig

Manuela: Dann Jörgs Einbruch. Er sieht nicht gut aus, wahrscheinlich steckt ihm die Erkältung noch in den Rippen. Ich kämpfe mit mir. Soll ich bei ihm bleiben oder soll ich alleine weiterlaufen? Auch ich spüre die zurückgelegten 40 km, sie schlagen auf meine Psyche, und mir ist klar, wenn ich jetzt nicht mein Tempo halte, werde ich ebenfalls Probleme bekommen. Schweren Herzens trenne ich mich von ihm. Ich laufe alleine weiter, noch voller Energie und auf Überholkurs.

Jörg: Manuelas Worte aus einer E-Mail kommen mir zum wiederholten Mal in den Kopf: „Ab km70 ist es nur eine Frage der Psyche“. Und ab km50, frage ich mich, was ist es da?

Vorher haben wir darüber gelacht, jetzt lache ich nicht mehr. Gut, dass Manuela jetzt ihr Tempo laufen kann. Ich hätte nur versucht sie nicht zu bremsen und mich vollends kaputt gemacht. Ganz langsam geht es bei mir weiter. Bis zum Grenzadler muss ich kommen. Was soll ich auch hier, in diesem dunklen, trostlosen, nassen und kalten Wald. Kurz bleibe ich bei einem älteren Läufer stehen, der unter üblen Krämpfen im Oberschenkel leidet. Sein Frust sitzt tief. Noch tiefer als bei mir. Er will in die Europacup-Wertung und in 2 Wochen noch nach Biel. Und jetzt das. Armer Kerl. - Ich gebe ihm homöopathische Globuli, die mir immer sehr gut helfen. Sehr skeptisch schaut er sich die 3 winzigen Zuckerkügelchen an. Ich nehme auch eines, wünsche ihm alles Gute und laufe wieder langsam los. Hoffentlich schaffte er es noch gut ins Ziel. Diese kurze Begegnung hat gereicht, um mich aus meinem Loch zu bringen. Klingt verrückt, ist aber so. Auf einem leicht abschüssigen Weg steigere ich mein Tempo wieder und ernte einige nette Kommentare von Leidensgenossen. „Das Fest wartet“, oder „willst du noch eine warme Dusche“ oder nur die Frage „was ist denn jetzt los“. Ich laufe was die Schlappen hergeben und sehe irgendwann weit vor mir ein hellblaues Trikot. Ich gebe noch mal Gas und erkenne Manuela. Unerreichbar, aber in Sichtweite. Das tut gut.

Manuela: Erstaunlich viele Läufer sind schon am Gehen. Ich denke an Jörg und frage mich, wie es ihm jetzt wohl geht. Hoffentlich schafft er es bis nach Oberhof. Dann unvermittelt mein eigener Einbruch. Nicht wie letztes Jahr, 8km vor dem Ziel, sondern schon viel früher. Mir fehlt die Kraft. Verdammt, warum bin ich nur ohne Jörg weitergelaufen? Ich setze einen Fuß nach den anderen, alles ganz automatisch, der Kopf vollkommen leer. Dann endlich die Verpflegungsstation am Grenzadler! Ich mache mir Mut: jetzt kann nichts mehr schief gehen, auch wenn die letzten Kilometer hart werden würden.

Am Grenzadler bei Oberhof

Jörg: Vor dem Grenzadler hab ich Manuela fast eingeholt, nur noch 50 Meter. Aber ich kenne sie inzwischen. Keine lange Pause, einen Becher Schleim und ein lauwarmer Tee und sofort geht es weiter. Das pack ich jetzt nicht. Gerade kommt neuer, noch wärmerer Tee und ich nehme einen zweiten Becher. Und: hier am Grenzadler, am Leistungssportzentrum und Olympia-Stützpunkt funktioniert sogar mein Handy. Ich nehme eine kleine Auszeit und erreiche meine Ute. Endlich. Es geht ihr aber nicht so gut. Nach 25 gemeinsamen Jahren hör ich das beim ersten Wort. Es regnet in Schmiedefeld inzwischen schon lange und meinen beiden ist es saukalt. Sie stehen im Rewe-Markt und wärmen sich. Timo ist super gut gelaufen. Ich bin glücklich. So vergesse ich die Ausstiegsmöglichkeit hier am Grenzadler bei km54. Erst nach einigen Minuten wird mir klar, dass ich auch den Bus hätte nehmen können. Ich muss innerlich lachen und denk mir, dass es so schlimm wohl gar nicht ist. Wieder verrücktes Tempo und plötzlich bin ich bei Manuela. Ich freue mich, dass wir wieder zusammen sind und ich glaube ihr geht es ähnlich. Sie sieht auch nicht mehr frisch aus (was für ein Kompliment für eine junge Frau). Sicher setzen ihr auch der stundenlange Regen und die Kälte zu.

Manuela: Ein Läufer spricht mich an, wir unterhalten uns, ich bin dankbar für die Ablenkung. Viel zu früh lässt er sich zurückfallen. Ich laufe weiter, meine Gedanken kreisen. Dann plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehe mich um und kann es nicht glauben: es ist Jörg! Ich bin überglücklich! Ihm geht es prächtig und er legt ein Tempo vor, bei dem ich kaum mithalten kann. Wenn nichts mehr geht, hilft nur eins: homöopathische Globuli! Wie gut, dass Jörg bestens damit ausgestattet ist. Im Vertrauen auf die Wirkung nehme ich dankbar ein Kügelchen an. Jörg erzählt mir, dass er damit schon so manchem Läufer wieder zu neuer Energie verholfen hat.
 


