Mein erstes Gefühl sei Preis und Dank
(Christian Fürchtegott Gellert)
„Das ist wieder typisch!“, meint meine Frau Gudrun.
„Bei dir dreht es sich das ganze Jahr um Marathons. Wenn du nicht in der
Vorbereitung bist, dann bist du in der Erholungsphase. Ist die zu Ende,
steht schon die nächste Vorbereitung an.“
Mit einem schlechten Gewissen schleiche ich weiter aus dem Schlafzimmer.
Sie dreht sich um und stöhnt demonstrativ über mein
Auf-den-Zehenspitzen-Trampeln. Sie tut so übertrieben als hätte John
Wayne eine Büffelherde losgelassen. Dabei kuschelt sie sich brutal in
ihr Kissen und träumt wieder weiter. Seit Monaten träumt meine Frau von
einer Party. Einer der ganz besonderen Art. Eine Party ohne Nudeln, ohne
Traubenzucker-Tütchen auf dem Tisch, ohne Blasenpflaster-Probepäckchen,
ohne Masseur-Adressen und Laufzeitschrift-Probeabo-Zettel, ohne
alkoholfreies und kohlenhydratreiches Weißbier und Schluss um halb zehn.
Ja, so ist es! Meine Frau träumt von einer Party mit kohlenhydratfreiem
Essen, Alkohol, Zigaretten bis morgens um fünf, eine, auf der ihr
gratuliert wird. Nicht mir! Sie will eine Medaille und eine Urkunde für
ihre Leistungen als Marathonpartner.
Heute sind wir aus Seebach wieder einmal groß
vertreten. 10 Starter beim 10 KM-Lauf, Birgit + Ralf beim Halbmarathon,
Helmut + ich beim Marathon. Kaum sind wir angekommen, geht das große
Abklatschen schon los. Erwin und viele andere vom "team bittel" sind da:
Dieter, Julio und noch einige vom "team bittel" machen heute Zugläufer.
Da ist Angela und ihr Marathonteam. Lauffreund Rudi läuft sich schon
warm: „Rudi, bei den Temperaturen heute brauchst des net!“ Und bei der
Taschenabgabe treffen wir Robert, seines Zeichens Transeuropaläufer.
Gerade zurück vom Nordkap: „A Marathönle geht immer!“, damit gehört der
Fürth-Marathon zu seinem Regenerationsprogramm.
Meine Zeit wird knapp. Schnell zum Start. Konzentration. Da geht es auch
schon los. Ich bin froh wieder dabei zu sein. Welch ein
Glück ich doch habe! Ohne verständnisvollen Partner könnte ich keinen
Marathon planen. Schon gar nicht, wenn in die Vorbereitung die Erlanger
Bergkirchweih fällt. Wo man sich traditionell mit Siemensianern aus der
ganzen Welt beim Tanzen auf den Bierbänken trifft. Wo man sich
zuprostet, anhustet, gegenseitig aus den Krügen trinken lässt, auf deren
Rändern die Bazillen wahrscheinlich Macarena tanzen. Und spät in der
Nacht taumelt man in die Kälte hinaus. Den Rest erledigt das
Immunsystem. Wenn man Glück hat findet man eine Fressbude, die statt
Bratwürsten und Leberkäse glasierte Äpfel verkauft. Wenigstens die
Illusion leicht verdaulicher Kost und Vitamin C. Aber trotz aller
Vorsichtsmassnahmen läuft es heute bei mir gar nicht. In meiner linken
Wade zieht es. Ich komme kaum vom Fleck. Den Schuh zu fest geschnürt? Es
drückt am Rist. Mein Fuß schläft ein. Als Krönung verschiebt sich noch
meine Innensohle. Ich will gerade anhalten und mein Schuhwerk richten,
da richtet sich alles wie von Geisterhand. Mein Laufstil wird besser.
Plötzlich schwebe ich dahin. Für meine Frau ist die Bergkirchweih mit
einem Marathoni ungefähr so spannend, wie mit Mutter Beimer in den
Urlaub zu fahren. Sie erträgt jedoch alles ohne zu murren. Alkoholfreies
Bier, kein Tanz auf dem Tisch wegen der Verletzungsgefahr, kein
Kettenkarussell um halb 10 wegen der Erkältungsrisiken. Wenn sie dann
nicht mitfühlend sagen würde: „Wir müssen ja nicht bis zum Ende bleiben,
Schatz. Einmal durchlaufen ist besser als nichts.“ – wer weiß, wie mich
das in meiner Form zurückwerfen würde.
Meine Frau hat eben ein riesengroßes Herz. Sie ist
so rücksichtsvoll dem Marathon gegenüber. Gestern waren wir auf einer
Geburtstagsparty eingeladen. Beim Tanzen zwickte es in meiner Wade. Ich
musste abbrechen, wollte nichts riskieren. Ich muss gestehen, dass
Gudrun leicht angesäuert war. Aber was soll ich machen am Tag vor dem
Marathon?
Jetzt zahlt es sich wieder aus. Alles richtig gemacht. Seit KM 11 bin
ich nur am Überholen. Die Zurückhaltung vom Anfang hat sich gelohnt.
Läufer für Läufer sammele ich ein. Brücke hoch, Brücke runter, durch die
Unterführung, dann scharfe Rechtskurve und wieder Berg hoch. So geht das
schon eine ganze Weile. Doch jetzt ist es nicht mehr weit. Noch 4
Kilometer. Gedankenversunken laufe ich weiter. Wie immer werden die
Beine schwerer und schwerer. Für die schöne Fürther Altstadt habe ich
keinen Blick. Die vielen Zuschauer in den Cafés und Bistros peitschen
mich weiter. Dann ist es soweit. Ich biege auf die Zielgerade ein:
Halli-Galli beim Finish, hier steppt der Bär. Schnell noch ein Foto mit
Artur Schmidt dem bekannten Profi-Zielsprecher. Unter tosendem Beifall
tanze ich als 17. ins Ziel. Ein tolles Gefühl.
Wie geht es meiner Frau? Ihr wird nicht zur Bestzeit gratuliert. Kein
Finisher-Foto, keine Medaille. Und während mir noch Wochen später auf
die Schulter geklopft wird, denkt keiner an ihre Entbehrungen,
Anfeuerungen, an ihr Mitleiden und Motivieren. Doch so viel Anteilnahme
kann nicht genug gelobt werden. Für alle Mutter Teresas und Albert
Schweitzer des Freizeitsports müsste es auch Medaillen geben. Ein Hoch
auf all die Unterstützer!
Doch heute mache ich es anders: Stellvertretend für
alle Marathonpartner überreiche Gudrun für den besten Marathon-Support
der Welt eine Medaille und eine Urkunde.
Run happy and smile!
Euer Jochen
Übrigens: Am 18.07.2009 ist das
11. Seebachmeeting
Transeuropalauf-Finisher Robert (Start) |
Los geht's für die 21km-Läufer |
Die Engländer um Simon + Erwin |
Angela von der "Laufbox" |
Die Starlinie vor dem Marathon-Start |
Zugläufer Oli + Julio mit dem Letzten der übrig ist (fast im Ziel) |
Infos:
www.metropolmarathon.de
|