Dieses Jahr will ich die Top 100 knacken, eine Wiederholung des
Vorjahres, als ich knapp scheiterte, soll es diesmal nicht geben. Der
Bus vom Ziel- und Übernachtungsort Schmiedefeld fährt bereits um 3:30
Uhr in der Nacht. Leidlich gut ausgeschlafen stehe ich inmitten der 1830
anderen Starter morgens um 6:00 Uhr am Start in der Lutherstart
Eisenach. Die Wetterprognosen sind durchwachsen, mit Regenschauern auf
der Strecke ist auf alle Fälle zu rechnen. Trotzdem entscheide ich mich
für die ganz kurzen Rennklamotten, denn die Temperaturen sollen für
Rennsteigverhältnisse gut werden. Es ist 11°C am Start. Eine beruhigende
Prognose, immerhin habe ich bei der gestrigen Fahrt über die Höhen des
Rennsteigs noch vereinzelte Schneereste entdecken können. Und von Schnee
und Eis können viele Läufer berichten, die in den vergangenen Jahren
hier am Start waren. Trotzdem lässt das veranschlagte Tempo keine allzu
dicken Schichten zu und ich entscheide mich für das ärmellose
Trägershirt.Pünktlich um 6 Uhr fällt der
Startschuss. Vom Hubschrauber eines Fernsehteams begleitet, machen wir
uns auf die knapp 73 km quer durch den Rennsteig. Eisenach liegt auf 210
Meter über dem Meeresspiegel, vor uns liegen 1750 Meter Anstiege, über
den Inselsberg mit 915 m bei km 25 und, nach ständigem Auf und Ab,
zuletzt noch über "Plänckners Aussicht" bei km 62 (973m) und die
bekannte „Schmücke“.
Ich fühle mich gut, beginne gewohnt bedächtig und
begleite Lauffreund Helge, der eine ähnliche Zeit anstrebt wie ich.
Vorbei am Luther-Denkmal verlassen wir Eisenach und schon beginnt die
erste Steigung, die schon mal das Feld vorsortiert. Ich fühl mich gut
und bin schnell im Rhythmus. Auch der nach knapp einer Stunde
aufkommende Regen stört mich nicht, zum Glück ist er nicht heftig und
hört auch schon bald wieder auf. Den Rest der Strecke sollte ich zum
Glück trockenen Fußes absolvieren können.
Ein eifriger Zuschauer zählt die Positionen und
winkt mich ungefähr bei „Nr.180“ durch. Ich bin zufrieden, denn mein
Rhythmus stimmt und die vor mir liegenden Läufer irritieren mich nicht.
Im Gegenteil, bald ist "Aufsammeln" angesagt.
Helge kann mittlerweile nicht mehr mithalten und so
laufe ich alleine weiter, immer wieder den einen oder anderen Bekannten
treffend, u.a. Frank Furche aus Hersbruck, mit dem ich im letzten Jahr
schon viele Kilometer gemeinsam zurücklegte. Auch von meinen
Lauffreunden Jochen und Holger, die mich kurzzeitig überholen, lasse ich
mich nicht nervös machen. Ich lasse sie ziehen, im Bewusstsein, mein
Tempo für mich gefunden zu haben.
Bei der Durchsage an der Ebertswiese auf halber
Strecke höre ich den Sprecher, dass mittlerweile rund 130 Läufer diese
Verpflegungsstelle passiert haben. Passt, alles läuft weiterhin
planmäßig.
Ich halte mein Tempo, bleibe immer knapp unterhalb
der Geschwindigkeit, die ich mir zutrauen würde. Ein Rezept, das sich
letztendlich auszahlen wird, denn ich hole Läufer für Läufer ein, werde
selbst nur selten überholt.
Zeitweise auf unter 700 Meter abgestiegen, kratzen
wir an den Neuhofer Wiesen wieder knapp die 900 Meter-Marke. Km 45 ist
erreicht, langsam zeigt sich, wer anfangs sein Tempo überzogen, und wer
sich seinen Lauf gut eingeteilt hat. Zum Glück gehöre ich zur 2. Gruppe
und ich mache weiter Boden gut, allerdings werden die Abstände zwischen
den Läufern oder Läufergrüppchen jetzt bereits merklich größer.
Die Verpflegungsstellen "Grenzadler" und "Rondell"
sind passiert. Ich greife regelmäßig zum berühmten "Schleim", einer
Besonderheit bei der Verpflegung am Rennsteig. Der Schleim wird in
vielfältigen Geschmacksrichtungen angeboten. Doch das Wichtigste ist, er
ist sehr bekömmlich für den gestressten Magen und verschwindet schnell
im Blutkreislauf. So muss ich auch auf keines meiner mitgenommenen "Notgels"
zurückgreifen. Abwechselnd Wasser und Tee, gegen Ende auch mal Cola,
vervollständigen meine Versorgung. Die Schmalzbrote und auch die
verlockend duftenden Würstchen lasse ich jedoch sicherheitshalber
liegen.
Jetzt erreiche ich die „Suhler Ausspanne“, ein
Vorgeschmack auf die höchste Stelle des Rennsteiglaufs, "Plänckners
Aussicht". Als ich die passiere, macht sich in mir eine Erleichterung
breit. Von nun an geht’s bergab, über die „Schmücke“ und „Kreuzwege“
direkt bis nach Schmiedefeld ins Ziel. Zwar sind die letzten 12 km
deshalb nicht harmlos, gerade in den Gefällstrecken droht schnell ein
Krampf im geschwächten Oberschenkel auf den doch tückischen
"Wurzelwegen". Aber doch ist der Rest der Strecke jetzt überschaubar.
Dachte ich mir bei km 30 "nur noch ein Marathon"
und am Gustav-Freytag-Stein bei km 51 übermütig "jetzt nur noch ein
lascher halber Marathon", so kann ich jetzt langsam aufatmen. Locker und
leicht laufe ich abwärts, lasse noch vereinzelt Läufer hinter mir, werde
von den zahlreichen Wanderern angefeuert. Ein respektvoll
ausgesprochenes "meine Hochachtung" macht mich ein klein wenig stolz.
Diese wenigen Worte geben mir viel!
Und schon biege ich ein in die 100 m lange
Zielgerade: Jubel tost auf. Nein, ich bin nicht der Erste, trotzdem wird
hier jeder Finisher wie ein Sieger begrüßt. Ich genieße meine letzten
Meter, winke in die Menge. Geschafft! Nach 6:34 h überquere ich die
Ziellinie, nur 1 Minute hinter der Frauen-Siegerin und Rennsteiglegende
Birgit Lennartz. Die siebenfache Seriensiegerin der 90er-Jahre feierte
ein beeindruckendes Comeback.
Ich selbst werde 77. und damit 13. meiner
Altersklasse. Das Ziel ist erreicht. Ich kann meinen erfolgreichen Tag
bei der rauschenden Läuferparty ausklingen lassen, die bis nachts um 2
Uhr das Festzelt erbeben lässt. Eine Zukunft am Rennsteig wird es für
mich bestimmt geben. Aber nie mehr so schnell, sondern nur noch
gemütlich.
Schöne Grüße,
Euer Dieter
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