Regen auch an der Suhler Ausspanne bei KM 60

Jörg: Die folgenden Kilometer ziehen wir uns gegenseitig. Keiner will mehr alleine laufen und so werden wir immer schneller. Manuela beklagt sich, dass ich ihre „besten“ Schuhe dreckig mache und will nun doch nie mehr mit mir laufen. Schön, dass sie wieder einen Spaß machen und lachen kann.

Manuela: Die Waldwege werden zunehmend matschiger und man muss aufpassen, nicht auszurutschen. Vor uns kommt ein Läufer mit Hund in Sicht. Ich frage mich, wer von den beiden am Abend wohl erschöpfter sein wird: der Hund oder sein Herrchen? So allmählich kommt wieder Leben in meinen Körper. Wir laufen, fast schon fluchtartig. Wir sind auf Überholkurs. Nichts kann uns jetzt noch bremsen. Es tut verdammt gut! Die letzten Kilometer ziehen sich zwar arg in die Länge, aber das ist mir egal. Die Beine wollen ins Ziel: jetzt nur nicht mehr stehen bleiben! Ich bin froh über Jörgs rasantes Tempo und witzele: wenn er vorhat, die Schallmauer zu durchbrechen, soll er mir bitte rechtzeitig Bescheid geben.

Jörg: Wie viele Vororte hat denn die Großstadt Schmiedefeld? Das zieht und zieht sich. Überall Pfützen und Matsch und Dreck. Egal. Am Anfang sind wir denen noch ausgewichen, haben auf unser Äußeres geachtet. Jetzt nicht mehr.

Manuela: Endlich der Ortseingang von Schmiedefeld. Fußgänger mit Regenschirmen kommen uns entgegen. Jetzt erst wird mir richtig bewusst, dass es in Strömen regnet. Die letzten Meter, und dann kommt das Ziel in Sicht. Geschafft!
 


Die letzten Meter für uns beide

Jörg: Alle Anspannung ist plötzlich weg. Klatschnass, aber glücklich lassen wir uns die Medaillen umhängen. Kurz nach uns eine Durchsage des Sprechers im Stadion, die mir in den folgenden Tagen auch nicht mehr aus dem Kopf geht: „Rennsteigläufer ihr seit im Ziel. Reißt die Arme hoch.“ - Wirklich ein Lauf der Emotionen!!!

 

Manuela: Im Zielbereich warten bereits Jörgs Frau und sein Sohn, beide sehen ziemlich unterkühlt aus. Kein Wunder bei diesem Wetter! Wir treffen Susanne Hager, auch vom "Team Bittel", bereits warm verpackt und wie immer bester Laune. Jörg und ich verabschieden uns hastig, denn es ist so kalt, und ich mache mich auf den Weg zur Dusche. Inzwischen schlottere ich schon ziemlich und meine Hände sind so klamm, dass ich einige Minuten damit beschäftigt bin den Knoten an meinem Kleidersack zu lösen. Hilfe! Und es regnet noch immer, als ich wieder ins Freie trete. Ich werfe mir den Regenumhang über, der beim Obermain Marathon vor einigen Wochen verteilt worden war. Ach bin ich froh, dass Erwin den Umhang damals liegen gelassen und ich ihn eingepackt habe! Jetzt schnell zum Bus und zurück nach Eisenach! Prompt werde ich auf dem Weg dorthin von zwei Läufern aus Bad Staffelstein wegen des Umhangs angesprochen. Das ist das Schöne an solchen Veranstaltungen: man kommt sehr schnell in Kontakt mit anderen Läufern. Wir plaudern etwas, bis sich unsere Wege trennen. Zum Glück wartet der Bus bereits an der Haltestelle. Endlich sitzen!

Jörg: Nach einigen Minuten sind wir derart ausgefroren, dass wir nur schnell die Wärme suchen. Manuela unter der hoffentlich warmen Dusche, wir drei in unserer Pension in Suhl.

„Die Kälte vergeht irgendwann, der Stolz kommt auf jeden Fall noch.“ - Das würde ich jetzt unterschreiben. Ich sitze im Auto, friere wie blöd und denke an die letzten Stunden auf dem langen Kanten. Der Start in Eisenach, die schönen Pferde in der Morgensonne, denke an den Inselsberg, an mein schwarzes Loch, an die Wiederauferstehung, das Wiedersehen mit Manuela und an die gemeinsame Zielankunft in Schmiedefeld. Und ich bin froh, jetzt nicht alleine zu sein. Vielen Dank vor allem an meine Frau, an Timo und natürlich an Manuela. Nur langsam kehren die Lebensgeister zurück. Und viele, viele Gedanken werden noch lange in meinem Kopf kreisen.

Manuela: Einige Stunden später, einen Tag danach, Inzwischen sind die Anstrengungen vergessen und die Leere in meinem Kopf ersetzt durch die schönen Erinnerungen an den Lauf. In den Beinen kribbelt es wieder, sie würden zu gerne schon wieder laufen. Jetzt heißt es Geduld bewahren, nur nichts überstürzen. Wie sehr freue ich mich auf den nächsten Lauf! Ganz herzlich möchte ich mich bei Jörg bedanken, ohne den ich die 73km nicht gepackt hätte (ich hätte mir keinen besseren Laufpartner wünschen können!) und bei Gerd, meinem Freund, der mich während der letzten Monate kaum zu Gesicht bekam und wenn, dann meist in Laufklamotten!

Unser Lauf der Emotionen,

Jörg und Manuela      (Mails an Jörg und Manuela)


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Susanne Hager + Erwin Bittel 2006

Infos: www.rennsteiglauf.de  Supermarathon 73km: 1.366 Männer + 191 Frauen (12%)
 

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